Ausstellung:Carl Lohse

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Expressionistische Maler. Die kennt man doch alle, oder? Und dann kommt man in diese Ausstellung - und aus dem Staunen nicht mehr raus. Was für unglaubliche Köpfe. Wie heißt der Mann? Carl Lohse? Wie hat der das gemacht?

Von Till Briegleb

Dass man noch neue Maler des Expressionismus entdeckt, ist ungefähr so selten wie neue Tierarten in deutschen Weihern. Aber bei Carl Lohses "Köpfen" sieht man in Gesichter, denen man in dieser schroffen Wildheit vorher nicht begegnet ist. Der Hamburger Maler, der seine wichtigsten Künstlerjahre in Sachsen verbrachte, aber eigentlich nie über Lokalbekanntheit hinauskam, hat im Menschen irgendetwas entdeckt, das aufrüttelnder ist als die meisten Porträts seiner Zeit- und Stilgenossen - und vielleicht erst wieder mit dem Fratzenbedarf der Hollywood-Kinos diese Eindrücklichkeit erreichte. Vielleicht hat der vom Grauen des Ersten Weltkriegs tief gezeichnete junge Maler am weitesten hinter die Masken der Weimar Republik geschaut und dort das brutal vorwärts wirkende Seelenchaos gesehen, das diese Epoche nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Nach dem Schockerlebnis des Massenschlachtens an der Front hat Lohse eine Serie mit Porträts gemalt, die vor Angst, Irrsinn, aber auch Sehnsucht nach innerer Befreiung glühen, bevor er sich entschied, lieber Straßenbahnschaffner zu sein. James Ensors Maskenmenschen mag man hier gespiegelt sehen, auch Edvard Munchs Angstmalerei. Und natürlich ist der Einfluss van Goghs spürbar. Aber die Gruppe zerkneteter Visagen mit ihren hervorspringenden Farbakzenten, die Lohse extrem nah an den Betrachter zog, bis ihre Umrisse fast den Bildrahmen berührten, zeigen doch eine singuläre Intensität an Zerrissenheit in direkter Konfrontation. Das Hamburger Barlach Museum hat diese Emotionsexplosionen nun an den Geburtsort Lohses exportiert, um hier in einer großen Ausstellung mit 50 Exponaten unter dem Titel "Kraftfelder" das Existentielle dieser Malerei zu würdigen. Es ist die erste große Werkschau Lohses seit Jahrzehnten, und sie zeigt weitere Phasen seiner mehrmals unterbrochenen Karriere, die bis 1965 reichte. Auch in Stadtbildnissen und Abstraktionen hat Carl Lohse die Amplitude farblicher Erregung gefunden. Aber die "Köpfe" sind doch von solch einer speziellen Wucht, dass man nur sagen kann: Meine Fresse!

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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