Alben der Woche:Leidlich geschmeidig gegen die Midlife-Crisis

Lesezeit: 3 min

"Can I kick it? / Wenn nicht jetzt / Van Damme": die Fantastischen Vier. (Foto: Robert Grischek)

Die Fantastischen Vier klingen wie eine erstaunlich frische Parodie ihrer selbst. Und Prince-Wiedergängerin und Feministin Janelle Monáe will das Patriarchat töten - im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Drangsal - "Zores" (Caroline)

Gäbe es einen Wettbewerb, der den Musiker sucht, dem es am souveränsten gelingt, wie eine New-Wave-Band der Achtziger zu klingen - Max Gruber alias Drangsal wäre auch mit seinem neuen Album "Zores" (Caroline) wieder ganz vorn. Besonders in der Cure-Vorrunde kann man sich eigentlich nicht vorstellen, dass die Konkurrenz groß ist. Aber nicht, weil man die Aufgabe niemand anderem zutraut, sondern weil Drangsal das wirklich sehr, sehr gut macht. Synthiebimmel-Schwaden aller Art, flache Patsche-Trommeln, verhallte Bass- und Gitarren-Gräten und obendrüber ordentlich flehend-bebender Gesang - Summa cum Laude im Oberseminar New Wave. Nachhaltig irritierend bleibt allerdings, wie sehr das alles genau in dem Moment, in dem Drangsal nicht auf Englisch, sondern auf Deutsch singt, nach Schlager klingt.

Jens-Christian Rabe

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Die Fantastischen Vier - "Captain Fantastic" (Columbia)

Pünktlich zur Debatte um die deutschen Gangsta-Rapper Farid Bang und Kollegah und die dunkle homophobe, misogyne, gewaltverherrlichende und antisemitische Seite des deutschen Hip-Hop kommt das neue, elfte Album "Captain Fantastic" (Columbia) der Fantastischen Vier vom lustigen, vollkommen jugendfreien Balkon des Genres. Dank ihres Soundtüftlers Andreas Rieke alias Andi Ypsilon, der offenbar immer noch gute Ohren und ein großes Herz hat für die jüngsten Entwicklungen des Hip-Hop, klingen die deutschen Rap-Pioniere allerdings wieder einmal wie eine erstaunlich frische Parodie ihrer selbst. Ansonsten gibt das Album die Antwort auf die Frage, auf wie vielen Alben die Band ihre Midlife-Crisis mit leidlich geschmeidigem deutschen Sprechgesang eigentlich ironisch verarbeiten kann, ohne dass ihr dabei selbst langweilig wird: Es sind jetzt schon fünf Alben. "Can I kick it? / Wenn nicht jetzt / Van Damme."

Jens-Christian Rabe

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International Music - "Die besten Jahre" (Staatsakt)

Ja, sicherlich, man hat das alles schon mal gehört. Aber, und das ist dann ja doch immer der Punkt bei der Sache, hat man es denn schon jemals so gehört? So lässig weird, so beiläufig pathetisch, so - ja, das geht - ironisch ironiefrei? "Die besten Jahre" (Staatsakt) von International Music ist ein Debüt, wie es eigentlich nicht funktionieren dürfte. Das Album: viel zu lang; die Texte: viel zu kryptisch; der Sound: so dumpf verscheppert wie die gute alte westdeutsche Schwerindustrie. Kurzum: das vielleicht beste deutschsprachige Debüt des Jahres. Ganz große Velvet-Underground-Ennui trifft auf Düsseldorfer Krautrockgespenster. "Für alles" sucht "Just Like Honey" in einer Stahlschmelze im Ruhrpott, im Video rauchen die Schlote in der Ferne, "es steht ein Haus, wo früher Wiese war". Musik als flüchtige Emotion. Es knarzt und krächzt und raunt ganz jämmerlich in den Seelen und den Songs von International Music. Dann erhebt sich aus dem Bauschutt dieser Abbruchsongs ein Gitarrenakkord, ein Mönchschor, und der deutsche Pop ist auferstanden aus Ruinen.

Julian Dörr

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Janelle Monáe - "Dirty Computer" (Warner)

Wer hätte das gedacht! Vielleicht wird ja eines Tages doch wirklich noch alles gut. Einen Hinweis darauf gibt das neue dritte Album "Dirty Computer" (Warner) der amerikanischen R'n'B-Sängerin, Songwriterin, Entertainerin, Künstlerin, James-Brown- und Prince-Wiedergängerin und Feministin Janelle Monáe. Die ersten vier Singles "Pynk", "Make Me Feel", "Django Jane" und auch "I Like That" sind jedenfalls grandios. Und im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen sagte sie schon mal, ohne mit der Wimper zu zucken, was endlich zu tun ist: "Das Patriarchat muss getötet werden."

Jens-Christian Rabe

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Willie Nelson - "Last Man Standing" (Legacy Recordings)

Man ahnt es schon eine Weile, aber langsam wird es zur Gewissheit: Bevor der amerikanische Outlaw-Country-Superstar Willie Nelson mit den Indianerzöpfen aufhören wird, Platten aufzunehmen, wird die Welt untergehen. Am kommenden Sonntag feiert der älteste Marihuana-Lobbyist des Pop seinen 85. Geburtstag. Heute erscheint mit "Last Man Standing" (Legacy Recordings) sein - yep! - 67. Studio-Album. Willie Nelson dengelt sich darauf so tiefenentspannt nuschelnd dem ewigen Leben entgegen, wie man das Nashville-Veteran eben tut. Neu oder überraschend ist daran, wie es sich für einen Nashville-Veteran gehört, absolut: nichts. Wieso auch? Ewig währt schließlich am längsten.

Jens-Christian Rabe

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Okkervil River - "In The Rainbow Rain" (ATO Records)

Auch im Pop gibt es immer noch erste Male, zum Beispiel: Lieder über Luftröhrenschnitte. Den wohl ersten Song über dieses medizinische Prozedere hat gerade Will Sheff, Kopf der Band Okkervil River, geschrieben. "Famous Tracheotomies" heißt er und es geht, nun ja, um Luftröhrenschnitte bei berühmten Personen. Zu entspannt flickernden Yacht-Rock-Gitarren erzählt Sheff von TV-Kinderstar Gary Coleman, Motown-Sängerin Mary Wells und Dichter Dylan Thomas, nur um den Song dann zur Geschichte von Ray Davies' Luftröhrenoperation ganz sacht in den Kinks-Klassiker "Waterloo Sunset" zu drehen. Okkervil River waren schon immer vieles, Blockhüttenschrate, Folkrocker, Power-Popper, auf "In The Rainbow Rain" (ATO Records) sind sie alles. "Pulled Up The Ribbon" ist Synthie-Americana wie von The War On Drugs. Der Gospelchor bäumt sich auf, das Saxophon drückt, das Piano schmettert. Feinster Monsterbarockpop, der einen aus dem Wald direkt in den Pomp führt, aus der Einsamkeit in den Eklektizismus.

Julian Dörr

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© SZ vom 25.4.18/SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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