Hochschulen:Master speziale

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Ständig entstehen neue Studiengänge - mit immer ausgefalleneren Namen. Was die Absolventen wirklich können, ist für Personaler nicht leicht zu erkennen.

Von Christine Demmer

Eigentlich ist alles ganz einfach: Das Allgäu braucht den Fremdenverkehr. Der Fremdenverkehr braucht gut ausgebildete Führungskräfte. Also braucht das Allgäu ein Weiterbildungsangebot für aufstrebende Tourismusmanager. Deshalb hob die Hochschule Kempten vor gerade einmal drei Jahren den Master-Studiengang "Innovation und Unternehmertum im Tourismus" aus der Taufe. Auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin bekam sie dafür sogar einen Preis.

Doch schon zwei Jahre später, als die Zahl der Anmeldungen zu wünschen übrig ließ, wurde das Programm generalüberholt. Es bekam einen neuen Zuschnitt: Das Wort "Tourismus" wurde gestrichen, der Begriff "Führung" hinzugefügt. Die Lerneinheiten wurden in Saisonfarben wie "Managerial Skills" und "Customer Experience Design" koloriert. Und auch dem Namen des Studiengangs wurde ein neues Design verpasst: Er heißt jetzt "Innovation, Unternehmertum und Leadership".

Zersplitterung des Wissens, Speicherung und Verlust von Erinnerung thematisiert diese Abschlussarbeit der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. (Foto: ddp)

Seit der Bologna-Reform ergießt sich eine Flut von neuen Studiengängen über das Land. Erstmals wurden zum vergangenen Wintersemester mehr Master- (7689) als Bachelor-Programme (7685) angeboten. Das erklärt sich leicht. Aus Umfragen wissen die Hochschulen, dass vier von fünf Studienanfänger einen Master planen. Zwingend brauchen Akademiker diesen Titel zwar nur für die Promotion und die höhere Beamtenlaufbahn, aber viele Studenten versprechen sich davon bessere Berufsaussichten.

Und sie sind bereit, für ihr berufliches Fortkommen zu zahlen. Master-Angebote sind ungefähr zehn Mal so oft kostenpflichtig wie Bachelor-Programme. Und wie im Handel gibt es auch in der Bildung sogenannte Schnelldreher, die reißend Absatz finden, und Langsamdreher, die nur zögerlich nachgefragt werden. Wenn neue Studiengänge nicht die erhoffte Nachfrage bringen, werden sie aus dem Programm genommen. "Wie schnell der Rückzug angetreten wird, hängt von der Kassenlage der Schule ab", sagt Detlev Kran, Hochschulberater und MBA-Experte aus Brühl, "den meisten gibt man etwa drei Jahre Zeit."

Der Markt für akademische Weiterbildung orientiert sich mehr und mehr an dem langlebiger Gebrauchsgüter. Marco Schröder, Bildungsforscher an der Universität Augsburg, regt sich darüber auf: "Das System ist aus den Fugen geraten. Es herrscht Wildwuchs und eine gewisse Redundanz. Wer kann schon wissen, was hinter den vielen Studiengängen steckt?"

Nicht immer jedenfalls die erhofften Teilnehmerzahlen. "In der Regel werden Studiengänge eingestellt, wenn keine Nachfrage da ist", sagt Marion Moser, stellvertretende Geschäftsführerin der Akkreditierungsagentur Acquin in Bayreuth. "Aus Ressourcengründen lohnt sich für eine Hochschule die Fortführung nicht, wenn nur vier oder fünf Studierende eingeschrieben sind." Wie viele es mindestens sein müssen, hängt von den Vorschriften der Bundesländer und der einzelnen Hochschule ab. Die meisten Programme werden bei weniger als 15 bis 20 Anmeldungen wieder gestrichen, angenommene Bewerber in ähnliche Programme umgelenkt und die Studiengangsleiter zur Ursachenforschung aufgefordert.

Der zweite mögliche Einstellungsgrund liegt auf der Angebotsseite. "Wenn der Lehrstuhlinhaber in Pension oder an eine andere Hochschule geht", sagt Moser, "oder wenn sich die Hochschule umorientiert, zum Beispiel zwei Studiengänge zusammenlegt oder sich in der Lehre auf einen anderen Schwerpunkt konzentriert." Entweder bekommen die Studiengänge dann ein anderes Profil ("Alles neu!"). Oder sie werden aus Effizienzgründen zusammengelegt ("Mit verbesserter Rezeptur!").

Oft mit unangenehmen Folgen: Kaum ein Interessent erfasst die gesamte Master-Auslage seiner Wunschrichtung. Und Personalverantwortliche, die Bewerbungsunterlagen sichten, müssen sich mühsam kundig machen, um beurteilen zu können, welcher Master was gelernt hat. "Die Studienangebote sind tatsächlich immer schwerer durchschaubar", sagt Markus Lecke, der bei der Deutschen Telekom das Team Bildungspolitik leitet. Viele der neuen Studiengänge seien zwar inhaltlich attraktiv, trügen aber unverständliche Namen.

"So wird zum Beispiel aus einem ehemaligen normalen Wirtschaftsinformatik-Master der Master of Management in International Digitalization Business Topics - oder noch Schlimmeres", sagt Lecke. Damit werde aus dem eigentlich geplanten Alleinstellungsmerkmal eine diffuse, undurchdringliche Vielgestaltigkeit. Manche Studiengänge sind so speziell, dass es schwerfällt, sich einen Arbeitsmarkt für die Absolventen vorzustellen, etwa die neuen Master in Philosophinnen-Geschichte, Karnataka Studies, Coop Design Research oder Zerstörungsfreie Prüfung. "Hilfreich ist immer ein klares inhaltliches Profil des Studiengangs und idealerweise eine Angabe, für welche Tätigkeit oder Zielpositionen dieser befähigt. Das hilft nicht nur dem Personaler, sondern auch dem Studenten, eine gute Wahl zu treffen."

Verständnis für die anhaltende Produktdifferenzierung auf dem akademischen Bildungsmarkt zeigt Michael Donat, Personalleiter bei der Management- und IT-Beratung Sopra Steria Consulting. Er sagt: "Die Komplexität der Arbeitswelt erfordert immer mehr Spezialwissen." Tatsächlich wäre das ein guter Grund für die Explosion der Master-Studiengänge. Ein zweiter freilich ist das Streben der Anbieter, mit attraktiven Angeboten Umsatz zu machen. Und ein dritter ist das Drängen der Wirtschaft nach passgenau auf ihren Bedarf zugeschnittenen Studiengängen.

Donat weiß aber auch, dass die Vielzahl an Studiengängen mehr Aufwand erfordert: "Als Personalleiter kann ich von niemandem verlangen, dass er all diese Ausbildungsgänge, ihre Inhalte und ihre Qualität ohne zusätzliche Recherche sofort richtig einordnen kann." Aber gesucht sei nun mal Spezialwissen. Die Unübersichtlichkeit, vermutet Donat, werde darum weiter steigen. Allerdings, mahnt der Personalleiter, könne man auch mit dem Bachelor vorankommen. "Wenn es unbedingt der Master sein muss", sagt Donat, "ist es besser, wenn Berufseinsteiger zwischen Bachelor und Master erste Arbeitserfahrung sammeln." Das ist ganz im Sinne der Anbieter von nicht konsekutiven Studiengängen, insbesondere von privater Seite. Dafür dürfen sie nämlich mehr Geld verlangen. Genau wie im Tourismus: Geld verdient man nicht mit den Pauschalreisen, sondern mit den maßgeschneiderten Paketen .

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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