Augsburg:Schützengraben Mittelmeer

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In der spanischen Exklave Melilla trennt ein Zaun Europa von Afrika. Hier kämpfen Flüchtlinge um ihr Leben - und Golfer verbessern ihr Handicap. (Foto: Jose Palazon/Reuters)

Die Wochen des Friedens beschäftigen sich intensiv mit der Flüchtlingsproblematik

Von Stefan Mayr, Augsburg

Das Zitat ist zwar mehr als 50 Jahre alt, aber es war schon lange nicht mehr so aktuell wie heute. "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", sagte DDR-Staatschef Walter Ulbricht im Juni 1961. Was danach kam, ist bekannt. Die Macher aus dem Friedensbüro der Stadt Augsburg haben den Spruch aus dem Zitatenschatz gehoben und ihn über ihr Rahmenprogramm zum Hohen Friedensfest gestellt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten? Muss ja auch keiner mehr, möchte man antworten. Es stehen ja schon genügend herum. Immer und überall.

"Das Mittelmeer ist unser Schützengraben, die Wachposten stellt die Agentur Frontex." So heißt es etwa in der Vorschau auf zwei dokumentarische Theaterabende am Donnerstag und Freitag. Regisseur Hans-Werner Kroesinger fragt mit seinem Stück zum Start der Friedenswochen: "Was wäre, wenn wir die Grenzen öffnen würden?" Kroesinger war 2014 schon einmal in Augsburg zu Gast: Mit "Operation Big Week" rekonstruierte er die Bombennacht vom Februar 1944, in der alliierte Bomber die Stadt in einen Feuerteppich verwandelten. Diesmal lotet er im Stadttheater die Grenzen auf unseren Landkarten und in unseren Köpfen aus. Dabei soll es nicht nur Denkanstöße geben, sondern auch jede Menge präziser Informationen. Nach den Aufführungen spricht Werner Kroesinger mit dem Publikum. Am 31. Juli kommt Klaus Rösler, der Leiter der "Abteilung Einsatz" bei Frontex auf die Brechtbühne, um sich den Fragen des Publikums und des SZ-Redakteurs Tanjev Schultz zu stellen.

Das Rahmenprogramm startet am Donnerstag, 16. Juli, und endet am 8. August, jenem gesetzlichen Feiertag, den es nur in der Bezirkshauptstadt Schwabens gibt: das Augsburger Hohe Friedensfest. Dieses hat seinen Ursprung im Jahr 1650. Damals feierten die Protestanten der Stadt erstmals ihre im Augsburger Religionsfrieden von 1555 formulierte und im Westfälischen Frieden von 1648 errungene Gleichberechtigung mit der Römisch-Katholischen Kirche.

Das Programm lotet nicht nur Grenzen aus, sondern überschreitet sie auch. Zum Beispiel mit einem Artist-in-Residence-Projekt. Bereits seit Juni sind drei Künstler aus Serbien in der Stadt. Ihr Arbeitsauftrag: die Schlachtfelder der Region besuchen und ihre Eindrücke zu "Utopien des Friedens" verarbeiten. Einer der Gäste ist Selman Trtovac aus Belgrad. Der 44-Jährige begibt sich auf die Spuren seines Großvaters, der während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter auf einem Bauernhof im Allgäu lebte. Im Augsburger Kulturpark West wird ihm ein Atelier zur Verfügung gestellt. "Diese Stadt ist ein mächtiger Ort für das Thema Frieden", sagt Trtovac, "die Werte und das Denken der Leute gefallen mir sehr gut." Seine Werke - Fotografien, Videos und Zeichnungen - und die des Künstler-Ehepaars "Distruktura" werden vom 24. Juli an unter dem Titel "Welcome in Augsburg" in der Neuen Galerie im Höhmannhaus zu sehen sein.

Es gibt keinen Krisenherd, der in den Wochen des Friedensfestes nicht thematisiert wird, es gibt Vorträge und Konzerte, Diskussionen, Lesungen, Street Art und Performances. Syrische, afghanische und nigerianische Musiker geben Mozarts Flucht-Operfragment "Zaide". Und es steigt sogar eine richtige Friedenskonferenz - auf der grünen Wiese, veranstaltet vom "Grandhotel Cosmopolis", einem Zusammenschluss von Künstlern und Friedensbewegten, die eine Herberge aus dem Boden stampften, in der Hotelgäste unter einem Dach mit Asylbewerbern wohnen. Abschluss und Höhepunkt des Programms ist die Friedenstafel am 8. August auf dem Rathausplatz. Dabei teilen alle Besucher ihre mitgebrachten Speisen und Getränke. Eine gute Gelegenheit zum gemeinsamen Essen und Diskutieren, Grenzen überwinden und Mauern einreißen. Selman Trtovac wird Augsburg am 1. August wieder verlassen. "Das wird kein Ende sein", sagt er, "sondern ein Anfang von etwas Neuem."

Augsburger Hohes Friedensfest, 16. Juli bis 8. August, an verschiedenen Orten, Informationen unter www.augsburg.de

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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