SZ-Werkstatt:Betreten verboten

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Christof Kneer begleitet das DFB-Team seit 2001 und hat wie Jogi Löw bisher immer das Halbfinale erreicht. Womit erklärt ist, warum die Nationalelf 2004 in der Vorrunde scheiterte. Da war er ausnahmsweise nicht dabei. (Foto: SZ)

Christof Kneer aus der SZ-Sportredaktion erklärt, wie es sich im DFB-Quartier Évian so arbeitet.

Von Christof Kneer

Der erste Unterschied zur letzten Fußball-Europameisterschaft ist unüberhörbar: Es gibt keine Iren in der Stadt. Wobei man auch darüber erst mal diskutieren müsste: Ist Évian-les-Bains eine Stadt? Laut offiziellen Angaben handelt es sich um eine aus knapp 9000 Einwohnern bestehende Gemeinde im französischen Department Haute-Savoie, auf der einen Seite der Genfer See, auf der anderen die Berge. Der Ort, in dem die deutsche Nationalmannschaft untergekommen ist, verströmt das Aroma einer freundlichen, in die Jahre gekommenen Kurstadt. Vor vier Jahren, bei der EM in Polen und der Ukraine, haben die Deutschen im sehr belebten Ostseebad Sopot gewohnt, und da waren die Iren, und die Iren waren laut. Bis vier Uhr morgens haben sie auf dem zentralen Platz gesungen, aber die Deutschen wohnten etwas außerhalb, sie haben das nicht gehört.

Im edlen Hotel Ermitage in Évian hören sie nun gar nichts, außer der Kirchenuhr, die immer um fünf nach die volle Stunde schlägt. Mehr lässt sich vom Hotel kaum ausmachen, außer dem schmiedeeisernen Tor, das die eine Welt von der anderen trennt. Selten war es für Reporter so schwer, sich vorzustellen, wie diese Mannschaft wohnt. Selbst in Campo Bahia in Brasilien konnte man durch Löcher im Zaun spähen und Terrassen mit Spielern erahnen. Und in Sopot führte man die Spielerinterviews sogar im Hotelgarten, was zu regelrechten Völkerwanderungen vom Pressezelt ins Teamhotel führte. Das war die Zäsur - seit 2012 gilt fürs Teamhotel "Betreten verboten". Und die bewaffneten Männer vor dem Tor sehen nicht aus, als seien sie für Argumente oder Sachspenden zugänglich.

Den Reportern, die ein Interview bewilligt bekommen, werden die Spieler dieses Mal zugeführt, sie werden vor dem Pressezentrum aus Kleinbussen ausgeladen und können dann in einem getrennten Raum von einem oder mehreren Reportern 20 Minuten befragt werden. Das ist der Moment, in dem man merkt, dass die Spieler tatsächlich in Évian sind. Unten im Ort sind sie so oft wie die Iren, nämlich nie.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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