Streit um Honorarerhöhung:Ärzte proben den Aufstand

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Verheddert im Regelwerk: Ohne die Fallstricke in ihren eigenen Auflagen hätten die Kassenärzte wohl mehr als 270 Millionen Euro Honorarsteigerung herausschlagen können. Nun aber ist es zu spät - und die Grundsatzfragen sind weiterhin ungeklärt.

Guido Bohsem

Es gibt wohl kaum einen niedergelassenen Arzt, der wirklich bis in die letzte Einzelheit versteht, wie er sein Geld verdient. Das soll keineswegs ehrabschneidend gemeint sein, sondern ist angesichts der hochkomplexen Materie nur normal. Andreas Köhler ist einer der wenigen, die auch die Feinheiten in diesem bürokratischen Dschungel von Orientierungswert, Kodier-Richtlinien, Fallzahlen, Regelleistungsvolumen und Abschlagszahlungen kennen. Ja, viele der Bestimmungen hat der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sich sogar selbst ausgedacht.

Nach Meinung der Ärzteschaft sollte es im laufenden Jahr wieder ein deutliches Plus geben. Nun bleibt ihnen nur, auf Gesundheitsminister Daniel Bahr zu hoffen. Auf dass er den Schlichterspruch kassiert. (Foto: dapd)

Vieles spricht dafür, dass Köhler und seine Leute sich bei den Vertragsverhandlungen genau in einer dieser fisseligen Regelungen des Gesundheitssystems verhedderten. Ohne diesen Fallstrick wäre die Honorierung der Ärzte wohl nicht nur um 0,9 Prozent gestiegen, sondern um einiges mehr. Nicht, dass die von Köhler geforderten elf Prozent - oder umgerechnet 3,5 Milliarden Euro - erreicht worden wären. Doch einiges mehr als die nun vereinbarten 270 Millionen Euro wären es wohl sicherlich gewesen.

Ganz grob gesagt, haben Ärzte und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) über den Preis der ärztlichen Leistung verhandelt, den sogenannten Punktwert. Jede Verrichtung eines niedergelassenen Mediziners wird in Punkten ausgedrückt. Je komplexer oder technisch aufwendiger die Tätigkeit ist, desto höher die Punktzahl. Multipliziert man den Punktwert mit der Punktzahl, ergibt sich daraus das Honorar, das der Mediziner für diese Tätigkeit erhält. Derzeit liegt der Punktwert bei 3,5048 Cent, weshalb ein bayerischer Hausarzt beispielsweise für einen Hausbesuch 21,03 Euro erhält.

Um genau diesen Punktwert geht es bei dem Streit, der nun auf Ärzteseite zu so großer Empörung geführt hat. Die Ärzteschaft - oder zumindest suggerieren ihre gewählten Vertreter das beharrlich und ausdauernd - fühlt sich notorisch unterbezahlt und wenig geschätzt. Die Funktionäre verweisen dabei darauf, dass in der Gesundheitsreform 1998 der angemessene Punktwert für eine ärztliche Leistung auf 5,11 Cent geschätzt wurde. Das sind etwa 30 Prozent oder 17 Milliarden Euro im Jahr mehr, als seitdem gezahlt wurden. Damit wären, so die gängige Argumentation, aber die zwischenzeitlich gestiegenen Kosten beispielsweise für Praxispersonal, Energie und Mieten noch nicht abgegolten.

Seit Langem ist es Köhlers Strategie, in jeder Verhandlungsrunde näher an den Wert von 5,11 Cent heranzukommen. Das ist ihm in der Vergangenheit bemerkenswert oft gelungen. 2009, im Jahr der tiefsten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik, sicherte er den etwa 150.000 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten einen Abschluss, durch den ihre Honorare um 3,8 Milliarden Euro stiegen.

Die Rezession bescherte den Kassen ein gigantisches Defizit, und dem Gesundheitssystem eine Sparrunde. Die Auflagen von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) verhinderten einen weiteren Anstieg des Punktwertes für 2010 und 2011. Auch deshalb sollte es nach Meinung der Ärzteschaft im laufenden Jahr wieder ein deutlicheres Plus geben.

Doch gegen den Willen der Ärzte im zuständigen Ausschuss und mit den Stimmen von Krankenkassen und dem unabhängigem Vorsitzenden, dem Duisburger Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem, kamen nun besagte 270 Millionen Euro raus. Der Punktwert steigt auf 3,5363 Cent, was dem bayerischen Mediziner für einen Hausbesuch gerade mal 19 Cent zusätzlich einbringt.

Was Köhler dieses Ergebnis eingebracht hat, sind genau diese Sparauflagen der schwarz-gelben Koalition. Denn die Meinungen, wie mit ihnen umzugehen ist, gehen weit auseinander. Der Ärztechef deutet die Rechtslage so, dass die Spargesetze den Zuwachs der Honorare nur aufgeschoben haben. Sprich, nach dem Auslaufen der Sparauflagen müssen sie gezahlt werden. Auf diese Weise hätten die Einsparungen keinen dauerhaften Effekt.

Das sieht Wasem ganz anders, wie man an seinem Schlichterspruch sehr deutlich ablesen kann. Er betrachtet die 2010 und 2011 eingesparten Zahlungen nicht als aufgeschoben, sondern als aufgehoben. Seiner Meinung nach hatte der Gesetzgeber eine dauerhafte und nicht nur eine vorübergehende Einsparung im Sinn. Deshalb zählen für ihn lediglich die 2012 Jahr gestiegenen Kosten, weshalb er im Verhältnis zu den Forderungen der Ärzte nur einen relativ geringen Anstieg berechnet hat. Dass die Kassen Wasems Sicht unterstützen, versteht sich beinahe von selbst. Denn dieser Abschluss ist aus ihrer Sicht sehr günstig. Vor allem wenn man bedenkt, dass sie und der Gesundheitsfonds auf Reserven von über 20 Milliarden Euro sitzen.

Von der Finanz-Not der vergangenen Jahre ist derzeit zwar nichts zu sehen. Allerdings gilt dies nicht für alle Kassen. Die DAK und die AOK Bayern stehen bei Weitem nicht so gut da wie die Techniker Krankenkasse oder die AOK Nordwest. Vor allem in der CSU herrscht deshalb die Sorge, dass bei hohen Ausgaben für die GKV ausgerechnet die größte bayerische Kasse im Wahljahr 2013 nicht mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds auskommt und Zusatzbeiträge erheben müsste.

Die Ärzte hoffen nun darauf, dass Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ihre Sicht der Dinge unterstützt und den Schlichterspruch kassiert. Dann müsste neu verhandelt werden. Geschieht das nicht, wird Köhlers Organisation gegen den Beschluss klagen.

© SZ vom 03.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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