Job im Außendienst:Von Jägern und Bauern

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"Früher verkaufte man einen Kopierer über die Anzahl der Seiten. Heute verkauft man über die gesparte Zeit." Prof. Florian Kraus, Uni Mannheim. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Nur wenige Verkäufer beherrschen beides - nach neuen Kunden fahnden und den Bestand pflegen. Doch wer nicht vor Kaltakquise und Klinkenputzen zurückschreckt, kann im Vertrieb viel erreichen.

Von Christine Demmer

Nach 30 Jahren als Verkäufer hat Andreas Schmidt gelernt, auf seinen Bauch zu hören. Zum Beispiel, wenn sich nach einem Gespräch mit einem potenziellen Kunden die Frage stellt: "Wann darf ich wieder anrufen, ohne dass er sich genervt fühlt?" Meldet er sich zu früh, wirkt das zudringlich. Wartet er zu lange, hat der Kunde woanders unterschrieben. "Ein guter Verkäufer braucht Fingerspitzengefühl", sagt der selbständige Vertriebler aus Hamburg, "und Einfühlungsvermögen in die Situation des Gesprächspartners". Das wird zwar in Seminaren gelehrt und in Rollenspielen trainiert, aber Schulung macht noch keine Spitzenverkäufer. Für den Vertrieb braucht man Talent.

Schmidt hat es auf Neukunden abgesehen: Auftrag, Abschluss, fertig. Er ist ein Jäger. "Wer Bestandskunden betreut, ist ein Bauer", erklärt er das Kastensystem des Vertriebs, "dazu gehören etwa 95 Prozent der Verkäufer." Die sind wichtig, weil auch Stammkunden gehegt und gepflegt werden müssen. Die Unternehmen aber wollen am liebsten Jäger, und die sind rar.

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"Entweder wollen die Leute nicht verkaufen, oder sie können nicht verkaufen oder beides", sagt Heide Huck, Geschäftsführerin der SCS Personalberatung in Frankfurt. "Früher hieß es: Für die Karriere muss jeder einmal durch den Vertrieb. Mittlerweile haben die Arbeitgeber erkannt, dass man Blinde nicht zum Vorlesen schicken soll." Die meisten schnappen der Konkurrenz erprobte Verkäufer weg.

Als Lockmittel dienen klangvolle Titel wie Relationship Manager, Gebietsverantwortlicher oder Director Customer Affairs, außerdem Firmenwagen und attraktive Vergütungsregelungen. "Es gibt aber nicht so viele reinrassige Jäger", sagt Huck. "Die meisten sind schon im Vertrieb tätig und in ihrer Branche bekannt."

Neulinge runzelten meist die Stirn, wenn das Wort Verkauf falle. "Im Interview frage ich dann: Haben Sie schon mal etwas verkauft? Ja, mein Auto. Und hat Ihnen das gefallen? Ja. Sehen Sie, sage ich, dann haben Sie auch Spaß am Vertrieb." Trotzdem schrecke Neukundenakquise ab. "Es mangelt an Frustrationstoleranz", sagt Huck. Vertriebler müssten nun mal damit klarkommen, abgelehnt zu werden. Doch das wollten die wenigsten.

Dem schlechten Image versucht man entgegenzuwirken, indem man den Vertrieb als Problemlösung darstellt. "Früher hat man sich auf das transaktionale Verkaufen fokussiert", sagt Florian Kraus, der an der Universität Mannheim Vertrieb und Dienstleistungsmarketing lehrt. "Man verkaufte ein Produkt, indem man dessen Leistungsmerkmale darstellte: Output, Kraft, Geschwindigkeit. Heute verkauft man Problemlösungen: Der Verkäufer muss das Problem des Kunden in Erfahrung bringen, es mit den Charakteristika des Produktes in Übereinstimmung bringen und in Kundennutzen übersetzen." Der Professor illustriert das an einem Beispiel: "Früher verkaufte man einen Kopierer über die Anzahl der gedruckten Seiten je Minute. Heute verkauft man über die gesparte Zeit und Mühe."

Die vermeintlich goldene Brücke, die viele Unternehmen beim Recruiting bauen, ist die Kombination der Aufgaben des Jägers mit denen des Bauern: Gesucht wird ein Vertriebler, der sich nicht nur um die Bestandskunden kümmert, sondern auch neue gewinnt. "Das geht aber nicht", sagt Andreas Schmidt, "weil Jäger und Bauern unterschiedliche Rollen und Einstellungen zum Beruf haben."

Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau

Für einen Jäger erlischt das Interesse an einem Kunden in dem Moment, wenn der erste Auftrag unterschrieben und der Kunde etabliert ist. Damit freilich beginnt erst die Arbeit des Bauern. "Dessen Ziel ist es, den Kunden auf Dauer zufrieden zu halten", sagt Schmidt, "und dafür braucht man ganz andere Persönlichkeiten und Prozesse." Die Stellenbeschreibungen von Key Account Managern klängen oft nach der berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Das aber sei ein Ding der Unmöglichkeit: "Wer das eine ist, kann das andere nicht werden."

Abgesehen von der Branchenerfahrung, die bei Verkäufern hoch geschätzt wird, zählt vor allem der bisherige Vertriebserfolg. Selbst auf der obersten Führungsebene werden Manager mit verkäuferischem Geschick gesucht. Auf solche "Outstanding Performer", wie sie von Personalberatern genannt werden, warten die Unternehmen auch ein paar Monate länger - Hauptsache, sie wechseln irgendwann den Standort.

Überhaupt ist Flexibilität das Gebot der Stunde. "Führungskräfte in Vertrieb und Marketing müssen mit dezentralen Strukturen zurechtkommen, sich selbst gut organisieren können, offen und interkulturell versiert kommunizieren können und Teamplayer sein", sagt der Frankfurter Personalberater Ilker Özsoy. Und: "Sie müssen bereit sein, persönlich Verantwortung zu tragen." Denn der umsatzabhängige Einkommensanteil wird tendenziell immer größer, das Festgehalt hingegen sinkt. Der augenfälligste Nachweis für den bisherigen Erfolg ist folglich ein hohes Jahreseinkommen. Und das kann die neue Personalabteilung leicht anhand der Eintragungen der alten Personalabteilung auf der Steuerkarte des neuen Mitarbeiters ablesen. Bluffer werden flugs entlarvt. Es sei denn, ihr Bauchgefühl hilft ihnen, sich plausibel herauszureden.

© SZ vom 30.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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