Diskriminierung:Recht haben und recht bekommen

Lesezeit: 2 min

Ein Leser schildert detailliert, welche Fehler bei der Konstruktion des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gemacht wurden - und wie den Betroffenen besser zu helfen wäre.

Von Alexander Klose, Berlin

Ihrer in "Erwartung und Frust" vom 10. August geäußerten Kritik an symbolischer Gesetzgebung kann ich mich nur anschließen. Sie führt im schlimmsten Fall zum Verlust des Vertrauens in die Handlungsfähigkeit von Politik. Will man nicht in den Chor derer einstimmen, die generell die Steuerungsfähigkeit von Recht infrage stellen, lohnt es sich, der Frage nachzugehen, warum Gesetze ihre Ziele verfehlen.

Dafür ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein anschauliches Beispiel. Zur Durchsetzung des Diskriminierungsverbots waren 2006 verschiedene Wege denkbar. Der Gesetzgeber hätte sich, wie in Frankreich oder der Schweiz, für ein strafrechtliches Verbot entscheiden können, bei dem Polizei und Staatsanwaltschaft die Rechtsdurchsetzung übernehmen. Andere Länder wie Schweden oder Nordirland haben spezielle Behörden geschaffen, deren Aufgabe die Durchsetzung der Diskriminierungsverbote ist.

Der Bundesgesetzgeber hat sich für ein privatrechtliches Regelungsmodell entschieden. Die Geschädigten müssen sich danach selbst um die Rechtsdurchsetzung kümmern, indem sie Ansprüche auf Gleichbehandlung, auf Schadensersatz und Entschädigung geltend machen. Sieht die diskriminierte Person von der Mobilisierung des AGG ab, kann die Diskriminierung - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht sanktioniert werden.

Von "recht haben" zu "recht bekommen" ist es ein weiter Weg; für viele Betroffene zu weit. Nur etwa sechs Prozent der Fälle, in denen eine Diskriminierung von den Betroffenen erkannt wird, erreichen die Gerichte. Oft fehlt es am Wissen darüber, wo und wie man sich gegen Diskriminierungen wehren kann. In anderen Fällen ist es die Angst um den Arbeitsplatz oder eine Wohnung. Aber auch die Sorge vor den finanziellen Kosten der Beratung und den psychischen Belastungen eines Gerichtsverfahrens hält Menschen davon ab, ihre Rechte durchzusetzen. Diese Probleme sind nicht neu. Die mit dem Verbot der Geschlechterdiskriminierung sowie in anderen Ländern gesammelten Erfahrungen spiegeln sich in den europäischen Gleichbehandlungs-Richtlinien, die den Mitgliedstaaten vorschreiben, Antidiskriminierungsstellen einzurichten und die Beweislast zu erleichtern. Dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung an vielen Stellen nicht über das Minimum hinausgegangen und an manchen Stellen dahinter zurückgeblieben ist, war kein Zufall. Nicht überzogene Erwartungen, sondern überzogene Befürchtungen führten dazu, dass dem AGG die Zähne gezogen wurden.

Eindrücklich lässt sich dies am Beispiel des Schutzes von Beschäftigten vor Diskriminierungen durch Kunden zeigen. Eine entsprechende Schutzpflicht der Arbeitgebenden steht seit 2006 im AGG, wonach diese "die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen" haben, wenn die diese "bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte" benachteiligt werden. Doch der im Entwurf von 2004 noch enthaltene Anspruch auf "Entschädigung durch den Arbeitgeber" wurde im weiteren Verfahren gestrichen. Damit findet sich im Gesetz eine Pflicht, die sich kaum durchsetzen lässt. Dies führt zu Frust. Der Gesetzgeber sollte faule Kompromisse vermeiden und denen, die das Recht durchsetzen wollen, dafür auch die erforderlichen Instrumente an die Hand geben.

Alexander Klose, Berlin

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

Es können nur Zuschriften veröffentlicht werden, die sich auf benannte Artikel der Süddeutschen Zeitung beziehen. Zuschriften ohne Angabe des vollen Namens und der vollständigen Adresse können wir nicht bearbeiten. Bitte geben Sie für Rückfragen auch immer Ihre Telefonnummer an.

forum@sueddeutsche.de

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK