Deutschlandweite Demonstrationen:Warum der Bildungs-Aufstand berechtigt ist

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An den Universitäten war es seltsam still in den vergangenen Wochen, doch nun haben einige tausend Schüler und Studenten zum "Bildungsstreik"aufgerufen. Zwar repräsentieren die Aktivisten nicht die Mehrheit ihrer Mitschüler und Kommilitonen - aber sie demonstrieren zu Recht.

Tanjev Schultz

An den Universitäten war es seltsam still in den vergangenen Wochen. Die halbe Welt ist im Aufruhr, Europa taumelt von Krise zu Krise, Demonstranten belagern die Wall Street - doch die deutschen Studenten und Professoren trotten weiter brav in ihre Seminare und zählen credit points. So heißen die Leistungspunkte in der modernen Studienwelt. Was soll man auch tun? Ratlosigkeit ist das beherrschende Gefühl dieser Zeit.

Demo für bessere Bildungschancen: Mit einem Transparent demonstrieren mehrere hundert Schüler und Studenten in Frankfurt am Main für bessere Bildungschancen. (Foto: dpa)

Nun haben sich einige tausend Schüler und Studenten ein Herz gefasst und, wie schon in vergangenen Jahren, zum "Bildungsstreik" geblasen. Selbst wenn die Aktivisten nicht die Mehrheit ihrer Mitschüler und Kommilitonen repräsentieren: Sie demonstrieren zu Recht. Sie wehren sich dagegen, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter öffnet. Sie erklären sich solidarisch mit dem Protest gegen Spekulanten. Sie kämpfen für Freiräume beim Lernen, die ihnen durch eng getaktete Lehrpläne genommen worden sind. Sie hinterfragen das Gerede von einer "Bildungsrepublik", die es bisher nicht einmal geschafft hat, den massenhaften Ausfall von Unterricht und die Überfüllung der Hörsäle zu verhindern.

Einige Positionen der Studenten mögen naiv, sehr pauschal oder kontraproduktiv sein, etwa die Forderung, alle Zugangshürden zum Studium einfach abzuschaffen. Die Folge wäre, dass die Unis endgültig unter dem Ansturm zusammenbrächen. Und natürlich mischen bei den Protesten seltsame antikapitalistische Splittergruppen mit, über deren fortdauernde Existenz sich Professoren, die '68 noch erlebt haben, gehörig wundern.

Es wäre aber ein Fehler, den Unmut und den Frust zu unterschätzen, der sich in der Breite, bei den Stillen und Besonnenen, aufgestaut hat. Wenn Wissenschaftler die Hochschule mittlerweile als "autistische Leistungsmaschine" beschreiben und sogar der Wissenschaftsrat, der Revolutionen wenig zugeneigt ist, zu einer Entschleunigung aufruft, muss man hellhörig werden. Lernende und Lehrende fühlen sich zu oft als Getriebene eines auf Leistungsindikatoren getrimmten Systems, das für Kreativität und Phantasie kaum noch ein Gespür hat. Bluff statt Bildung ist die Folge.

Fairerweise muss man sagen, dass die Proteste der vergangenen Jahre nicht ganz wirkungslos waren. Vielerorts haben Studenten und Professoren gemeinsam nach Wegen gesucht, das Studium besser zu organisieren und die mitunter absurd hohe Zahl an Prüfungen auf ein gesundes Maß zu begrenzen. In diesem Semester stoßen viele Universitäten dennoch wieder an die Grenzen des Zumutbaren, weil die Zahl der Studenten sie überfordert. Nie zuvor gab es so viele Studienanfänger in Deutschland. Die schiere Masse ist aber noch kein Grund zum Jubeln.

Für Proteste gilt das Gleiche. Manchmal ist die Masse auf dem Holzweg. Und manchmal reicht, wie beim Bildungsstreik, eine überschaubare Zahl, um das richtige Zeichen zu setzen.

© SZ vom 18.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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