Junge Talente bei der Fashion Week:Die Suche nach dem Scoop

Branchentreff, Plattform für junge Talente und trendsichere Einkäufer, ein großer Klatsch- und Tratschzirkus, eine Nabelschau des Berliner Stils: Die Münchner Modespezialistin Kathrin Bierling mischt in der Hauptstadt mit, wenn die Fashion Week losgeht. Und das ist harte Arbeit.

Anne Goebel

Aus Berlin treffen die ersten Nachrichten ein. "So versaut war die Fashion Week noch nie", diese Zeile findet zum Beispiel die Bild witzig, weil der Designer Michael Michalsky doch ein Kleid für Miss Piggy entworfen hat. Der Tagesspiegel annonciert feierlich eine tägliche Sonderseite, die BZ gibt den Prahlhans und trompetet Sonntagnachmittag ins Netz, dass jetzt wieder "die Modewelt auf Berlin schaut".

Junge Talente bei der Fashion Week: Nicht aufgerüscht erscheinen: Modeexpertin Kathrin Bierling bloggt von der Fashion Week in Berlin - und sucht noch immer nach dem Scoop.

Nicht aufgerüscht erscheinen: Modeexpertin Kathrin Bierling bloggt von der Fashion Week in Berlin - und sucht noch immer nach dem Scoop.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Kathrin Bierling sieht das nicht so großmäulig, und das könnte an der Distanz liegen zwischen München und Berlin. Die Hauptstadt ist weit weg mit ihren Jungdesignern, Szeneläden, stattdessen fauchen in Schumanns Tagesbar sanft die Milchschaumdüsen.

Die Modespezialistin Kathrin Bierling säbelt an ihrem Schinken-Käse-Toast und sagt, dass die großen Tage von Berlin noch kommen. "Man muss der Sache Zeit geben." Vor allem muss man: hinfahren. "Mercedes Benz Fashion Week", Bread&Butter", "Premium": Wenn sich in Berlin vom heutigen Dienstag an wieder eine knappe Woche lang alles um Mode dreht, ziehen gleich mehrere Veranstaltungen kräftig Besucher an. Es gibt eine spezielle Ordermesse für feine, teure Kleidung, eine für lässige Straßen-Labels - und es gibt das Zelt am Brandenburger Tor, in dem unter dem Stern des Stuttgarter Autobauers Designer wie Joop, Boss oder Kaviar Gauche ihre Entwürfe für den nächsten Winter zeigen.

Kathrin Bierling leitet den Onlineshop des Münchner Modehauses Maendler und schreibt den ziemlich erfolgreichen Blog Modepilot. Sie fährt deshalb im Januar nach Berlin, wie jedes Jahr, und wird hauptsächlich im Zelt sein, bei den Schauen, auf den Aftershow-Partys. "Da kommen auf relativ kleinem Raum alle zusammen, die man treffen muss", sagt sie. "Das ist ja das Praktische an Berlin."

Stressig wird er trotzdem, der preußisch straff organisierte Auftakt des Modejahres - da genügt ein Blick in den Kalender der 32-Jährigen. Die Kreuze markieren ihre Zusagen, sie verzeichnen von vormittags bis weit nach 23 Uhr Schauen, Interviews, Cocktails im Stunden-, manchmal Dreißigminutentakt: Escada Sport, Lena Hoschek, Lala Berlin. Die damenhaften Marken Schumacher aus Mannheim und Rena Lange aus München, die jungen Wilden Patrick Mohr und Perret Schaad. Den Newcomer Dawid Tomaszewski nicht aus den Augen verlieren; bei Laurèl nachschauen, welche Strategie Ex-Escada-Designer Brian Rennie für die etwas biedere Firma entworfen hat; dabei sein, wenn Lokalmatador Michalsky Hof hält im Tempodrom.

Für Schlafen bleibt da nicht viel Zeit, erzählt Bierling. Ihren Blog schreibt sie in den kurzen Zwischenpausen oder morgens. "Während der Schauen posten, wie das manche Kollegen machen, das schaffe ich nicht." Essen? Sie rollt die Augen und deutet in ihrem Planer auf Thursday, January 19, 9:00 PM. "Genau hier hast du Hunger auf ein ganzes Spanferkel. Aber du kriegst keins." Also weiter Fastfood, Schnittchen, hoffen, dass der Magen durchhält. "Berlin ist Diät", sagt die gebürtige Karlsruherin, die zu Hause in ihrem Münchner Kühlschrank immer Maultaschen vorrätig hat.

Dass Modewochen Arbeit machen, wissen inzwischen auch ihre branchenfremden Freundinnen. "Die bedauern mich eher. Bis auf die Jungs, wegen der Models." Glanz und Gloria an der winterlichen Spree, das gehört natürlich auch dazu: die schönsten Mannequins, geschmeidige Nachwuchsdesigner, Chefredakteurinnen mit Primadonna-Allüren - die Maschinerie der Selbstinszenierung läuft in Berlin schon einmal warm für New York, London, Mailand und Paris.

Das Jahr beginnt in Berlin

Wer professionell mit Mode zu tun hat, beginnt das Jahr in der deutschen Hauptstadt - wer hätte das vor ein paar Jahren für möglich gehalten? Kathrin Bierling reibt sich fröstelnd die Arme in ihrem dünnen Epaulettenkleid (zum Mitschreiben: es ist von Hamilton-Paris und entzückend; Tasche: Alexander McQueen) und erzählt, dass sie seit dem Berliner Auftakt 2007 jedes Jahr dabei ist.

Als junge Modejournalistin bei der Wirtschaftswoche hatte die Tochter eines Anwalts ("er hat mir jahrelang erfolgreich erklärt, dass ich eine geborene Juristin bin") damals ihren Wunschjob ergattert und war begeistert von der Idee, ihr Land könnte ganz oben mitspielen. "Die Schauen in Paris, New York, das fand ich alles phantastisch. Aber als Moderedakteurin in Düsseldorf hätte man gerne ein deutsches Pendant." Das habe mit "Stolz" zu tun - und mit malträtierten Füßen und Nerven nach einer Modewoche im Moloch Paris.

Inzwischen sei die übersichtlichere Fashion Week in Berlin einer der wichtigsten Termine für sie: Branchentreff, Plattform für junge Talente und trendsichere Einkäufer, ein großer Klatsch- und Tratschzirkus, eine Nabelschau des Berliner Stils. Der da wäre? "Lässig. Selbstbewusst. Und immer das ganz große Bemühen, nicht aufgerüscht zu erscheinen", sagt Kathrin Bierling.

Selbst wenn das urbane Understatement von Lala Berlin oder Karlotta Wilde gar nicht ins eigene, eher aufgerüschte Luxussortiment passt, auf den Berliner Schauen muss man sein - das gilt für die Münchner Traditionsfirma Maendler an der Theatinerstraße genauso wie für das vis à vis gelegene Edelkaufhaus Theresa. Ihren eigenen Stil bezeichnet Bierling mit einem vernehmbar lauten Lacher als "Tantenschick", sie liebe Blusen, Röcke, "handwerklich gut gemachte Sachen". Die anfangs mit Feuer betriebene Jagd auf das ultimative Newcomerlabel habe sie aufgegeben, "weil ich in den Seitenstraßen dieser Welt so viel enttäuschende Qualität gesehen habe".

Bedeutend besser würde ihr der Scoop gefallen, auf Modepilot.de weltexklusiv die Nachricht vom Nachfolger des geschassten John Galliano bei Dior zu vermelden. Ganz sicher aber wird sie am Wochenende, wenn der Modetross abzieht aus der Hauptstadt, ihre ersten Prognosen abgeben für die Trends des Winters 2012/2013. "Kathrin, mon dieu, du musst erst Paris abwarten", werden die Kolleginnen wieder sagen. "Aber warum", heißt dann ihre Frage, "Berlin so unwichtig nehmen?"

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