Kabinett der Kalamitäten:Pupsen lernen

Gesundheitsserie: Blähungen

So unangenehm Blähungen auch sind, sie sind ein normaler Körpervorgang.

(Foto: Illustration: Dalila Keller)

Der Körper ist ein Wunderwerk - und verwundert uns täglich aufs Neue. Er produziert seltsame Geräusche, Gerüche, Ticks, Besessenheiten und Beschwerden. Hält sich aber gerne bedeckt, wenn man fragt: Wo kommt das her? Und vor allem: Wie geht das wieder weg? Eine Serie über Alltags-Misslichkeiten. Teil 8: Blähungen.

Von Berit Uhlmann

Die "pupsfangende Pluderhose" gehört zu jenen Entwicklungen, die man gar nicht hoch genug schätzen kann. Der US-Mediziner Michael Levitt erfand das Beinkleid aus luftdichtem Material in den Achtzigerjahren und studierte seine Fänge fortan mit großem Langmut. Man verlieh ihm Namen wie "Dr. Furz" und "Gas-Guru", was ungerecht ist, denn die Erkenntnisse, die der Amerikaner aus der Pluderhose sog, sind heute wichtiger denn je.

Kaum wölbt ein wenig Luft den mühsam trainierten Bauch nach vorne, diagnostiziert sich der moderne Mensch alle möglichen Allergien und Unverträglichkeiten und hält die Hälfte seines Speiseplans für einen Schnellzug in die stinkende Hölle. Fast könnte man sagen, die größte Allergie unserer Zeit ist die Pupsallergie: Die Menschen vertragen ihre Winde nicht mehr.

Dabei entweichen Männern wie Frauen durchschnittlich zehn bis 20 Pupse täglich. Levitt und andere Fachleute empfehlen daher allen, die in Sorge um die Luftbewegungen im Bauch sind, erst einmal nachzuzählen. Erst wenn wirklich deutlich mehr als 20 Winde zusammenkommen oder sich der Bauch schmerzhaft bläht, sollten Maßnahmen erwogen werden.

Dazu gehört zum einen, das Luftschlucken zu vermeiden. Denn ein Teil der Luft, die hinten rauskommt, wurde vorne unbewusst aufgenommen. Besonders häufig passiert dies beim Kaugummikauen, Bonbonlutschen, ständigem Nasehochziehen oder schlecht sitzenden Zahnprothesen. Vor allem aber treibt Stress die innere Windmaschine an. Im schlimmsten Fall kann es zu einer Art Perpetuum mobile des Pupsens kommen: Nervösem Luftschlucken folgen Blähungen, die noch mehr Stress verursachen, auf die wiederum mit Luftschlucken reagiert wird. Alles was Entspannung bringt, hilft in diesem Fall.

Was tun bei Schmerzen und Gestank?

Gase entstehen zudem im Körperinneren. Sie werden von Bakterien produziert, die unverdauliche Nahrungsteile im Dickdarm zersetzen. Besonders viel Nahrung für die hungrigen Bakterien sollen Bohnen, Kohl, Zwiebeln, Sellerie, Möhren, Bananen, Weizenprodukte, Getreidekleie und Rosinen liefern.

Doch so ganz hieb- und stichfest ist diese Liste nicht, bei den meisten Lebensmitteln ist der Zusammenhang zu Blähungen nicht untersucht. Und selbst wenn es einen Zusammenhang gibt, trifft er nicht auf alle Menschen zu. Forscher beklagen bereits, dass Menschen aus Angst vor dem Flatus zu wenig Bohnen essen und sich um wichtige Eiweißquellen bringen. Dabei entwickeln höchstens die Hälfte aller Bohnenesser Blähungen, und bei vielen schwächen sich die Probleme bereits nach einer Woche wieder ab. Ärzte empfehlen daher, die Lebensmittel nicht alle auf einmal, sondern einzeln für jeweils eine Woche wegzulassen und zu beobachten, was im Bauch passiert.

Schwieriger wird es, wenn Blähungen mit Schmerzen einhergehen. Es scheint, dass manche Betroffene gar nicht mehr Luft, sondern eher ein Verteilungsproblem im Bauch haben. Die Gase ballen sich bei ihnen stärker zusammen und drücken empfindlich auf die Darmwände. In dem Fall hilft auch die Nahrungsumstellung nicht mehr viel. Ob die viel beworbenen Medikamente nützen, ist nicht klar. Lefax, Sab simplex und eine große Zahl weiterer Mittel bestehen alle aus dem Wirkstoff Simeticon. Er ist allerdings ebenfalls nicht gut untersucht. Ein Versuch mit dem Wirkstoff schadet wohl nicht, da er allem Anschein nach keine Nebenwirkungen hat. Das Gleiche gilt für Lösungen aus der Natur, etwa Fenchel oder Kümmel. Was bleibt, ist auch in diesem Fall Entspannung - am besten in aufrechter Haltung. Ein Flatus scheint besser zu rutschen, wenn man steht, und nicht liegt.

Bleibt die Frage nach dem Geruch. Er rührt eigentlich nur aus einem Zehntausendstel der abgehenden Gase her, nämlich denen, die Schwefel enthalten. Wirklich kleiner wird das Problem damit aber nicht. Wie viel Schwefelgase gebildet werden, hängt von der ganz persönlichen Darmflora ab und die lässt sich nicht einfach ändern.

Die Mittel, die zur Behebung des Geruchproblems angeboten werden, sind auch eher unkonventionell. Slipeinlagen oder Kissen, die mit Aktivkohle gefüllt sind, können 20 bis 80 Prozent der Schwefelgase einfangen, hat eine von Levitts Studien erbracht. Den Rest nannte der Forscher "Durchblaseverluste", womit er kreativ beschrieb, dass das Gas an ihnen vorbeiglitt. Am dichtesten hielt eine spezielle Antiflatus-Unterwäsche aus Aktivkohle. Leider wurde in dem Versuch nicht klar, wie oft sie benutzt werden kann. Die Frage ist nicht unerheblich: Die Unterhose kostet mehr als 60 Dollar und sieht dabei kaum besser aus als die Pluderhose, die Levitt einst selbst bastelte: aus dem silbrigen Folienmaterial, aus dem Luftballons bestehen, und Klebeband.

Hinweis: In dieser Serie beschäftigen wir uns mit Phänomenen, die im Alltag als sehr störend erlebt werden, in den meisten Fällen jedoch keinen echten Krankheitswert haben. Für viele Fälle von Blähungen trifft dies zu. Auch die häufig zitierten Unverträglichkeiten von Gluten, Laktose und Fruktose sind viel seltener, als die meisten Menschen glauben. Ausgeschlossen sind sie natürlich nicht. Im Zweifelsfall sollten Sie daher professionellen Rat holen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: