Kabinett der Kalamitäten:Das gefährlichste Kleidungsstück unserer Zeit

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Eitelkeit kann Männer wie Frauen leiden lassen. (Foto: Illustration: Dalila Keller)

Der Körper ist ein Wunderwerk - und verwundert uns täglich aufs Neue. Er produziert seltsame Geräusche, Gerüche, Ticks, Besessenheiten und Beschwerden. Hält sich aber gerne bedeckt, wenn man fragt: Wo kommt das her? Und vor allem: Wie geht das wieder weg? Eine Serie über Alltags-Misslichkeiten. Teil 9: Gesundheitsrisiko Kleidung.

Von Berit Uhlmann

Selten hat jemand so wenig Anerkennung für seine Hilfsbereitschaft bekommen wie die Skinny-Jeans-Frau. Den ganzen Tag lang unterstützte sie einen Verwandten beim Umzug, räumte kniend Regale ein, bis ihre enge Hose Muskeln und Nerven derart beeinträchtigte, dass sie nicht mehr laufen konnte und ins Krankenhaus gefahren werden musste. Unzählige Medien boten die Geschichte ihren Lesern in großer Aufmachung dar: Die Kombination von Frau, modischer Verirrung und Aussetzern im Nervensystem ist ja auch ein schöner Schenkelklopfer. Der Fairness halber muss hier gesagt werden, dass längst nicht nur Frauen ihre Gesundheit durch Eitelkeit oder Konformitätszwang gefährden.

Schon 1993 beschrieb ein Arzt aus Stanford, wie er jährlich bei 20 bis 25 Männern das "Enge-Hosen-Syndrom" diagnostizierte. Die Männer hatten schon seit Jahren an unklaren Verdauungsstörungen und Brustschmerzen gelitten, sie hatten bereits Röntgenuntersuchungen, EKGs und Magenspiegelungen hinter sich, wenn der Stanforder Doktor sein Maßband aus dem Kittel zog. Damit stellte er in schöner Regelmäßigkeit fest, dass der Hosenbund mindestens 7,5 Zentimeter zu eng war. Die Therapie bestand aus weit geschnittenen Beinkleidern und Hosenträgern.

Kürzlich warnten Forscher aus Großbritannien vor der sportlichen Variante des Syndroms. Wo einst die gemütliche Trainingshose schlackerte, quetschen heute knappe High-Tech-Häute die Oberschenkel in Form. Die Mediziner dokumentierten den Fall eines Sportlers, dessen Neopren-Höschen den Blutfluss derart staute, dass ein gefährliches Blutgerinnsel entstand.

Die Körpermitte zu sehr einzuengen, könnte möglicherweise auch jenen Männern schaden, die ein Kind zeugen wollen. Diskutiert wird, ob die hohe Temperatur in der straff sitzenden Kleidung die Samenqualität negativ beeinflusst. Das Scottish Medical Journal riet daher Männern, nur Luft und Kilt an die entscheidenden Organe zu lassen. Außerhalb Schottlands gehen Mediziner davon aus, dass auch Boxershorts eine gute Wahl für Männer mit Kinderwunsch sind.

In Südkorea wurden Männer beobachtet, die den hautengen Wahnsinn am Hals auslebten. Ihre Krawatten waren derart festgezurrt, dass der Bewegungsradius ihres Nackens litt. In der Folge wurde der obere Trapezmuskel zu einseitig belastet - mit der Gefahr schmerzhafter Verspannungen. Es kann Büroangestellten geraten werden, erst mal den Sitz des Schlipses zu kontrollieren, ehe sie teure Rückentrainings oder Schreibtischstühle anschaffen.

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Und die Damen mit ihrer körperformenden Spandex-Unterwäsche? Es ist gut vorstellbar, dass sie in den Pellen leiden, aber offenbar tun sie dies diskret. Die Fachliteratur erweckt nicht den Eindruck, als wäre weibliche Wäsche ein größeres Problem der öffentlichen Gesundheit.

Dagegen ist die Behauptung, dass enge BHs zu Brustkrebs führen, längst als Mythos entlarvt. Fachgesellschaften mehrerer Länder, wie auch das Deutsche Krebsforschungszentrum, weisen schon seit Jahren die Theorie als unplausibel zurück, wonach Krebs dadurch entstehe, dass der Büstenhalter Lymphbahnen abklemme und damit zu Schadstoffansammlungen führe. Im vergangenen Jahr zeigte eine Studie, dass die Existenz und die Art eines BHs keinen Einfluss auf die Entstehung von Brustkrebs haben.

Und dennoch kann man die Frauen nicht vom Vorwurf der gesundheitsgefährdenden Mode freisprechen. Denn das Kleidungsstück, das mit Abstand die meisten Probleme bereitet, ist ein weibliches Accessoire: Dutzende Fachartikel warnen vor den Risiken von High Heels.

Die Stöckel verkürzen die Schritte und verändern die Haltung von den Zehen bis zur Wirbelsäule, so dass manche Muskeln besonders stark beansprucht werden. Die Schuhe machen den Gang weniger flüssig; das ganze Tack, Tack, Tack sendet permanent kleine Stoßwellen durch den Körper. Damit führt der High Heel mindestens zu schnellerer Ermüdung beim Gehen und Stehen, unter Umständen aber auch zu Schmerzen, die bis zum unteren Rücken reichen können. Es wird zudem diskutiert, ob das ständige Laufen auf hohen Sohlen die Kniegelenke stärker abnutzt, gesichert ist dieser Zusammenhang jedoch nicht.

Klar ist, dass High Heels eine Menge Unfälle verursachen. Im Jahr 2011 wurden allein in den USA 19 000 Verletzungen registriert. Die Hälfte aller Unfälle ereignete sich daheim, denn offenbar ersetzen die Absatzschuhe auch zunehmend die Hauspantoffel. Die Ursache ist möglicherweise tragisch: Leidenschaftliche High-Heel-Trägerinnen können irgendwann Probleme bekommen, auf flache Schuhe umzusteigen. Bei ihnen versteift sich die Achillessehne, die die Wadenmuskeln an der Ferse fixiert. Die Ferse kann dann nur noch unter Schmerzen auf den Boden gebracht werden.

Ärzte raten daher, hohe Absätze nach Möglichkeit nicht täglich zu tragen. Wer nicht so leicht auf High Heels verzichten mag, ist wahrscheinlich mit jenen Expemplaren besser bedient, die eine durchgehende weiche Sohle haben und damit einige Belastungen abfedern können. Auch regelmäßige kleine Übungen sind hilfreich. Wer die Füße immer mal wieder kippt und dreht, verringert die Gefahr permanenter Schäden.

Eine solch langfristige Beeinträchtigung blieb der Frau aus der Skinny Jeans übrigens erspart. Sie konnte die Klinik nach vier Tagen ohne Beschwerden verlassen.

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