Bildung durch Computerspiel:Schüler an die Macht

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Mit dem Computerspiel "Ecopolicyade" lernen Schüler, wie kompliziert Regieren ist. Trotzdem schneiden viele von ihnen im Wettbewerb besser ab als Berufspolitiker.

Maximilian Weingartner

Nach nur vier Minuten gibt es schon einen Staatsstreich, und Schuld daran haben drei 15-jährige aus einem bayerischen Dorf. Regierungschef Martin und seine zwei Minister Johannes und Lukas vertreten ihr Gymnasium in Miesbach, sie sitzen im Münchner Rathaus vor einem Laptop und haben soeben die erste Runde der "Ecopolicyade" verloren. "Jetzt müssen wir grübeln, was wir falsch gemacht haben", sagt Martin staatstragend und beginnt mit seinen beiden Ministern zu diskutieren.

Auf der Cebit spielte Bundeskanzlerin Angela Merkel wohl nicht das politische Computerspiel Ecopolicyade - möglicherweise hätte der Schüler neben ihr sie darin geschlagen. (Foto: dpa)

Hätte diese Situation Hans-Werner Hansen gesehen, würde er wahrscheinlich so etwas sagen wie: "Sehen Sie, sehen Sie, genau das meine ich!" Der Lehrer aus Schleswig-Holstein ist Ideengeber des Schulwettbewerbs "Ecopolicyade", bei dem Jugendliche aus den Klassen 7 bis 10 vernetztes Denken lernen sollen. Dabei treten sie mit dem Computerspiel Ecopolicy gegeneinander an. Anfang vergangener Woche war die lokale Entscheidung in Bayern, am Freitag fand das Finale in Berlin statt. Gewonnen haben Elena, Mara und Hannah vom Ursulinen-Gymnasium in Köln.

Ziel des Spiels ist es, ein Land so zu regieren, dass es sich unter wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten möglichst gut entwickelt. Das wäre mal ein Spiel für Politiker, denkt man sich, und tatsächlich traten im Jahre 2005 Kommunalpolitiker aus Schleswig-Holstein gegen Schüler an - und verloren. Außerdem spielten die besten Schüler gegen die Abgeordneten des Kieler Landtags - und gewannen.

Da blieb natürlich nur noch, auch den Reichstag in Berlin zu stürmen beziehungsweise den dortigen, für Bildung und Forschung zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Und auch der konnte gegen die Jugendlichen nicht bestehen, zeigte sich aber sogleich als sehr fairer Verlierer und bat Hans-Werner Hansen, einen bundesweiten Wettbewerb zu organisieren. Unter Federführung der Bundeszentrale für politische Bildung haben in diesem Jahr etwa 3000 Schulen und rund 90.000 Schüler daran teilgenommen. 200.000 Euro spendiert die Bundeszentrale für den Schülerwettbewerb, der seit zwei Jahren bundesweit stattfindet.

Bei der Computersimulation muss ein Industrieland, Schwellenland oder Entwicklungsland über zwölf Regierungsjahre erfolgreich regiert werden. Dazu werden vorhandene Haushaltsmittel in die Bereiche Produktion, Sanierung, Lebensqualität und Aufklärung investiert. Die entsprechenden Maßnahmen haben dabei immer auch Auswirkungen auf die nur indirekt steuerbaren Bereiche Politik, Bevölkerung, Umweltbelastung und Vermehrungsrate. "So lernen die Jugendlichen, vernetzt zu denken", sagt Hans- Werner Hansen.

"Die jungen Leute üben nicht nur Abstraktes, sondern erfahren auch etwas über reale gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Zusammenhänge." Die Wechselwirkungen, in denen die Bereiche zueinander stehen, beruhen auf der wissenschaftlichen Erhebung und Untersuchung von Daten aus verschiedenen Ländern durch den Entwickler des Spiels, den international bekannten Kybernetik-Experten Frederic Vester. Anhand von Kurven und Diagrammen können die Schüler überprüfen, welche Auswirkungen ihre jeweilige Entscheidung hat.

"Man muss sich länger damit beschäftigen, sonst hat man in 15 Minuten eine Revolution", sagt Hansen. Die drei Schüler aus Miesbach konnten Hansens Prophezeiung in der zweiten Runde sogar noch unterbieten. Diesmal provozierten Martin, Johannes und Lukas mit einer unausgeglichenen Politik in ihrem Schwellenland schon nach elf Minuten einen Staatsstreich.

© SZ vom 05.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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