Verkürztes Gymnasium:Mehr Unterricht - bessere Schüler

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Das verkürzte Abitur bedeutet für Schüler Stress und Leistungsdruck. Eltern fordern deshalb Stundenkürzungen. Doch eine neue Studie zeigt, wie fatal dies wäre.

B. Taffertshofer

Manche Politiker und Eltern fordern es immer wieder: die Kürzung von Unterrichtsstunden am Gymnasium. Denn seit den Schülern nur noch zwölf Jahre bis zum Abitur bleiben, wollen die Klagen über lange Schultage und Leistungsdruck nicht verstummen. Einige Bundesländer schritten bereits zur Tat und verwandelten bisherige Pflichtstunden in freiwillige Angebote, um gestresste Schüler zu entlasten.

Unterrichtsstunden in den verschiedenen Bundesländern: Die neuen Länder liegen an der Spitze. (Foto: Foto: SZ-Grafik)

Doch eine aktuelle Studie der Technischen Universität (TU) München dürfte Befürwortern von Unterrichtskürzungen nun zu denken geben. Denn sie zeigt, dass Gymnasiasten aus Bundesländern, die mehr Schulstunden vorschreiben, beim Pisa-Test oft besser abgeschnitten haben.

Pisa-Siegerland Sachsen

"Die Anzahl der Unterrichtsstunden wirkt sich ganz klar auf den Lernerfolg aus", sagte Bernd Süßmuth, der die Studie gemeinsam mit Carolin Amann und Robert von Weizsäcker verfasst hat. So erhalte ein Gymnasiast im Pisa-Siegerland Sachsen sogar zehn Prozent mehr Pflichtunterricht als ein Schüler in Berlin, das im Pisa-Ranking bislang weit abgeschlagen lag. Auch die Gymnasiasten aus Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen, die bei Pisa bisher gute Ergebnisse erzielten, müssten vergleichsweise viel Unterricht besuchen.

Damit widerspricht die Studie einer Aussage des Pisa-Forschers Manfred Prenzels, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Fachstundenzahl und Lernerfolg. Die Befürworter von Ganztagsschulen fühlen sich durch die Studie bestätigt und verlangen ein Finanzprogramm für den Ausbau der Ganztagsschulen.

Ein Unterschied von 1000 Stunden

Die Münchner Untersuchung misst erstmals, wie viele Schulstunden Gymnasiasten von der ersten bis zur neunten Klasse erhalten, wenn sich die Schüler den Pisa-Aufgaben stellen müssen. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind demnach groß. Die Stundensummen variieren zwischen knapp 9000 und mehr als 10.000 Stunden. "Ein Ergebnis, das alarmieren sollte", sagt Süßmuth. Zwar sei die Stundensumme nicht alleine ausschlaggebend, aber außer der Qualität des Unterrichts sei die Lernzeit ein "bislang unterschätzter Einflussfaktor". Zumal mangels geeigneten Vertretungslehrern in der Regel noch weiterer Unterricht wegen Krankheit oder Fortbildungen entfallen müsse.

Der Studie zufolge führen bereits 500 zusätzliche Schulstunden zwischen erster und neunter Klasse zu deutlich besseren Lernerfolgen. Das bedeutet nach Aussagen Süßmuths, dass sich bereits aus dem wöchentlichen Ausfall einer Mathematikstunde von 60 Minuten eine Verschlechterung um drei Ränge innerhalb der Pisa-Bewertung der Bundesländer ergeben kann.

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Neuauflage der Ganztagsschule

Außer der Gesamtstundenzahl geht die Studie auch auf einzelne Fächer ein. Demnach erhalten die Gymnasiasten in Baden-Württemberg am meisten Deutschunterricht. Während dort von der ersten bis zur neunten Klasse knapp 1900 Deutschstunden unterrichtet werden, sind es in Niedersachsen lediglich 1550. In Mathematik klaffen die Unterschiede weniger weit auseinander, hier liegt der Stundenunterschied zwischen Brandenburg (1400) und Sachsen-Anhalt bei etwa 300 Stunden.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Bildungsgipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Oktober fordern Sozialdemokraten und Grüne die Neuauflage eines Bund-Länder-Programms zum Ausbau der Ganztagsschule. Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Priska Hinz, erwartet sich auf dem Bildungsgipfel eine Einigung dazu.

Keine Verantwortung

Auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen, Koordinatorin der SPD-geführten Länder, hält die Ganztagsschule für die "entscheidende Reform im Schulbereich" und wirbt für die Neuauflage des Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB). Der Bund könne beispielsweise die Förderung der Schulsozialarbeit übernehmen.

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundesfraktion, Jörg Tauss, hält sogar eine Neuverteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern für denkbar. Aus der CDU gibt es bisher aber nur verhaltene Signale zur Weiterführung des IZBB, das 2009 ausläuft und vier Milliarden Euro kostete. Der Bund stehe seit der Föderalismusreform nicht mehr in der Verantwortung, heißt es.

© SZ vom 20.8.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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