Sprache:Realität zu Sex und Gewalt

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Zur "Me Too"-Debatte hat Nina Bovensiepen jüngst in einem Kommentar darauf hingewiesen, dass man dabei auch auf die treffenden Begriffe zurückgreifen müsse. Leserinnen und Leser liefern hierzu wichtige Ergänzungen.

"Worte, die verletzen" vom 24. Januar:

Endlich wird einmal darauf hingewiesen, dass Sprache unser Wahrnehmen und unser Denken beeinflusst! Es ist tatsächlich absurd, dass Vergewaltigung in den Medien (weltweit) mit den Begriffen "sexueller Missbrauch" oder gar "sexuelle Belästigung" verharmlost wird. Das Wort "Vergewaltigung", welches die "Gewalt" enthält und den Tatbestand treffend beschreibt, wird in Nachrichten und Kommentaren selten verwendet. Wie Nina Bovensiepen richtig beschreibt, werden dadurch Tatsachen verdreht und gefälscht. Es wird mittels Sprache eine Realität geschaffen, die die Opfer verhöhnt und die Täter entlastet.

Eine ähnliche Verfälschung und Verharmlosung findet übrigens auch bei der Bezeichnung "Sexarbeit" anstelle von Prostitution statt. Es soll suggeriert werden, dass es sich um "normale" Lohnarbeit handelt - was es definitiv nicht ist!

Gabriele Lauterbach-Otto, Überlingen

Es geht um erzwungenen Sex

Das einfühlsame Mitleiden der Verfasserin des Artikels sollte nicht das Denken und klare Sprechen vernebeln: Es ist verharmlosend, bei einer Vergewaltigung nur von einer Sex-Attacke zu schreiben, aber natürlich hat eine Vergewaltigung etwas mit Sex zu tun - es ist erzwungener Sex. Wenn ein Opfer "zum Sex gezwungen" wurde, dann geht es natürlich um Sex, der Grad der Brutalität wird dabei nicht benannt (der besser nicht verschwiegen werden sollte): "Das Deutsche hat viele eindeutige, klare Worte" - da hat die Autorin recht.

Gisela Bohle, Berlin

Das wirkt unglaubwürdig

Dass Worte verletzen können, ist unbestreitbar. Einige Verletzungen durch Worte (Beleidigung, üble Nachrede) sind Straftatbestände. Andererseits definiert ein beliebiges Wörterbuch "vergewaltigen" als: "1. jemanden durch Anwendung, Androhung von Gewalt zum Geschlechtsverkehr zwingen. 2. auf gewaltsame Weise seinen Interessen, Wünschen unterwerfen". Nina Bovensiepens zweifache Behauptung, Vergewaltigung habe nichts mit Sex zu tun, ist also entweder paradox oder der sprachreinigende Vorschlag, den Ausdruck nur in der zweiten, metaphorisch erweiterten Bedeutung zu verwenden. Das ist aber, wenn das Geschlechterverhältnis, wie in der "Me Too"-Debatte, ausdrückliches Thema ist, wiederum entweder paradox oder der Versuch, eine Norm sprachpolitischer Korrektheit zu etablieren, der völlig vergeblich sein dürfte. Das vernünftige und wünschenswerte Bestreben, das Geschlechterverhältnis allgemein an Normen des respektvollen Umgangs und der Freundlichkeit zu binden, sollte sich nicht durch Paradoxien unglaubwürdig machen.

Ernst Michael Lange, Berlin

© SZ vom 05.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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