Ausstellung:Alles kombinieren

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In den alten Wunderkammern wurden Natur und Handwerk zusammengebracht. Nun gewinnt die Kunsthochschule Giebichenstein in Halle an der Saale der alten Wunderkammer in einer Ausstellung neue Seiten ab.

Von Stefan Laube

Seit zwanzig Jahren entzückt in Halle an der Saale ein Unikum die Museumswelt: die authentisch ausgestattete Wunderkammer aus der Barockzeit in dem von August Hermann Francke gegründeten Waisenhaus. Und seit hundert Jahren besteht die Kunsthochschule Giebichenstein, ebenfalls in Halle beheimatet. Zu diesem Jubiläum wurden jetzt die historischen Sammlungsstücke in den Franckeschen Stiftungen erstmals mit Werken der zeitgenössischen Kunst konfrontiert. Das Motto lautet: "Assoziationsraum Wunderkammer".

Auch der alte Apothekertisch, direkt unter dem obligatorischen Blickfang einer Wunderkammer, nämlich dem von der Decke herabhängenden Krokodil aufgestellt, ist in die Ausstellung einbezogen. Wenn man ihn aufklappt, wird ein Gitterfeld freigelegt, in dem ursprünglich pharmazeutische Substanzen aufbewahrt waren. Die Künstlerin Nina Viktoria Naußed hat nun diese Zellen mit kleinformatigen Sachen, die in jede Hosentasche passen, bestückt. In den unscheinbaren Glasscherben, Korken, Knöpfen, Scherben, Plastikfragmenten verkörpern sich persönliche Momente und Situationen. Diese Präsentation von Weggeworfenem und zufällig Gefundenem im historischen Setzkasten hat einen wundersamen Effekt.

Lange Zeit schöpfte das Wunder aus einer vertikalen Beziehung zwischen einem hilfsbedürftigen Geschöpf auf Erden und einem omnipotenten Schöpfer im Himmel. Spätestens in der Renaissance - beeinflusst von den Entdeckungen in Übersee - löste sich das Wunder von Bedürftigkeit und transzendenter Verankerung und verband sich mit der Neugier des Menschen. Das Zeitalter der Kunst- und Wunderkammern war geboren. Die Freude am Exotischen und Rätselhaften bestimmte die Vorliebe für Kunstkammerstücke. Straußenei, Koralle und Nautilus galten als wunderbare Zeugnisse einer fremden, zauberhaften Natur; virtuose handwerkliche Gestaltung sollte ihre Wirkung noch zusätzlich steigern. Wunderkammern verstanden sich als eine Bühne, auf der die Kunstfertigkeit des Menschen mit den Formenreichtum der Natur einen Wettstreit austrug.

Lange war diese ars combinatoria, Kombinationskunst, in der Gesellschaft und in den Räumen der Museen vergessen. Die Welterfahrung zersplitterte sich in Einzeldisziplinen. Der Vorwurf des Dilettantismus traf jeden, der Dinge aus unterschiedlichsten Bereichen in Beziehung setzen wollte. Bemerkenswert ist jedoch, dass jedes der Spartenmuseen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden, wie die Gemäldegalerie, das Kunstgewerbemuseum, das Völkerkundemuseum, ursprünglich Bestandteil einer Kunst- und Wunderkammer gewesen war. Erst die Ausstellungspraktiken des Dadaismus und des Surrealismus sollten im 20. Jahrhundert die Regeln einer schubladisierten Museumswelt wieder aufsprengen.

Der erste Direktor war aus dem George-Kreis, später kamen dann zahlreiche Lehrer vom Bauhaus

In jüngster Zeit haben sich Künstlerinnen und Künstler immer wieder von den Ordnungsprinzipien, Gedankenräumen und Bildern der Wunderkammern anregen lassen: materiell, multimedial und globalisiert. Das zeigt, am richtigen Ort, jetzt auch die von Nike Bätzner kuratierte Ausstellung. Gegliedert ist sie nach den frühneuzeitlichen Ding-Gattungen "Naturalia", "Artificialia" und "Scientifica". Während in der historischen Wunderkammer "echte" Naturobjekte - vom Wurm bis zum Walpenis - prominent vertreten sind, geht die heutige Kunst oft eher synthetisch vor: wie in der bombastischen Kollektion der Modekünstlerin Pia Fischer aus Lack, Latex und Kunstleder, die den Menschen mit einem tierischen Panzer auszustatten scheint. Der Reiz der Ausstellung besteht nicht zuletzt darin, dass die Kreationen junger Absolventen der Kunsthochschule auf etablierte Künstler treffen, mit Aquarellen von David Lynch oder mit einem der gestickten Bilder aus Afghanistan von Alighiero Boetti, der als Objektkünstler der Arte Povera berühmt geworden ist. Sehr zu empfehlen ist der Ausstellungskatalog, in dem namhafte Autoren die zeitgenössische Kunst kulturgeschichtlich verorten.

"Die Burg", wie sie in Halle nicht ohne Stolz genannt wird, blickt jetzt auf hundert Jahre Gestaltungs- und Objektgeschichte zurück. Erster Direktor war der Architekt Paul Thiersch gewesen, der sich als Angehöriger des George-Kreises gerne mit hohem, weiß gerandetem Kragen ablichten ließ. Als er 1915 Direktor der Handwerkerschule wurde, veranlasste er sogleich den Umbau zu einer modernen, praxisorientierten Kunstgewerbeschule. 1925, mit der Auflösung des Bauhauses in Weimar, kamen zahlreiche ehemalige Bauhäusler als Lehrer, unter ihnen der Bildhauer Gerhard Marcks oder die Keramikerin Marguerite Friedlaender. Deren sachliches Kaffee-Service begründete die "Hallesche Form". Mit der variabel zu gestaltenden Schrankwand fürs Wohnzimmer der Marke Hellerau, dem Schmalfilmprojektor Pentax oder den gelben Schutzhelmen für Bauarbeiter setzte Burg Giebichenstein auch im Alltag der DDR Akzente. Die Ausstellung der Burg in den Franckeschen Stiftungen gewährt originelle Einblicke in den heutigen Zustand dieses Laboratoriums - ein sehr zeitgemäßer Umgang mit dem Thema der Wunderkammer.

Assoziationsraum Wunderkammer. Historisches Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen, Halle an der Saale. In Kooperation mit der Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Bis 16. August. Katalog 29 Euro, Info: www.burg-halle.de

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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