Bundeswehr:Hitlergruß zum Morgenappell

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Ursula von der Leyen hat der Bundeswehr ein Haltungsproblem und Führungsschwäche vorgeworfen und wurde dafür selbst scharf attackiert. Viele Leser stärken der Ministerin in ihren Leserbriefen den Rücken.

"In eigener Sache" vom 6./7. Mai, "Bundeswehr soll ihr Selbstbild prüfen" und "Ich doch nicht" vom 4. Mai sowie "Master in Verschwörungstheorie" und "Wer das Nest beschmutzt" vom 3. Mai:

Wie weit sind wir gekommen?

Als "Kriegskind"-Jahrgang 1944, deren Eltern und Verwandte durch den Krieg und die Hitlerzeit großes Leid erduldet haben, frage ich mich sehr besorgt, wie weit wir in diesem Land, das ich noch für einen Rechtsstaat halte, gekommen sind, wenn eine Verteidigungsministerin sich bei der Truppe dafür entschuldigen muss, dass sie offensichtliche Missstände in eben dieser Truppe rügt. Neben der Frage, ob ein Mann in diesem Amt auch so einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hätte, treibt mich vor allem die Tatsache um, dass rechtes Gedankengut und Bezüge zur "Wehrmacht" in der Bundeswehr offensichtlich keine Einzelfälle sind. Meine Reaktion auf die bisher bekannt gewordenen Vorfälle: Ursula von der Leyen hatte keinen Grund, sich bei der Truppe zu entschuldigen!

Anneliese Lindinger-Friedl, Deggendorf

Hoffen auf volle Aufklärung

Bereits 1986 wurde gegen einen Hauptmann und Kompaniechef disziplinar ermittelt, der im Verdacht stand, monatelang beim Morgenappell die angetretene Kompanie mit dem Hitlergruß begrüßt und in seinem Dienstzimmer nationalsozialistische Embleme ausgestellt zu haben. Der seinerzeit ermittelnde Wehrdisziplinaranwalt sollte rückhaltlos aufklären; tatsächlich erwarteten alle höheren Disziplinarvorgesetzten bis hinauf zum Inspekteur des Heeres, dass die Ermittlungen - wie bei der Masterarbeit des jungen Oberleutnants - zu keiner "disziplinaren Relevanz" führen sollten. Als der damalige Wehrdisziplinaranwalt allerdings den gesetzlichen Ermittlungsauftrag tatsächlich ernst nahm, wurde er abgelöst und mit Versetzung bedroht. Seine Laufbahn endete abrupt. Das Geschehen hat zu keiner Intervention zugunsten des bei den Vorgesetzten in Ungnade gefallenen Wehrdisziplinaranwalts geführt. Wer das Nest beschmutzt, muss weg oder, wie es Heribert Prantl treffend formuliert hat, gilt "als verdächtiger als die Rechtsradikalen selbst". Rechtsradikale Tendenzen in der Truppe sind also nichts Neues. Allerdings sah man früher augenzwinkernd darüber hinweg. Es bleibt zu hoffen, dass von der Leyen tatsächlich wie angekündigt umfassend aufklärt.

Dr. Wolfgang Stauf, Runkel

Tapfer gekämpft

Die Aussagen der Verteidigungsministerin dürfen nicht so stehen bleiben! Selbstverständlich hat sie recht, wenn sie sagt, dass "die Wehrmacht nicht traditionsstiftend für die Bundeswehr sein kann". Ich denke, das behauptet auch niemand. Dass sie aber weiter ausführt, "einzige Ausnahme seien einige herausragende Einzeltaten im Widerstand", ist eine Beleidigung all der deutschen Soldaten, die zum größten Teil nicht freiwillig in den Krieg gezogen sind. Sie wurden eingezogen und hatten keine Wahl. Sie haben tapfer gekämpft, sie haben ihr Leben gelassen, ihre Gesundheit auf Dauer ruiniert oder Arme oder Beine geopfert. Mein Onkel zum Beispiel war niemals in der NSDAP, er wurde wegen "Aufmüpfigkeit" eingezogen und nach Russland geschickt. Was hätte er als junger Mann machen sollen? Sich einfach erschießen lassen oder hoffen, dass er "die Schweinerei" (wie er es nannte) irgendwie überlebt. Er hat überlebt. Der Vater einer guten Freundin hatte während des Krieges Heiratsurlaub bekommen, wenige Tage. Er heiratete und wurde anschließend sofort nach Stalingrad geschickt. Er kam nicht wieder; seine Tochter und er haben sich nie kennenlernen dürfen. Darf Ministerin Ursula von der Leyen also unwidersprochen behaupten, "ansonsten habe die Wehrmacht nichts mit der Bundeswehr gemein"? Das wäre bedauerlich, denn man kann unserer Bundeswehr nur wünschen, dass ihre Mitglieder - Männer und Frauen - ebenso tapfer sind wie viele der Wehrmachtssoldaten und dass sie sich weiterhin so aufopferungsvoll ihren Aufgaben widmen, auch wenn man sich fragen muss, ob Kämpfe in Afghanistan oder Somalia wirklich der deutschen Sicherheit dienen. Frau von der Leyen täte gut daran, ihre Aussagen zu korrigieren.

Elisabeth Freifrau von Mahs, Moosach

Schleimige Scheinheiligkeit

Mindestens so wichtig wie die freiheitlich demokratische Grundordnung ist der Truppe die Tradition, nur eben nicht die der demokratisch legitimierten Bürgerarmee, sondern die einer vermeintlich "großen" und "heroischen" Streitmacht. Wer "gedient" hat, weiß aus eigener Erfahrung, dass solche und andere unzeitgemäße Memorabilien der Stilrichtung Blut und Ehre in den sogenannten "Uffz"- und "Offz"-Kellern vermutlich fast jedes Kompaniegebäudes hingen und vermutlich noch hängen. Natürlich nicht in den Mannschaftsheimen und Kantinen, dorthin verirrt sich eben doch mal ein Zivilist. Ich empfehle eine Websuche mit den Stichworten "Bundeswehr" und "Aufnahmeritual". Jeder General war auch einmal Schütze oder Grenadier, und er kennt solche Rituale. Sie wurden - und werden - von oben her geduldet, ermöglicht und angeordnet, und zwar nicht nur von niederen Vorgesetzten. Ursula von der Leyen ist die Erste, die diese seit Jahrzehnten bekannten Missstände in der Bundeswehr etwas deutlicher anspricht, und dafür hat sie meine Anerkennung. Offenbar musste tatsächlich erst eine Frau in dieses Amt kommen, um diese Realität einmal an die Öffentlichkeit zu bringen. Und sie stellt auch nicht jeden Soldaten per se unter Verdacht, sie sagt lediglich und ebenfalls als Erste, dass es sich hierbei sehr wohl nicht um "Einzelfälle" handelt, sondern um ein strukturelles Problem. Das Verhalten der SPD dazu, und das sage ich mit einem 35 Jahre alten roten Parteibuch, ist dagegen an schleimiger Scheinheiligkeit nicht mehr zu unterbieten.

Michael-Alexander Seitz, München

Schwarzer-Peter-Spiel

Die von der Ministerin in ihrer Bundeswehr gerügte Führungsschwäche dürfte auch auf zunehmend unklare Vorgesetztenverhältnisse zurückzuführen sein. Klare Vorgesetztenketten von der Ministerin bis zu jedem einzelnen Soldaten sind gerade beim Militär notwendig und im Grundgesetz (Art. 65a GG) sowie im Soldatengesetz vorgeschrieben. Wenn diese aber mehr und mehr durch verschiedene zusätzliche Zuständigkeiten überlagert werden, darf man sich doch nicht wundern, wenn keiner sich mehr so richtig zuständig fühlt. Im Erfolgsfalle gibt es dann viele Väter, die befördert werden können; wenn etwas passiert, folgt dann das Schwarze-Peter-Spiel.

Dr. Alexander Poretschkin, Rheinbach, Lehrbeauftragter für Wehrrecht, Universität Speyer

Problem in der Zwischenebene

Man merkt, es ist Wahlkampf! Wirklich schade, dass diejenigen, die es besser wissen, diese unglaublichen Vorkommnisse gegen die Verteidigungsministerin, die die Vorgänge in Gänze aufklären will, in typisch populistischer Form verwenden. Als Ursula von der Leyen davon sprach, dass die Bundeswehr ein "Haltungsproblem" und offensichtlich eine "Führungsschwäche" auf verschiedenen Ebenen hat, da konnten nur Böswillige diese Aussagen auf die "Truppe" im Allgemeinen beziehen. Gemeint waren Teile des höheres Führungspersonals der Bundeswehr und das engere Umfeld derer, die aus falsch verstandener Kameradschaft und falschem Korpsgeist geschwiegen und die Verfehlungen gedeckt haben.

Wie konnte es aber zu solchem Verhalten kommen? Seitdem die Inspekteure der Teilstreitkräfte aus dem Ministerium "verbannt" wurden, seitdem die Arbeitszeitverordnung für die Bundeswehr Dienstaufsicht nach der Dienstzeit fast unmöglich macht und man die kasernenpflichtigen Soldaten ohne Aufsicht sich selbst überlässt, seitdem die Frustration über Ausbildungs- und Ausrüstungsmängel zugenommen hat, sollte man sich nicht wundern, dass die Bundeswehr ein Führungsverhaltens-, Motivations- und Informationsproblem hat. Lassen wir also die Kirche im Dorf, die Verteidigungsministerin hat gewiss kein Führungsproblem, das hat sie unter anderem mit mutigen und richtigen Personalentscheidungen bewiesen. Ein Führungsproblem haben allerdings diejenigen Vorgesetzten der Zwischenebenen, die eher beschönigen, als klare An- und Aussagen zu machen.

Reinhard E. Unruh, Schleswig

Einzelfälle

Streitkräfte sind Streitkräfte und kein gemischter Kirchenchor. Selbst dort gibt es schon einmal Missklänge. Die muss man kleinhalten, aber die Kirche im Dorf lassen. Die aktuellen Missklänge in der Bundeswehr mögen sich auf annähernd 30 Fälle belaufen. Das ist ziemlich genau ein Zehntelpromille der Truppenstärke. Konsequente Einzelfallprüfung statt Pauschalurteil und Hexenjagd sei angeraten.

Axel Bürgener, Generalleutnant a. D. Wangerland-Wiarden

Rücktritt

Im Zusammenhang mit dem angeblichen syrischen Flüchtling, dem Oberleutnant Franco A., hat die Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, die Führung der Bundeswehr sehr hart angegriffen. Sie sollte einmal das Grundgesetz, Artikel 65a konsultieren: "Der Bundesminister der Verteidigung hat die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte." Sie hat mit ihrem Angriff sich selbst (und ihre Vorgänger) kritisiert, sie sollte daraus die Konsequenz ziehen und ihr Amt zur Verfügung stellen. Andere haben es wegen wesentlich weniger schwerwiegenden Verfehlungen getan.

Dr. Hans-Peter Laqueur, Bremerhaven

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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