Augsburg:Gar nicht mal so ungemütlich

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Am Theater hat der Alltag in den Übergangsspielstätten begonnen. In der Lagerhalle im Martini Park funktionieren inzwischen die Heizung, die Toiletten - und die Kunst

Von Christiane Lutz

Bequem ist was anderes. Das ist der vorherrschende Eindruck nach zwei Stunden und 45 Minuten auf einem der blauen Kunststoff-Sitze, die schon bei geringem Gegenlehnen nachgeben. Wie im Fußballstadion. Auch von der Temperatur her ist es ähnlich kühl. Wenig angenehm ist für Schauspieler Alexander Darkow auch, dass er sich nach der Vorstellung nicht duschen kann, obwohl er sich "im Sande wälzt". Weil es keine Duschen in der alten Lagerhalle gibt. Und richtig ärgerlich ist, dass über Nacht das Lichtpult verschwunden ist, vermutlich ein Einbruch. Regisseurin Maria Viktoria Linke lächelt tapfer, als sie den Zuschauern vor Vorstellungsbeginn erklärt, dass die Lichtstimmungen heute etwas improvisiert würden.

So sieht er aus, der neue Alltag am Theater Augsburg. Dem Theater, das seit Beginn der Spielzeit heimatlos ist. Im Frühjahr beginnt die aufwendige Sanierung des Haupthauses. Bis zur Vollendung in sechs, sieben, zehn Jahren (so genau weiß das noch niemand) wird sich das Ensemble mit Interims-Spielstätten behelfen, verteilt über die ganze Stadt. Eine davon ist eine alte Lagerhalle im Martini Park, in der bis vor einiger Zeit noch Material zur Herstellung von Schwämmen aufbewahrt wurde. Nun ist eine Lagerhalle so ziemlich das Gegenteil von einem Theater. Sie ist ausladend, zweckmäßig und so kalt, dass alle Schauspieler erst mal krank wurden. Ein Theater hingegen besteht aus warmen Stoffen, aus verschlossenen Türen und Illusionen. Also musste umgebaut werden. Eine eigens eingestellte "Projektleiterin Interim" organisierte Bauzäune, die mit schwarzem Molton abgehängt den Raum verkleinerten. Sie sorgte dafür, dass Container herbeigeschafft wurden, in denen die Schauspieler sich umziehen und geschminkt werden. Fließendes Wasser gibt es nur auf dem Klo, das sich ebenfalls in einer Art Baustellen-Container befindet. Seit Ende Oktober spielt das Ensemble hier Ödön von Horváths "Der jüngste Tag". Maria Viktoria Linke hatte im Sommer noch geglaubt, das Stück für das Haupthaus zu inszenieren. Das Konzept für die Bühne war bereits fertig, da kam Ende Mai überraschend die Nachricht, dass das Haupthaus früher als geplant schon zum Ende der Spielzeit schließen musste. Akute Brandschutzmängel. Auch aus einem Ausweichspielort im Bahnpark wurde nichts. Und Linke landete mit ihren Schauspielern in der Lagerhalle im Martini Park. Die Berliner Regisseurin spricht immerhin von "Phantasieakten" und von "Abenteuern", wenn sie das Chaos dieses Arbeitsprozesses beschreibt. Überhaupt scheint sie eher der Typ zupackende denn sensible Künstlerin zu sein. "Wenn man schon in eine Industriehalle geht, fand ich es wichtig, den Ort auch zu benutzen", sagt sie. Das heißt in dem Fall, dass die Schauspieler großzügig in die Breite spielen und auf einer Galerie vor großen Industrie-Fenstern hin und her sausen. Der unglückselige Bahnhofsvorsteher Thomas Hudetz (Alexander Darkow) wird sich, nachdem er ein Signal zu spät gesendet und damit einen Unfall verursacht hat, dort oben mit seiner Mitwisserin Anna (Kerstin König) treffen, bevor sie durchs Fenster hinaus steigt. Musik kommt live aus dem alten Aufseherhäuschen von der Band Django 3000, die noch am ehesten den Festival-Camping-Charakter des Backstage-Bereichs gewohnt sind. Die Vorstellung läuft dann auch mit Notlicht reibungslos ab. Die Industrieatmosphäre passt, in dem Stück geht es ja auch um ein Bahnunglück. Da kommen Schienen vor und Wartehäuschen. Die Stadion-Wand aus 420 blauen Sitzen applaudiert kräftig.

Bis Ende November wird "Der jüngste Tag" in der Halle noch gespielt, länger erlaubt das der Vertrag mit den Besitzern nicht. Das Bühnenbild kann stehen bleiben - nicht so im Kongress im Park, wo für die Weihnachtsproduktion "Pünktchen und Anton" die Bühne nach jeder Vorstellung komplett abgebaut und abtransportiert werden muss. Es steht eine konzertante Aufführung von Mozarts "Idomeneo" im Auditorium der Universität auf dem Plan, Interims-Spielstätten wie das Parktheater Göggingen und der Hofmannkeller sind ebenfalls in Beschlag genommen.

Wie am Gärtnerplatztheater, das seit einigen Jahren in München wegen Sanierung des Haupthauses auf Wanderschaft ist, ist man auch in Augsburg wild entschlossen, aus der misslichen Lage das Beste zu machen. Not hat der Kunst ohnehin noch nie geschadet. Die Komfortzone verlassen: Das gilt auch für die Zuschauer. Bisher hat noch jeder in den Martini Park gefunden, was auch an den menschlichen Wegweisern mit beleuchteten Regenschirmen draußen liegt. Auch gegen die Kälte sorgt das Theater vor: mit blauen Kuscheldecken, in die sich das Publikum während der Vorstellung einwickeln kann. Gar nicht mal so ungemütlich.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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