Ausgeruht zur Arbeit:Schlaft euch hoch!

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Im Schlaf schaltet das Gehirn in den Reinigungsmodus: Erkannte Verknüpfungen werden verstärkt, überflüssige gelöscht. (Foto: Sergio Membrillas)

Der wichtigste aller Unter-uns-Frauen-Verschwörer-Tipps.

Kolumne von Evelyn Roll

Ein Sender wollte ein Interview. Zum vorgeschlagenen Thema hatte ich an jenem Morgen nicht mehr Informationen als jeder, der Zeitung liest und online unterwegs ist. Ich sagte also: Danke, nein! Ich weiß noch nicht genug und habe deswegen auch keine Meinung. Dann war bemerkenswerte Stille in der Leitung, bis die Dame vom Sender mit diesem Unter-uns-Frauen-Verschwörer-Tonfall sagte: So was sagen auch immer nur Frauen; jeder Mann, den ich anrufe, macht dieses Interview, ob er nun Experte und Alleswisser ist oder keinen blassen Schimmer hat.

Ich probierte, ob ich den Unter-uns-Frauen-Verschwörer-Tonfall auch noch konnte und sagte: Aber Sie und ich sind uns doch hoffentlich einig, dass wir Frauen auch das den Männern eben gerade nicht nachmachen sollten zur Rettung von Qualität und Journalismus.

Wahrscheinlich geht es überall in männlich dominierten Arbeitswelten für Frauen vor allem genau darum, es eben nicht wie die Männer zu machen, einen wirklich eigenen Weg zu finden und dabei mutig zu bleiben und spielerisch. Bloß nicht verkrampfen, imitieren, emsig und superkorrekt immer Papis Liebling sein wollen oder wenigstens genau so wie die großen Jungs.

Bei Work und Life gibt es nichts zu balancieren, nur zu entscheiden

Im Zweifel hilft zur Präferenz-Setzung und Entscheidungsfindung, sich einmal in der Woche kurz ins eigene Grab zu legen und also vom wirklichen und unausweichlichen Ende her zu denken. Weil man dann zum Beispiel schon mal für die sogenannte Karriere nicht tut, was man am Ende in seinem Leben gern getan haben möchte: Kinder bekommen, eine gute Freundin sein, Talente und Träume realisieren, Menschen helfen, die Welt verbessern.

Wer sich auf sein Sterbebett legt, dem wird auch klar, wie bescheuert der Begriff Work-Life-Balance ist. Es gibt da nichts zu balancieren, nur zu entscheiden: Für manches will und muss ich unbedingt 14 Stunden am Tag ackern, über Monate und Jahre hinweg. Für anderes nicht. Beides ist in Ordnung.

Und deswegen kommt jetzt der wichtigste aller Unter-uns-Frauen-Verschwörer-Tipps, er heißt: Schlafen Sie sich nach oben!

Arianna Huffington, die früher selbst zu den Kurzschläfern gehörte, unterhält heute ganze TED-Konferenzen mit diesem einen Tipp: Nur wer genug schläft sieht das ganze Bild. Unausgeschlafen sind immer schon die anderen. Ich-brauche-nicht-viel-Schlaf ist nach wie vor das Distinktionsmerkmal der Macht- und Erfolgsmenschen. Obwohl die Gehirnforscher längst nachgewiesen haben was wir uns und der Welt damit antun.

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Man kann sich durch zu wenig Schlafen systematisch selbst krank machen. Insgesamt 711 Gene verändern sich nach Schlafmangel. Das sind vor allem solche, die für Entzündungen, Immunantworten und Stressreaktionen verantwortlich sind oder den Stoffwechsel steuern. Die Glukosetoleranz sinkt, das Risiko für Diabetes steigt, auch das für Herzschwäche, Übergewicht, Magen-Darm-Krankheiten, Depressionen, Stoffwechselstörungen und ein schlappes Immunsystem.

Das Gehirn verwandelt sich im Schlaf in eine Art Waschmaschine

Was noch wichtiger ist: Im Schlaf schaltet das Gehirn in den Reinigungsmodus. Erst wird aufgeräumt. Als bedeutend erkannte Verknüpfungen werden verstärkt, überflüssige gelöscht. Wenn wir träumen, werden die von der Amygdala ausgehenden Emotionen rational eingeordnet. Dann wird geputzt.

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Das Gehirn verwandelt sich im Schlaf in eine Art Waschmaschine. Die Gehirnzellen machen sich klein. Die interstitiellen, also zwischen den Zellen liegenden Räume werden zu Kanälen, über die das Gehirnfluid Schadstoffe, unbrauchbare, toxische Moleküle und biochemischen Schrott abtransportiert. Wer nicht oder nicht genug schläft, behält diese schädlichen Stoffwechselprodukte in seinem Gehirn.

Wahrscheinlich werden die Forscher den Zusammenhang zwischen dem Dauer-Jetlag, in den sich die Elite der spätkapitalistischen Staaten mittlerweile gesteigert hat, und der Zunahme von Dirty-brain-Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson bald nachweisen.

Und noch etwas: Unausgeschlafene Menschen sehen nie das ganze Bild. Schlafmangel zieht Glukose aus dem Gehirn, vor allem aus dem Präfrontalkortex, in dem die Selbstkontrolle gesteuert wird. Wer also zu wenig schläft, handelt verantwortungsloser, hemmungsloser, unethischer, größenwahnsinniger und kommentiert im Radio einfach alles.

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Schlaft genug! Gerade nach 14-Stunden-Tagen

In einem Experiment haben Wissenschaftler Menschen wochenlang nur fünf Stunden schlafen lassen und sie dann aufgefordert, zusammen mit ausgeschlafenen Probanden Ballons um die Wette aufzublasen. Der Deal war: Je größer der Ballon wird, desto mehr Geld gibt es. Platzt er, gibt es gar nichts. Die übermüdeten Menschen pusteten die Ballons immer weiter und weiter auf, bis sie explodierten und das schöne Geld ganz weg war. Ausgeschlafenen passierte das nicht. Wahrscheinlich gibt es keine bessere Metapher für die Bedeutung des Schlafmangels in der Endphase des Spätkapitalismus als dieses Experiment.

Also: Schlaft genug! Gerade nach 14-Stunden-Tagen. Schlaft euch nach oben! Und wenn nachher in der Kantine wieder ein gestresster Held der Arbeit damit prahlt, dass die Nacht nur vier Stunden hatte, sagen Sie ihm zur Abwechslung ruhig mal, was Sie jetzt wissen und immer schon dachten: Würdest du sieben Stunden schlafen, wären die Mittagessen mit dir vielleicht nicht so langweilig.

Wenn Evelyn Roll nicht schlafen kann, liest sie in Jonathan Crarys "24/7 - Late Capitalism and the Ends of Sleep". Das sollte dringend ins Deutsche übersetzt werden, findet sie, auch weil man Deutsch lesend viel schneller einschläft.

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