Hauptschule vor dem Aus:Gnadenschuss für eine sterbende Schulform

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Viele Eltern würden alles dafür tun, um ihr Kind von der Hauptschule fernzuhalten. Die CDU will die schon lange als "Restschule" verschriene Schulform nun bundesweit abschaffen und in einer Oberschule als zweite Säule neben dem Gymnasium aufgehen lassen. Doch Bayern und Baden-Württemberg bleiben stur, Lehrerverbände reagieren frustriert.

Johann Osel

Der Satz kommt einem Todesstoß gleich: Die Hauptschule sei in Deutschland "nicht mehr zu retten", verkündete Sachsens Kultusminister Roland Wöller (CDU) kürzlich, nachdem eine Kommission der Partei unter seinem Vorsitz die Zukunft der Schulpolitik ausgelotet hatte. Nun wurden die Ergebnisse erstmals in offizielle Form gegossen: Hauptschulen sollen bundesweit abgeschafft werden, und in einer Oberschule als zweite Säule neben dem Gymnasium aufgehen.

Die Hauptschulen stehen in den meisten Ländern vor dem Aus. (Foto: dpa)

Angesichts rückläufiger Schülerzahlen und steigender Anforderungen an die Schulen "treten wir für eine Reduzierung der Schulformen und die Einführung des Zwei-Wege-Modells in allen Ländern ein", heißt es in einem 30-seitigen Grundsatzpapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Derzeit habe man "zu viele Schulformen, die Eltern, Schüler und Lehrer gleichermaßen verwirren, Vergleichbarkeit innerhalb und zwischen den Ländern erschweren und die Mobilität behindern". Das Papier soll am Montag im CDU-Vorstand und dann auf dem Bundesparteitag im November in Leipzig verabschiedet werden.

Das Modell Hauptschule verschwindet jetzt schon systematisch von der Bildfläche: In Ländern wie Schleswig-Holstein oder Berlin wurden Hauptschulen bereits mit den Realschulen fusioniert, im Osten sind sie ohnehin unbekannt. Seit Beginn des Jahrzehnts ist die Zahl der Hauptschüler bundesweit um ein Fünftel gesunken. Einerseits verstärken die geburtenschwachen Jahrgänge diesen Trend, andererseits verlieren die Hauptschulen die oft beschworene "Abstimmung mit den Füßen".

Eltern, vor allem aus bildungsbewussten Milieus in den Städten, würden beinahe alles tun, um ihr Kind vor dieser Schulform zu bewahren. Bei vielen Berufen, für die früher ein Hauptschulabschluss selbstverständlich ausreichend war, gilt die Mittlere Reife heute als Standard. Übrig blieben vielerorts Schulen für die Leistungsschwächsten der Leistungsschwachen - Stempel "Restschule".

Während SPD und Grüne auf Gemeinschaftsschulen setzen, in denen die Kinder möglichst lange zusammen unterrichtet werden, hielt sich in der Union bisher der Grundgedanke der Dreigliedrigkeit. Mit dem Papier geht die CDU nun grundsätzlich einen neuen Weg. Neben dem Gymnasium solle die Oberschule den Weg entweder in die berufliche Ausbildung oder auch zum Abitur eröffnen - also alle Abschlüsse anbieten. Man wolle "der zu Recht in der Öffentlichkeit formulierten Erwartung nach mehr Vergleichbarkeit bei der Organisation des Bildungssystems" Rechnung tragen.

Bestärkt durch die mit dem Kooperationsverbot im Grundgesetz zementierte Länderhoheit über Schulpolitik war zuletzt bundesweit ein Wirrwarr entstanden - von der Realschule plus (Rheinland-Pfalz) bis zur Stadtteilschule (Hamburg). Ein Bildungsrat, analog zum Wissenschaftsrat, soll laut dem Papier Bund und Ländern künftig Expertisen liefern. Weiterentwickelt werden sollen auch einheitliche Bildungsstandards. Einige Unions-Länder arbeiten derzeit an einem gemeinsamen Abitur-Aufgabenpool.

Ob der CDU-Schwenk einen bundesweiten Schulfrieden bringt, bleibt allerdings fraglich - wegen interner Kritik, aber auch weil die Partei nun mal nicht überall regiert. In Nordrhein-Westfalen, wo die rot-grüne Minderheitsregierung auf Gemeinschaftsschulen setzt, eskaliert der Schulstreit Woche für Woche in Wortwechseln. Da Rot-Grün mit einer Experimentierklausel im Schulgesetz arbeitet und die Kommunen "Schulversuche" beantragen lässt, bemühte die CDU gar den Rechtsweg. Und Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) betonte am Mittwoch, er werde am erfolgreichen dreigliedrigen System in seinem Land festhalten. Der Generalsekretär der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl, sagte, es sei "absolut unnötig", dass die Bundespartei eine Debatte über die föderalen Schulstrukturen führe. Der FDP-Bildungsexperte Patrick Meinhardt sprach von einem "Irrweg". Es sei keinem Hauptschüler geholfen, wenn er künftig den Stempel Oberschüler trage.

Der Bundesvorsitzende des eher konservativen Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, warnte die CDU derweil davor, "ihre bildungspolitischen Grundsätze über Bord zu werfen". Wer heute die Hauptschule aufgebe, könnte morgen schon der Zusammenlegung von Oberschulen mit Gymnasien das Wort reden, sagte er. Auch der Deutsche Lehrerverband rügte die CDU. "Die Union hat ihr bildungspolitisches Profil verloren", sagte dessen Chef Josef Kraus der Passauer Neuen Presse. Der Lehrerverband VBE teilte dagegen mit, es sei "allemal besser, sich der Wirklichkeit zu stellen statt sich in ideologischen Gräben zu verbarrikadieren".

Verhalten reagierte die Opposition. Grünen-Chef Cem Özdemir warf der Union "haltungslose Politik nach Wetterlage" vor. Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Rosemarie Hein, sagte, ein zweigliedriges Schulsystem könne nur ein Zwischenschritt sein, es hebe die "ausgrenzenden Effekte nicht auf". Die SPD hatte bereits unlängst bei den ersten Ankündigungen der CDU mitgeteilt, die Partei "robbt sich zwar formal an sozialdemokratische Positionen heran". Jedoch sei das Konzept "Flickschusterei", Aspekte wie längeres gemeinsames Lernen kämen nicht vor.

© SZ vom 24.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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