Gesellschaft:Eltern arm, Kinder arm

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"Es geht um die Kinder" vom 24. Oktober:

Über die in die Millionen gehende Anzahl armer Kinder wird auch von der SZ breit berichtet - natürlich sehr zu Recht. Einerseits. Andererseits ist das auch wieder verwunderlich, weil nämlich das Faktum verbreiteter allgemeiner Armut in unserer Gesellschaft sonst gern kleingeredet, beschönigt, relativiert wird. Das passt nicht zusammen. Schließlich sind Kinder, wie jeder weiß, noch keine selbständigen Wirtschaftssubjekte, sind also genau dann "arm", wenn und weil ihre Eltern es sind. "Kinderarmut" ist daher eigentlich ein irreführender Ausdruck - nicht weil das mit ihm bezeichnete Faktum nicht vorhanden wäre, sondern weil er die soziale Lage der Kinder in interessierter, sachfremder Weise abtrennt von jener ihrer Familien. Könnte das daher kommen, dass Kinderarmut mit Gefahren für die Zukunft konnotiert wird, während anständige Einkommen für alle, mit denen auch die Kinder ordentlich versorgt wären, mit dem Wirtschaftswachstum in der Gegenwart nicht vereinbar wären?

Mathias Günther, Hamburg

Auch eine Definitionssache

Ulrike Heidenreich bezieht sich in ihrem Kommentar zur Kinderarmut auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Deren Studien sind meistens aufsehenerregend, mehr aber auch nicht. Kinderarmut ist zu einem Thema fernab der Fakten geworden. Kinder und Jugendliche erhalten einen Regelsatz in Sozialhilfe oder Grundsicherung, der ihren Regelbedarf nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts deckt. Dazu kommen die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung. Ferner "die Bedarfe" für Bildung und Teilhabe. Außerdem die einmaligen "Bedarfe", zum Beispiel für Bekleidung. Beiträge für die Krankenversicherung werden übernommen. Die Betreuung in Kindertageseinrichtungen ist gebührenfrei. Dass dennoch nur eine bescheidene Lebensführung möglich ist, wird niemand bestreiten. Aufwändige Kindergeburtstage oder ein neues Smartphone sind sicher ausgeschlossen, was aber nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Arm ist also nur, wessen Einkommen unter diesen Bedarfssätzen liegt, nicht aber, so die Studie, unter 60 Prozent eines Durchschnittseinkommens, das ja auch durch Spitzeneinkommen bestimmt wird.

Prof. em. Peter-Christian Kunkel, Offenburg

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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