Auf Tour mit den Acher-Brüdern:Punk mit Insekten

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Ein Konzert in Zagreb, éin abgesagter Millionendeal und eine transatlantische Platte: Ein Porträt der Brüder Micha und Markus Acher

ALEX RÜHLE

Wenn man das alles auflistet, denkt man, dass die beiden in einem Irrsinnsstress stecken müssen: Konzert in Zagreb mit Notwist, gleichzeitig Veröffentlichung der Platte "13 & God", nebenher kompositorische Arbeiten in diversen anderen Projekten, Auftritte in Istanbul und Japan.

das sind Notwist - die Acher-Brüder spielen mit. Kein Grund, deswegen aus den Latschen zu kippen. (Foto: Foto: AP)

Wenn man Markus und Micha Acher aber zwei Tage in Zagreb erlebt, wirkt das wie Zuschauen, Entspannen, Nachdenken, zwei Vollblutphlegmatiker auf Stadtbummel. Rätselhaft.

Genauso rätselhaft: War das früher auch so?

Wenn irgendwo etwas entstand, sind dann da alle hingefahren, um so eine Art Feuilleton-Feng-Shui zu veranstalten?

Sind die Zeitungen nach Fresenhagen gepilgert, zu Ton Steine Scherben, und haben jedes Hauseck bestaunt, um herauszukriegen, wo diese Teufelskerle nur all ihre systemkritischen Zeilen hernehmen? Mit dem Erfolg von Notwist ist Weilheim zum bewispertsten Ort der Republik geworden.

Dabei ist Weilheim Weilheim. Es gibt Kreuzungen, Geschäfte, Häuser, in denen 22000 Leute leben. Einer davon heißt Julius Acher, ist Beamter und liebt Dixiemusik. Weshalb er seinen Söhnen früh das Musizieren beibrachte. Micha, der Jüngere, lernte Trompete, Bass und Komponieren. Der Ältere wollte nicht Saxophon lernen. Klarinette auch nicht. Also lernte er Schlagzeug. Später dann Gitarre. Und so spielen sie bis heute mit ihrem Vater bei den New Orleans Dixie Stompers, auf Frühschoppen, Marktplätzen, Frühlingsfesten. Nebenher schreiben sie seit etwa zehn Jahren Musikgeschichte. Und jetzt, mit ihrer transatlantischen Kollaboration 13&God, werden sie auch noch zu Global Playern. - Ah, das macht Spaß, einen unauffälligen Absatz mit einem so hammermäßig prätentiösen Lob zu beenden und sich dann vorzustellen, wie die Achers auf diesen Satz schauen wie auf ein fremdes Insekt. So ähnlich muss Micha Acher auf sein Handy gestarrt haben, vor zwei Jahren, im Regen, als Vodafone anrief.

Aus dem noch zu schreibenden Lexikon der sympathischen Systemkritiker: "Acher, Markus u. Micha: Gründeten 1988 mit dem Schlagzeuger Mecki Messerschmidt The Notwist.

In kleinteiliger akustischer Schichtarbeit gelang ihnen zusammen mit dem Klangbastler Martin Gretschmann eine Verbindung von analog und digital zu Song'n'Track. Zeichnen sich durch avantgardistischen Umgang mit den Pop-Sekundärphänomenen Ruhm, Geld, Medien aus."

Notwist waren vor drei Jahren die Konsens-Band. Wer 2002 irgendwo landen wollte, musste nur "Neon Golden" erwähnen, türlichtürlich, ganz groß, digitaler Schwermut, dazu die wunderbaren Texte, in denen einer auf das Leben schaut wie auf eine seltsame Veranstaltung hinter Glas.

Dazu kam besagter Weilheim-Mythos und das Bandgeflecht, Tied & Tickled Trio, MS John Soda, Lali Puna, Couch - man müsste einen Stammbaum malen, um zu zeigen, wer da wo mitmischt. Das alles sprach sich bis zur Londoner Vodafone-Zentrale herum. Grunge war ja irgendwie durch als Protestsurrogat. So hätten Notwist zum latest critical chic werden können. Micha Acher hatte seinem Vater an dem Tag zugesagt, in die Stadt zu kommen, ein Auftritt vorm Hertie in Schwabing.

Es regnete, aber er brauchte dringend Geld, um seiner Tocher Schuhe zu kaufen. Der Manager der Dixie Stompers gab ihm vor dem Auftritt unwirsch einen Kamm, mach endlich mal was mit deinen Haaren. Im Moment dieser Demütigung klingelte das Telefon, Vodafone rief an, sie hätten gerne das Lied "One with the freaks" für einen weltweiten Werbespot, ehrlich gesagt sei der Spot schon fertig, und wem sie denn jetzt die 750000 Euro überweisen sollen.

Micha Acher sagte, niemandem, das Lied passe nicht zu Werbung und legte auf. Es regnete, die Dixie Stompers spielten, Micha blies Stücke seines Vaters, den "Coalcornerstreet-Rag", den "Ammersee-Blues". Kurz darauf rief Vodafone nochmal an und erhöhte das Angebot. Micha Acher sagte wieder nein. Dann kaufte er seiner Tochter Schuhe und fuhr nach Hause.

Markus und Micha Acher sind das personifizierte Gegenprogramm zu all den fettglänzenden Egokugeln, die sich sonst so tummeln im Musikbusiness: Wo andere Frisuren haben, haben sie Haare. Und während andere sich für ein Konzert genau ihre Abendgarderobe überlegen, ziehen sie sich morgens Sachen an, in denen sie dann abends spielen. In merkantiler Hinsicht sind sie vollends eine Katastrophe.

Ihrem Manager Florian Steinleitner merkt man ein leises Leiden an, wenn er in einem Hinterhof in Zagreb die Vodafone-Story erzählt: "Ich versuch seit Jahren, für die beiden eine Altersversorgung aufzubauen - kannste vergessen mit denen." Während er so freundschaftlich klagt, schleppen die Brüder Instrumente und Verstärker in den kleinen Club, in dem sie am Abend spielen werden.

Ungefähr zur selben Zeit, als Vodafone bei Micha Acher anrief, waren Themselves auf Deutschlandtournee. Themselves sind drei Musiker, die an der US- Westküste etwas Ähnliches machen wie die Weilheimer hierzulande: Es gibt ein Geflecht von Bands, die irgendwie alle miteinander spielen, mit dem Unterschied, dass sie nicht in der Indie-Rock-Szene beheimatet sind, sondern im HipHop.

Ihr Sänger und Texter heißt Adam Drucker, als Jugendlicher bekriegte er sich bei Freistil-Slams mit einem Jungen namens Eminem. Ihm wurde das Ganze bald zu blöd, Eminem nicht. Drucker reimt wilde Textkaskaden über Fahrräder, schwarze Löcher, Urlaubserlebnisse in der Kindheit, die er mit Heliumstimme näselt. Der einzige Künstler, bei dem er sich auf dem Album "Circle" bedankte, war Gerhard Richter - alles in allem nicht typisch für einen HipHopper.

Themselves fuhren also 2002 im Tourbus durch Deutschland, der Keyboarder Dax Pierson legte nachts, auf den langen Fahrten von einem Auftrittsort zum nächsten, immer Notwist auf. Kurz darauf lernten sich die beiden Bands kennen, gingen gemeinsam auf Tournee und schickten einander unter dem Rauschen des Atlantiks hindurch Files und Texte, Kellergeräusche und Weltallstimmen, körniges Hintergrundrauschen und Klänge wie von traurigen Güterzügen. Im vergangenen Herbst kamen Themselves für ein paar Tage nach Weilheim, die begnadeten Kollaborateure nannten sich 13&God und nahmen in kürzester Zeit ein gleichnamiges Album auf, das soeben auf dem Acher-eigenen Label "Alien Transistor" veröffentlicht wurde.

Ein Song erzählt davon, wie die Erde aus ihrer Bahn läuft, auf den Boden des Sonnensystems rutscht und von da aus in eine dunkle stille Erde des Kosmos kullert: "Without a universal law there is no gravity / Without a gravity there is no atmosphere / without an atmosphere there is no chance at life / and with no chance at life I don't exist." Schöner, wehmütiger, verschachtelter wurde nie gerappt.

Am 24. Februar, nachts um eins, irgendwo in Iowa, fuhr der Tourbus von Themselves mit etwa 60 Stundenkilometern durchs Dunkel. Das Blitzeis war nicht zu sehen, der Bus überschlug sich und landete auf dem Dach. Adam Drucker und Jeffrey Logan kamen mit dem Schrecken davon. Dax Pierson brach sich einen Wirbel und sitzt jetzt in einem Rollstuhl, den er mit dem Mund bedient. Zuerst wollten Notwist und Themselves die 13&God-Sommertour absagen. Inzwischen sagen sie, jetzt erst recht, außerdem kommt so vielleicht genug Geld rein für den Rollstuhl.

Am Abend, in Zagreb, spielen Notwist sich durch ihre letzten vier Alben.

Martin Gretschmann steht krummrückig über seinen Knöpfen, mischt Insektensirren aus dem Pleistozän unter neuronales Geklicker. Micha und Markus machen dazu analogen Punkrock, brechen die Stücke auf, fegen mit dem Stahlbesen durch. Drinnen singt Markus "Fail with consequence, lose with eloquence and smile...", draußen steht der Kleinbus, mit dem sie am nächsten Tag heimfahren werden.

Es ist gefährlich on the road: Notwist hatten einmal einen Auffahrunfall, harmlos, mit Schrittgeschwindigkeit auf einen Laster, aber selbst da haben all die Instrumente und Boxen von hinten die Trennwand durchgedrückt.

Nach dem Konzert sagt Markus Acher, der winzige Kset-Club in diesem Zagreber Hinterhof sei der schönste Club der Welt, er kneift dabei die Augen zusammen und schaut in die Nacht, als müsse er einen schwer entzifferbaren Text lesen. Micha sagt, es sei ihm saupeinlich, dass er sich so oft verspielt habe.

Irgendwie eine magenstärkende Vorstellung, wenn die Achers damals bei Vodafone zugesagt hätten, und ihre Single liefe jetzt weltweit auf Heavy Rotation, und es gäbe Liveinterviews auf all den Bescheidwissersendern, und die beiden Vollblutphlegmatiker stünden nur da und würden die flotten Fragen durch ihren stummen Krümelforscherblick pulverisieren.

© SZ v. 22.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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