Bahn:Konzern mit Stellwerkstörung

Lesezeit: 2 min

Der neue Bahn-Chef Richard Lutz hat viel Arbeit vor sich, wenn er die Bahn tatsächlich pünktlicher machen will. Leser vermuten allerdings, dass ihm das nicht so schnell gelingen wird - aus verschiedenen Gründen.

"Die Bahn kommt zu oft zu spät" vom 24. März, "Zwei Vorstände in einem" vom 23. März und "Als Bahnchef sind alle besser als Pofalla" vom 15. März:

Früher war wirklich alles besser

Was in den Debatten über die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn - und auch in der Berichterstattung darüber - regelmäßig unbeachtet bleibt, ist der Umfang der Verspätungen, die über die Schwelle von sechs Minuten hinausgehen. Er ist nämlich beträchtlich: Im Fernverkehr muss man heutzutage mit Verspätungen von 40, 60 oder 90 Minuten (oder mehr) rechnen (gerne mit den bekannten Begründungen wie "technische Störung", "Signalstörung" oder "Stellwerksstörung"). Natürlich trifft es einen nicht bei jeder Fahrt, aber solche Verspätungen kommen jeden Tag vor, und alle Fahrgäste kennen sie, was zu dem verheerenden Eindruck führt, dass man sich auf die Bahn grundsätzlich nicht verlassen kann. Bei Terminen muss man so stets einen Zusatzpuffer von mindestens einer Stunde einplanen, auch wenn kein Umsteigen erforderlich ist.

Man wartet zuweilen lange auf die Bahn - nicht nur an Streiktagen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Dazu lassen sich einige interessante Zahlen finden, auch historische: Eine Statistik aus dem Zeitraum des Winter(!)fahrplans 1971/72 (im Wikipedia-Artikel "Intercity") besagt, dass damals aus einer Gruppe beobachteter TEE- und IC-Züge der Deutschen Bundesbahn 0,2 Prozent mehr als 30 Minuten Verspätung hatten; in der Untersuchung der Fernverkehrspünktlichkeit im Jahre 2011 durch die Stiftung Warentest hingegen kamen die Züge mit Verspätungen in dieser Höhe auf einen Anteil von sieben Prozent. Das bedeutet eine Zunahme des Anteils auf das 35-Fache (2007 waren es übrigens "erst" vier Prozent). Das Gefühl, dass sich hier fundamental etwas geändert hat, bestätigt sich: Was zur Zeit der Beamtenbahn ein Ausreißer war, ist zum Teil der Normalität geworden. Eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent wäre viel akzeptabler, wenn die restlichen Züge bloß um 10, 15 oder 20 Minuten verspätet wären, aber leider gehen die verbleibenden Werte immer wieder ins Monströse. Prof. Lorenz Rumpf, Frankfurt am Main

Mehr politische Vorgaben, bitte

Die Bahn braucht nicht weniger, sondern mehr politische Vorgaben. Von der Politik muss klar formuliert sein, was die Bahn in einem Gesamt-Verkehrskonzept sein soll und was sie leisten soll. Nur mit einem klaren Auftrag kann ein Vorstand Visionen entwickeln.

Der Bund als Eigentümer hat dagegen die Bahn wurschteln lassen und seit vielen Jahrzehnten vernachlässigt. Autobahnen und Straßen werden in Staatsträgerschaft überall gebaut, aber die Bahn soll auf viel zu vielen Hauptstrecken die Anforderungen des 21. Jahrhunderts auf den Trassen des 19. Jahrhunderts erfüllen. Die schnellen ICE-Strecken nutzen nichts, wenn der schicke Zug am Ende von einem Güterzug ausgebremst wird. Will man das vermeiden, muss man auf den hochbelasteten Strecken den Güter- vom Personenverkehr trennen. Dann muss auch ein Güterzug nicht immer stehen bleiben, wenn eine Regionalbahn kommt. Nur dann kommen mehr Güter auf die Schiene. Seit Jahrzehnten wird dieses Mantra aufgesagt, aber nichts geschieht, um wenigstens den Rückgang aufzuhalten.

Soll die Bahn der Konkurrenz gewachsen sein, müssen vor allem bei den Trassenkosten vergleichbare Bedingungen geschaffen werden. Das alles sind Grundlagen, die der Bund als Eigentümer zu richten hat, um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, und das ist schon dann richtig, wenn man die Bahn allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet.

Denkt man aber an die politische Aufgabe der Klimaziele, dann wäre schon seit vielen Jahren kein Weg an entschiedenem Ausbau und Stärkung der Bahn vorbeigegangen. Das ist eine eindeutig politische Aufgabe, und daran fehlt es bis heute. Bleibt es, wie es ist, wird sich auch der neue Vorstand verheddern, ohne Visionen entwickeln zu können. Dr. Friedrich-Karl Schmidt, Weinheim

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: