Maurermeister, Fensterbauer und Architekten wissen, dass gute Isolation für eine günstige Energiebilanz unverzichtbar ist. Top-Manager und Spitzenpolitiker wissen das auch. Wie sollten sie schließlich ihren Job machen, wenn jegliche Kälte, Hitze, jeder Sturm direkt von draußen ins Chefbüro einfallen würden? Wie sollten sie mit kühlem Kopf Kantinenpauschalen kürzen, Verpackungsfüllmengen senken, Wirtschaftsminister bleiben, wenn jeder Mitarbeiter, jeder Kunde und jeder Wähler direkt zu ihnen hereinmarschieren könnte, um den Dessertzuschuss zurück oder ihren Rücktritt zu fordern?
Also braucht der Chef etwas, das Distanz schafft zu den anderen. Wer hoch hinaus gekommen ist, für den ist das Vorzimmer Isolationsmittel erster Wahl. Wer es nur mittelhoch geschafft hat, bekommt ein Trostpflaster, mit dem er immerhin Zehntausende Arbeitsplätze in Deutschland sichert: den Dienstwagen.
Menschen, die denken, der Atomausstieg sei eine schwierige Sache, haben noch nie über die Komplikationen eines Ausstiegs aus dem Dienstwagenwesen nachgedacht. Dabei könnte dieser Mensch und Umwelt viel nachhaltiger schützen. Abgesehen von Abgasen, Feinstaubpartikeln, Garagenungetümen und Verkehrsunfällen würde ein solcher Verzicht auch jene Unstimmigkeiten von Kollegen fernhalten, die entstehen können, wenn einer einen BMW 5er, sein Büronachbar aber nur einen 3er fahren darf.
Da sich aber nicht einmal das sonst dem ökologischen Großumbau zugeneigte Umweltbundesamt wagt, eine Studie namens "2050 - 100 Prozent dienstwagenfrei" anzufertigen, dürfen sich Firmenautoberechtigte noch sehr lange sicher fühlen. Chefs, die erwägen, ihre Abteilungs- und andere Leiter auf Führungskräfteseminare zu schicken, sollten sich allerdings überlegen, ob das Geld nicht besser in Monatskarten für den öffentlichen Nahverkehr angelegt wäre.
"Bloß weg hier"
Die Benutzung von S-, U- oder Straßenbahn kann für Bestimmer jeglicher Art nämlich aus mehreren Gründen lehrreich sein. Zunächst einmal sorgt sie dafür, dass der Chef, wenn er das Büro denn vor 21 Uhr verlässt, zuweilen mit Mitarbeitern ins Gespräch kommt und kommen muss. Nirgendwo erfährt man so schnell so viel aus anderen Abteilungen, über eigene Kollegen und Kundenbeschwerden, wie beim gemeinsamen "Bloß weg hier!" nach einem aufwühlenden Arbeitstag.
Auch eignet sich die Fahrt zum Produktstudium. Wer in der Mode- oder IT-Branche arbeitet, kann zum Beispiel genau ergründen, was bei den Verbrauchern ankommt, und was man lieber nicht weiterentwickeln sollte. Wer sich im Immobiliengeschäft betätigt, wird schon lange vor der Konkurrenz wissen, welcher Stadtteil im Kommen, und welcher im Gehen ist.
Ein Hauch von Demut
Außerdem vermittelt die Bahnfahrt immer wieder die Erkenntnis, wie wichtig auch in großen Systemen jeder einzelne Mitarbeiter ist. Verschläft der Lokführer die Morgenschicht, staut es sich vor dem Tunnel; hat der Programmierer geschlampt, blockiert die Weichenstörung den Betrieb. Kommt die Bahn gar nicht, stellt sich bei manch einem sogar ein Hauch von Demut ein. Ihm dämmert, dass sich manche Dinge beim allerheftigsten Willen nicht ändern lassen, und dass auch der große Hecht nur ein Hecht unter vielen ist. Das allerdings lässt sich bei der Autobahnvollsperrung noch besser lernen. Der Dienstwagen ist also doch zu etwas gut.