Brexit:Breschnew-Doktrin und Realitätsverlust

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Die Auseinandersetzung zwischen der EU und Großbritannien über die Bedingungen für den Brexit wird schärfer. Das konstatieren auch die Leser, die sich über die Bewertung der Angelegenheit aber uneins sind.

Die Auseinandersetzung wird bissiger: Demonstration gegen Theresa May in London. (Foto: epa)

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Desolate politische Union

Die 27 verbleibenden Mitglieder der EU legen ihren Kurs zu den Brexit-Verhandlungen fest und beschließen eine harte Verhandlungslinie, die vor allem mögliche weitere Austrittskandidaten abschrecken soll und in der wenig von der Einsicht zu finden ist, dass ein gedeihliches Miteinander auch nach einem Austritt der Briten für beide Seiten sinnvoll wäre. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Attraktivität der EU, wenn man glaubt, Austrittskandidaten wirtschaftlich erledigen zu müssen, um den Klub zusammenzuhalten.

Nachdem sich die deutsche Politik zu Anfang des Brexit eher für einen konstruktiven Kurs ohne unnötiges Einreißen von Brücken ausgesprochen hatte, ist es bedrückend zu sehen, wie man sich dann doch über den Tisch ziehen ließ und in die harte Linie eingeschwenkt ist, die offensichtlich primär das Ziel hat, ein Ausscheiden größerer Melkkühe aus der gigantischen Transferunion zu vermeiden. Mit europäischem Geist hat diese jetzt exekutierte Version, eine Art Breschnew-Doktrin, nichts zu tun.

Ergänzend sei auf den Vorwurf der Rosinenpickerei eingegangen, mit der eine harte Haltung gegen die Briten oft zusätzlich begründet wird. Dieser Vorwurf impliziert die Vorstellung, in einer Union müsse man erst ein paar Kröten schlucken, um sich einige Rosinen zu verdienen - eine abstruse Idee, wie ein Blick auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG zeigt, aus der sich die heutige EU ergeben hat.

Die EWG war eine prosperierende Gemeinschaft von einander freundschaftlich verbundenen Staaten - ohne Kröten! Die Briten haben die Entwicklung zur politischen Union nur widerstrebend mitgetragen. Sie hatten mit ihrem Widerstand recht. Dr. Wolfgang Buhl, Kirchseeon

Die Tories werden zerbrechen

Das UK oder besser dessen harter Teil, England, versucht, dem Kontinent zu unterstellen, er wolle es "über den Tisch ziehen". Der angesichts der pragmatischen Mentalität der Briten mehr als erstaunliche Realitätsverlust in London ergibt sich daraus, dass vor Einleitung des Brexit keine Kosten-Nutzen-Gegenüberstellung für den Austritt Großbritanniens aus der EU angestellt wurde. Großbritannien flirtet mit dem Helmut Kohl'schen Begriff des "wehenden Mantels der Geschichte", den es zu erhaschen gälte. Danach hätte nur London erkannt, dass die Brüsseler Kommission eine Art Würgeschraube für den politisch-wirtschaftlichen Wiederaufstieg des UK zu alter imperialer Größe sei. Der Kontinent müsse geradezu noch dankbar dafür sein, dass die hellsichtigen Briten die Kontinentaleuropäer gewissermaßen "wachküssten". Die Tories werden zerbrechen, wenn sich der gesamte Schadensumfang für das UK infolge des Brexit zeigen wird. Wenn erst einmal EU-Institutionen aus London abziehen und Banker auf den Kontinent strömen, wird das Gejammere über den eingeschlagenen Weg beginnen. Sigurd Schmidt, Bad Homburg

Erst verhandeln, dann zahlen

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat vor der Illusion gewarnt, dass der Brexit schmerzlos sein kann. Das Vereinigte Königreich kann die "Scheidungsrechnung" (die 60 Milliarden Euro, die es zu zahlen hat) aber nicht akzeptieren, bevor die Diskussion über den Handel ausgehandelt ist. Im Laufe der Jahre hatte das Vereinigte Königreich zugestimmt, zum Teil für viele europäische Projekte zu zahlen, aber dies geschah zu einer Zeit, als das United Kingdom vom Handel mit Europa profitierte. Wenn es diese finanziellen Verpflichtungen weiterhin erfüllen soll, kann das nur durch den fortgesetzten Handel mit der EU erreicht werden. Aus diesem Grund müssen die Handelsabkommen und die Brexit-Barzahlung zur gleichen Zeit wie die Scheidungsrechnung ausgehandelt werden. Tony Rail, Sudbury/Großbritannien

Wahlkampf mit Hammelkopf

Es ist doch sehr befremdlich, wie in England Wahlkampf geführt wird. Da wird mit Lynton Crosby ein "australischer Rottweiler" auf die Opposition losgelassen, der schon den früheren Premier David Cameron im Wahlkampf 2015 erfolgreich beraten hatte. Jetzt berät er Premierministerin Theresa May, die auf sein Anraten den zugegebenermaßen schwachen Oppositionsführer Jeremy Corbyn im Parlament direkt und unfair attackiert und ihn von Außenminister Boris Johnson als "mutton-headed, old mugwump" - als hammelköpfigen alten Querkopf - lächerlich machen lässt. Dem Rat Crosbys folgend wiederholt sie auch penetrant ihre Kernbotschaften, wie "Brexit means Brexit".

Die rechtspopulistischen Techniken und Inhalte, mit denen May und die Konservativen in England Wahlkampf führen, sollten einem zu denken geben. Jürgen Einhoff, Hildesheim

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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