Aufruf von Habermas und Nida-Rümelin:Schützt die Philosophen!

"Wir machen uns Sorgen": Philosoph Jürgen Habermas und der ehemalige Kultur-Staatsminister Julian Nida-Rümelin warnen vor Ungarns Umgang mit missliebigen Regimekritikern - und sprechen vom "Skandal im Skandal".

Wir machen uns Sorgen um das politische und berufliche Schicksal ungarischer Kollegen. Im Mittelpunkt des Konflikts stehen Agnes Heller, Mihály Vajda und Sándor Radnóti, die den Ministerpräsidenten Orbán wegen der Einführung des fragwürdigen Mediengesetzes öffentlich kritisiert haben. Heller und Vajda wurden schon während der kommunistischen Herrschaft als Dissidenten verfolgt. Sie verloren 1973 ihre Professuren und mussten 1977 emigrieren. Nun sind sie unter der nationalistischen Regierung, die ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament zur Aushöhlung der Verfassung nutzt, erneut politischen Schikanen ausgesetzt. Die regierungstreue Presse hetzt gegen einen um diese Personen unbestimmt erweiterten "Kreis liberaler Philosophen", wobei der Ausdruck "liberal" inzwischen wieder mit der Konnotation der vaterlandslos-kosmopolitischen Gesinnung jüdischer Intellektueller besetzt ist.

Aufruf von Habermas und Nida-Rümelin: "In China wird zu Recht die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert. Aber im eigenen Haus sieht man sich nicht so genau auf die Finger. Das ist der Skandal im Skandal" Julian Nida-Rümelin, das Bild zeigt ihn am 24. Januar in der Aula der LMU München, ruft zusammen mit Jürgen Habermas die EU-Kommission zum Handeln auf.

"In China wird zu Recht die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert. Aber im eigenen Haus sieht man sich nicht so genau auf die Finger. Das ist der Skandal im Skandal" Julian Nida-Rümelin, das Bild zeigt ihn am 24. Januar in der Aula der LMU München, ruft zusammen mit Jürgen Habermas die EU-Kommission zum Handeln auf.

(Foto: Stephan Rumpf)

Anlass ist ein Verfahren, das die Regierung gegen fünf "Projektleiter" wegen Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung von Fördermitteln der EU eingeleitet hat. Demgegenüber bekräftigen die verdächtigten Kollegen, dass sie keinen persönlichen Nutzen aus ihrer undotiert ausgeübten Tätigkeit gezogen und die Mittel für die Forschungen ihrer Projektmitarbeiter ordnungsgemäß verwendet haben. Die Anzeige richtet sich auffälligerweise gegen politisch missliebige Philosophen und gegen eine Disziplin, die sich seit den Anfängen im klassischen Athen insbesondere mit der Verfassung des politischen Gemeinwesens befasst. Und das administrative Verfahren wird von einer regierungsnahen Zeitung so infam begleitet, dass sich die Betroffenen in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlen.

Jedenfalls hat Agnes Heller, die in der Bundesrepublik nicht nur mit dem Lessingpreis und dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet, sondern im vergangenen Jahr während eines großen Festaktes in Weimar vom Goethe-Institut auch mit der Goethe-Medaille geehrt worden ist, wegen dieser Pöbeleien gegen die Zeitung Magyar Nemzet Strafanzeige gestellt.

Daher wenden wir uns an die EU-Kommission mit der Aufforderung, das ungarische Mediengesetz nicht nur der längst überfälligen rechtlichen Prüfung zu unterziehen; gleichzeitig sollte sie in diese Prüfung die einschlägigen Praktiken der ungarischen Regierung und ihrer Behörden einbeziehen und dabei insbesondere die Behandlung kritischer Wissenschaftler und Intellektueller im Auge haben. In der Frage, ob in dem Land, das heute die EU repräsentiert, wesentliche Grundsätze einer liberalen Verfassungsordnung verletzt werden, übt das EU-Parlament Enthaltung; der EU-Rat ist wie meistens uneinig; und die deutsche Bundesregierung belässt es bei schmallippigen Äußerungen.

In China wird zu Recht die Einhaltung der Menschenrechte eingefordert. Aber im eigenen Haus sieht man sich nicht so genau auf die Finger. Das ist der Skandal im Skandal.

Julian Nida-Rümelin ist Präsident und Jürgen Habermas Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Philosophie.

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