Motivationsstrategie:Spielen ist die halbe Arbeit

Motivationsstrategie: Mitarbeiter einer amerikanischen Lampenfirma werden für jeden Arbeitsschritt am Fließband mit Punkten belohnt. Zur Illustration haben Entwickler die Spielanwendung nachgebaut.

Mitarbeiter einer amerikanischen Lampenfirma werden für jeden Arbeitsschritt am Fließband mit Punkten belohnt. Zur Illustration haben Entwickler die Spielanwendung nachgebaut.

(Foto: OH)
  • Immer mehr Unternehmen setzen spielerische Elemente ein, um ihre Mitarbeiter zu motivieren.
  • Wissenschaftliche Studien belegen den Erfolg von "Gamification" - unter bestimmten Bedingungen.
  • Datenschützer fürchten jedoch eine Rundum-Überwachung.

Von Sebastian Jannasch

Wenn die Mitarbeiter einer amerikanischen Fabrik für Tischlampen ins Werk kommen, fängt der Spaß erst an. Die Arbeit am Fließband wird zum Spiel. Für jeden Handgriff vom Auspacken der Bauteile bis zum Qualitätscheck des Lampenschirms kassieren die Arbeiter Punkte. Gegenseitige Hilfe bringt Bonuspunkte. Sensoren erfassen jeden Arbeitsschritt. Je mehr Leuchten richtig zusammengebaut werden, desto schneller schießt der Punktestand in die Höhe, der auf einem Display an der Fertigungsstraße angezeigt wird. Zum Vergleich wird die Punktzahl des Vortages gezeigt. Regelmäßig treten die Teams unterschiedlicher Produktionsstätten gegeneinander an. Statt monotoner Akkordarbeit soll ein animierender Wettbewerb entstehen, der die Mitarbeiter bei Laune hält und die Produktivität steigert.

"Spielerische Elemente im Arbeitsablauf führen zu größerer Motivation, weniger Fehlern in der Fertigung und mehr Austausch unter Mitarbeitern", sagt Jörg Niesenhaus von der Softwarefirma Centigrade aus Saarbrücken, die die Anwendung für den Großkonzern mit mehreren Tausend Mitarbeitern entwickelt hat.

Immer mehr Unternehmen entdecken, dass sich der menschliche Spieltrieb nutzen lässt, um Arbeitsabläufe effizienter zu machen. Im Zuge der Digitalisierung ist es einfach geworden, Arbeitsschritte minutiös zu erfassen und eintönige Tätigkeiten durch virtuelle Animationen aufzupeppen. Datenschützer fürchten eine Überwachung von Arbeitnehmern. Dennoch ist "Gamification" mittlerweile zum Schlagwort bei Unternehmenslenkern geworden.

Ein deutscher Automobilhersteller setzt in seiner Produktion bereits auf Spielprinzipien

Vor einigen Jahren von Industrieunternehmern noch als Spielerei für IT-Start-ups abgetan, findet die Anwendung nun auch immer stärker Einzug in deutsche Fertigungshallen und Büros. "Die Nachfrage ist stark gestiegen. Inzwischen bekommen wir jede Woche Anfragen von Unternehmen, zunehmend auch von mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern", sagt Niesenhaus, der elf Jahre lang bei Firmen wie Blue Byte Computerspiele entwickelte. Derzeit befinde er sich in Gesprächen mit zwei Dax-Unternehmen, die daran interessiert sind, Gamification in der Fertigung einzusetzen. Ein großer deutscher Automobilhersteller nutze in seiner Produktion bereits Spielprinzipien.

Das Kalkül hinter der spielerischen Gestaltung der Arbeit ist einfach: Knapp 30 Millionen Deutsche zocken regelmäßig digitale Spiele, meist über Stunden hoch konzentriert, gefesselt von virtuellen Spielwelten und getrieben vom Wunsch, ins nächste Level zu kommen. Ideal, wenn Unternehmer diesen Zustand, den Psychologen als "Flow" bezeichnen, während der Arbeitszeit erzeugen können.

Ein eingestellter Rekord stärkt das Selbstbewusstsein und spornt an, die nächste Bestleistung abzuliefern. Anstatt Angestellte mit Geldboni zu locken, soll Gamification die innere Motivation steigern. "Monetäre Anreize verpuffen sehr schnell. Nachhaltiger sind Belohnungen in Form von Anerkennung, Einbindung und Feedback", sagt Daniel Meusburger, Gamification-Experte bei der Unternehmensberatung Accenture.

Gamification muss über reine Punktesysteme hinausgehen

Schon vor ein paar Jahren experimentierte die IT-Branche als Vorreiter mit spielerischen Belohnungen im Arbeitsalltag. So ließ Microsoft bereits 2008 IT-Spezialisten aus verschiedenen Ländern gegeneinander antreten. Das Ziel: So viel Mängel wie möglich in den lokalen Versionen der Office-Bürosoftware zu finden. In wenigen Tagen wurden so 170 Fehler aufgespürt.

Nach dem ersten Hype interessieren sich nun auch Industrieunternehmen für Gamification. "Inzwischen nehmen deutsche Unternehmen die Integration digitaler, spielerischer Elemente als ernsthafte Option wahr", sagt Berater Meusburger. Den Firmenchefs sei mittlerweile klar, dass Gamification über reine Punktesysteme hinausgehen muss. Andernfalls folgen lediglich kurze Motivationsschübe anstatt nachhaltiger Motivation. Doch anspruchsvolle Spieldesigns, die nicht nach ein paar Tagen wieder langweilig werden, erfordern hohe Investitionen. Für professionelle Anwendungen fallen Kosten in sechsstelliger Größe an, sagt Experte Niesenhaus.

Erste wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit

So viel Geld stellen Unternehmer nur bereit, wenn sich der Spielspaß auch in den Erträgen positiv niederschlägt. Interessiert schauen sie deshalb auf erste wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Gamification. Das deutsche Forschungsprojekt motionEAP untersucht den Effekt spielerischer Elemente in der Fertigung. Dafür projizierten die Forscher eine virtuelle Figur auf eine Werkbank, die eine Pyramide erklimmen muss. Jede Stufe steht für einen Montageschritt; ist dieser erledigt, hüpft das blaue Männchen eine Stufe hoch. Überschreitet ein Arbeiter die vorgesehene Bearbeitungszeit, verfärbt sich der Balken zunehmend von grün zu rot. Macht der Arbeiter einen Fehler, verschwindet der Pokal an der Spitze der Pyramide. So gibt es ein ständiges Feedback im Fertigungsprozess.

Getestet wurde das Design zunächst in einer Werkstatt, in der Behinderte arbeiten. Das Ergebnis: "Die Produktivität stieg stark an, und die Mitarbeiter waren motivierter", sagt Oliver Korn, Professor an der Hochschule Offenburg, der das Projekt wissenschaftlich betreut. Das Spieldesign wurde auch bei Trainern und Mitarbeitern von Audi getestet. Der Ingolstädter Autohersteller interessiert sich dafür, Gamification-Elemente bei der Aufbereitung von Autoteilen zu integrieren. Darüber entschieden wird aber erst nach Ablauf der Testphase Ende des Jahres.

Eine andere Untersuchung der TU und der LMU München mit Beschäftigten der Logistikbranche, die Produkte zum Versand zusammenpacken, zeigte, dass sich die Arbeiter durch digitale Spielelemente motivierter und autonomer fühlten. Auch waren sie in den Tests produktiver und machten weniger Fehler. "Es muss aber noch überprüft werden, ob diese Effekte im realen Industrieeinsatz und über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben", sagt der Betreuer der Studie, Markus Klevers.

Motivation oder Manipulation?

Um automatische Feedbacksysteme zu erstellen, müssen alle Arbeitsschritte erfasst werden. Datenschützern ist das ein Graus. Gamification könnte als Vorwand dienen, um systematisch die Leistung jedes Einzelnen zu erfassen. Eine Rundum-Überwachung wäre in Deutschland nicht zulässig, sagt die Fachanwältin für Arbeitsrecht, Nathalie Oberthür. Vorstellbar wäre eine Gamification-Anwendung, bei der Arbeitnehmer die alleinige Kontrolle über ihre Daten behalten. "Außerdem müssten die Mitarbeiter ausdrücklich zustimmen", sagt die Juristin. Bei der amerikanischen Lampenfabrik werden beispielsweise keine individuellen Punktestände erhoben, sondern nur Teamwerte gespeichert.

Kritiker der Gamification monieren den schmalen Grat zwischen Motivation und Manipulation. Als abschreckendes Beispiel gilt ihnen der Fall aus einem Freizeitpark in Kalifornien: Reinigungskräfte wurden in Echtzeit mit Punkten bewertet: Je fleißiger sie Waschmaschinen bestückten, desto höher der Wert. Der aktuelle Stand war für jedermann auf einem Bildschirm zu sehen. Die Angestellten tauften die Anwendung "elektronische Peitsche". Nach Protesten wurde das System abgeschafft.

Motivationsstrategie: Eine auf die Werkbank projizierte Figur zeigt die Montageschritte an.

Eine auf die Werkbank projizierte Figur zeigt die Montageschritte an.

(Foto: oh)

"Was nicht funktioniert, ist, einfach Punktesysteme und Ranglisten über bestehende Arbeitsabläufe zu stülpen", sagt Berater Meusburger. "Dann ist völlig klar, dass nicht die Bedürfnisse der Mitarbeiter im Vordergrund stehen. Aus dem Spiel wird dann ein zusätzlicher Wettbewerbsdruck. Das steigert sogar die Frustration."

Schwung in Routineaufgaben bringen

Damit Gamification funktionieren kann, seien transparente Regeln und ein Spieldesign nötig, das auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter ausgerichtet ist, sagt Meusburger. Außerdem dürfen Mitarbeiter niemals zum Spiel gezwungen werden. Richtig angewendet, habe Gamification aber das Potenzial, in vielen Branchen Schwung in routinierte Aufgaben zu bringen. Zum Beispiel in der Gastronomie.

Für die Burgerkette "Hans im Glück" hat Unternehmer Andreas Steinbeißer eine Software entwickelt, die Kellnern mehr Spaß beim Bedienen und den Eigentümern höhere Umsätze bescheren soll. Über eine Plattform, die jeden Verkauf registriert, können sich Mitarbeiter zu gemeinsamen "Missionen" verabreden oder miteinander konkurrieren: Wer verkauft in einer halben Stunde mehr Bier, wer vermittelt mehr Menüs, wie schnell erreichen wir 10 000 Euro Umsatz? "Entsprechend der persönlichen Stärken wird den Nutzern eine Rolle zugeordnet, zum Beispiel "Der Braumeister" oder "Mrs. Barista". Den Status will man natürlich verteidigen", sagt Steinbeißer. Die Teilnahme an der Anwendung ist freiwillig.

Auch im Recruiting und in der Weiterbildung ist Gamification gefragt. Bei einem Planspiel des Pharmakonzerns Bayer können Nutzer ihre Management-Fähigkeiten beweisen. Siemens setzt spielerische Anwendungen ein, um Techniker den Umgang mit Störfällen üben zu lassen. Vor allem in der Industrie 4.0 sieht IT-Fachmann Jörg Niesenhaus ein vielversprechendes Einsatzgebiet. In Zukunft werden Maschinen immer stärker autonom miteinander kommunizieren, Mitarbeiter werden eingespart. Verbleibende drohen zu stummen Beobachtern zu werden, die bei Pannen eingreifen müssen.

Spielerisch gestaltete Überwachungsplattformen können positive Anreize setzen und das Gefühl zurückgeben, die Maschinen zu beherrschen. Mitarbeiter könnten Anlagen per Touchpad anwählen, um Informationen zu erhalten, Abläufe zu verändern oder Aufträge zu priorisieren. Aufmerksame, motivierte Mitarbeiter seien in der vernetzten Industrie mehr denn je gefragt, sagt Niesenhaus. Die Maschine müsse den Menschen unterstützen, nicht umgekehrt.

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