Polio:"Jedes Land ist in Gefahr"

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Impfstationen auf Bahnhöfen, eine Rote Liste afrikanischer Staaten, Absprachen mit religiösen Führern: Mediziner verstärken den Kampf gegen Kinderlähmung. In Nigeria melden sie Fortschritte, aber Pakistan bleibt ein Problem.

Von Christopher Schrader

Vom alten Werbespruch stimmt nur noch die Hälfte: Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam, hieß vor Jahrzehnten der Slogan der Poliovorsorge. Dass die Impfflüssigkeit auf ein Stück Zucker geträufelt wurde, ist lange Vergangenheit, in Deutschland bekommen Kinder ein moderneres Vakzin per Spritze. Und auch in den Ländern, wo die Impfung noch oral verabreicht wird, gibt es keinen Zucker mehr dazu. Aber grausam ist die Kinderlähmung geblieben, gerade in den armen Staaten, wo es nie gelungen ist, die Ansteckungen zu stoppen, oder wo die Krankheit in den vergangenen Jahren wieder aufgeflammt ist. "Jedes Land ist in Gefahr, bis wir die Weitergabe des Virus gestoppt haben", sagt Rebecca Martin von der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC. Die globalen Gesundheitsbehörden kämpfen sich darum seit einiger Zeit durch eine Krise. Mit regelmäßigen Informationen versuchen sie zudem den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich aus der Krise kämpfen. "Wir machen Fortschritte, aber es gibt noch wichtige Herausforderungen", fasst es Hamid Jafari zusammen, der bei der Weltgesundheitsorganisation für Polio zuständige Direktor.

Zu den Fortschritten gehört vor allem die Situation in Nigeria. Hier ist der Erreger endemisch, und die Impfung ist zum Politikum geworden, seit Islamisten im Norden des Landes das Gerücht verbreiten, der Westen wolle Muslime mit dem Vakzin vergiften. Anfang 2003 wurden dort neun Impfhelferinnen vermutlich von Terroristen erschossen. Seitdem haben Regierung und internationale Helfer ihre Strategie umgestellt, berichtet Jay Wenger von der Gates-Stiftung. Lokale religiöse Führer werden in die Kampagnen eingebunden. Sobald es die Sicherheitslage erlaubt, fahren die Teams spontan in vorher unzugängliche Gebiete. Sie bringen den Menschen neben Polio-Vakzin und andere Impfstoffe auch Vitamine und Hilfe für junge Mütter und neugeborene Babys. "2013 hatten wir Anfang Juni 24 neue Fälle in neun Bundesstaaten, dieses Jahr nur drei Fälle in zwei Staaten", sagt Wenger. In vielen Problemregionen seien 80 Prozent der Kinder geimpft - die kritische Schwelle, um Ansteckungen zu stoppen.

Pakistanische Terroristen haben schon mehrmals Impfhelfer im Einsatz erschossen

Rund um Nigeria sowie Kamerun und Äquatorial-Guinea, wo die Krankheit 2013 und 2014 wieder aufgeflammt ist, hat die Globale Initiative zur Ausrottung von Polio eine Art Sperrzone definiert. In den zehn Ländern auf einer "Roten Liste" - von der Elfenbeinküste über Mali, den Tschad und beide Kongos bis nach Angola - befürchten die Experten Ausbrüche. Hier gibt es entweder Mängel in der Grundimmunisierung der Bevölkerung oder bei der Überwachung von Krankheitsfällen. Die Regierungen bekommen nun spezielle Hilfe.

Herausforderungen bietet auch die arabische Welt: In der zweiten Hälfte 2013 sind in Syrien zum ersten Mal seit 1999 wieder Fälle aufgetreten, und zwar gleich 35. Doch seit Januar 2014 wurde kein neuer registriert. Die größten Probleme macht den Medizinern aber Pakistan. Dort ist die Zahl der Neuinfektionen in den ersten fünf Monaten auf 71 gestiegen; im gleichen Zeitraum 2012 waren es zehn gewesen. Betroffen sind vor allem Gebiete im Nordwesten an der Grenze zu Afghanistan sowie die Hafenstadt Karatschi. Weil auch dort Impfhelfer erschossen wurden, sind manche Gebiete für die Teams gesperrt. "Die Eltern dort wollen aber die Impfung für ihre Kinder", sagt Peter Crowley, der die Poliokampagne für Unicef betreut. Die Regierung habe ein dichtes Netz von Vakzinierungsstationen an den Grenzen der unzugänglichen Regionen aufgebaut, sowie an Mautstationen auf Straßen, in Bahnhöfen und Flughäfen.

© SZ vom 13.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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