Aids:Die Pille davor

South Africa International Aids Conference in Durban

Sexarbeiterinnen und ihre Unterstützer protestieren in Durban für bessere Arbeitsbedingungen. Hilft ihnen die "Pille davor"?

(Foto: dpa)

Präparate, die einer HIV-Infektion vorbeugen sollen, werden derzeit in Afrika erprobt. Sie sind auch eine Option für Risikogruppen in Europa - allerdings eine sehr teure.

Von Christoph Behrens, Durban

Carolyne Njoroge, Straßenname "Esther", hat wohl einen der gefährlichsten Arbeitsplätze der Welt. Als Prostituierte im kenianischen Nairobi ist sie Zuhältern, gewalttätigen Freiern und polizeilicher Willkür ausgesetzt. Die Kriminalitätsrate in der Stadt ist eine der höchsten unter Afrikas Metropolen, jede dritte Kollegin ist mit HIV infiziert. Seit kurzem ist Njoroge auch Teil eines Forschungsprojekts. Die Frauen werden von der kenianischen Gesundheitsorganisation "LVCT Health" mit "Prep" versorgt, kurz für "Prä-Expositions-Prophylaxe". Die Pillen enthalten antiretrovirale Wirkstoffe und sollen die Ansteckung mit HIV verhindern. Sie werden vorbeugend eingenommen, also vor einer möglichen Ansteckung. In den USA ist das Medikament unter dem Handelsnamen "Truvada" seit 2013 auf dem Markt.

"Unsere Regierung unternimmt Schritte für besonders betroffene Gruppen wie uns", sagt Njoroge. Die Stiftung von Bill Gates unterstützte den Pilotversuch unter 1000 kenianischen Sexarbeitern und will die Medikamente mit Zustimmung des Staates demnächst an 20 000 weitere Prostituierte in Kenia verteilen. 30 ähnliche Projekte laufen laut der Aids-Organisation Avac in Afrika.

Ein Team der Washington University konnte bei einer Untersuchung von 1000 Paaren in Kenia und Uganda zeigen, dass die Methode das Infektionsrisiko um 94 Prozent senkt. Zwei Drittel der Frauen in der "Partners Demonstration Project"-Studie waren HIV-infiziert, unter allen Paaren gab es in den zwei Jahren des Versuchs nur vier HIV-Übertragungen. In diesen Fällen sei das Medikament nicht zuverlässig eingenommen worden, vermuten die Epidemiologen. "Wir beobachteten eine praktisch vollständige Eliminierung der HIV-Übertragung", sagt Jared Baeten von der University of Washington.

"Die regelmäßige Einhaltung ist die Achillesferse von Prep"

Was in Afrika funktioniert, könnte in ähnlicher Form auch für Europa interessant sein. Auf den ersten Blick mögen die Verhältnisse in Frankreich oder Deutschland mit denen in Afrika kaum vergleichbar sein. In Deutschland sind rund 0,1 Prozent der Bevölkerung von HIV betroffen, der Wert ist in Kenia rund 50 Mal höher. "Die Ansteckungsrate in Europa ist zwar allgemein gesehen sehr niedrig, aber in manchen Hochrisiko-Gruppen ist sie so hoch wie in Südafrika", sagt Jean-Michel Molina von der Universität Paris Diderot. Einem hohen Risiko seien vor allem promiske homosexuelle Männer ausgesetzt - unter Schwulen in London oder Paris liege die jährliche Ansteckungsrate mit HIV bei neun Prozent. "Wir wissen, dass bei diesen Gruppen Kondome als Schutz nicht ausreichen", sagt Molina.

Könnte Prep diesen Schutz bieten? Der Mediziner hat im Auftrag der französischen Forschungsagentur ANRS eine mehrjährige Untersuchung mit 360 Männern geleitet. Die Ergebnisse dieser "Ipergay"-Studie wurden soeben auf der Aids-Konferenz in Durban vorgestellt. Die Prophylaxe senkte das Risiko einer HIV-Ansteckung unter den Probanden um mehr als 90 Prozent. Rein statistisch gesehen müssten in dieser Gruppe während der 24 Monate mehr als zehn Infektionen aufgetreten sein, tatsächlich steckte sich nur ein Teilnehmer an. Dieser habe phasenweise aufgehört, das Medikament zu nehmen.

Genau dieses Problem fürchten manche Experten: dass die Pillen bei weniger strenger Überwachung durch Ärzte nicht regelmäßig genommen werden und der Schutz verwässert wird. "Die regelmäßige Einhaltung ist die Achillesferse von Prep", sagt Molina. Die ANRS-Forscher haben das Pillenregiment in Kenia daher zu einem "On Demand" System modifiziert. Die französischen Männer waren angehalten, innerhalb von 24 Stunden vor möglichem ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwei der Pillen zu nehmen, und in den folgenden zwei Tagen wieder zwei. "Es ist eine Alternative für Personen, die nicht jeden Tag eine Pille einnehmen wollen", sagt Molina. Er vermutet, dass diese "flexiblere" Methode für viele einfacher einzuhalten ist.

Frauen sehen sich durch die Vorsorge gestärkt

Frankreich hat Anfang des Jahres als erstes Land in Europa Truvada zur HIV-Vorbeugung zugelassen, etwa 1500 Franzosen nutzen die Methode zur Prävention bereits, schätzt Molina. Personen mit besonderem Risiko bekommen das Medikament sogar vom Staat bezahlt.

"In Deutschland gibt es Teilgruppen, für die das eine wichtige Option ist", sagt Silke-Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aids-Hilfe. Dazu zählt sie vor allem homosexuelle Männer, "die sagen, ich schaffe es nicht immer, ein Kondom zu verwenden", sagt Klumb. Homosexuelle benutzten zwar deutlich mehr Präservative als Heteros, betont Klumb. Werde es jedoch einmal vergessen, sei das Gesundheitsrisiko für Schwule aber gleich viel höher. Eine Zulassung von Truvada zur Prävention für die gesamte EU wird im Sommer oder Herbst erwartet.

Der Wirkstoff, der auch zur Behandlung bestehender HIV-Infektionen eingesetzt wird, ist als "Off Label" Medikament aber schon in Deutschland erhältlich. Für 800 Euro pro Monat können es sich aber nur wenige leisten. "Es sollte auch in Deutschland von der Kasse bezahlt werden", fordert Klumb, schränkt aber ein: "Die Preise müssen zuerst runter." Gleicher Zugang zur Präexpositionsprophylaxe für alle sei äußerst wichtig, betont Molina. Wenn es für manche zu teuer werde, führe das zu ungleicher Behandlung. Das Geld hält der Mediziner für gut angelegt - jede verhinderte HIV-Infektion spare die Kosten für die lebenslange Behandlung.

"Die jungen Frauen fühlen sich sicherer, besser - und häufiger auch attraktiver als früher"

Möglicherweise entschärft sich das Kostenproblem in den nächsten Jahren von selbst. In Frankreich werden erste generische Prep-Medikamente für Anfang 2017 erwartet - sie enthalten ähnliche Wirkstoffe wie Truvada, sind aber deutlich günstiger. Weitere Wirkstoffe befinden sich in einer fortgeschrittenen klinischen Phase. Für Frauen wird etwa derzeit ein Ring entwickelt, der in der Scheide antiretrovirale Wirkstoffe zur HIV-Prävention freisetzt.

In Kenia haben die Forscher mit den derzeit erprobten Wirkstoffen noch einen Nebeneffekt ausgemacht: Die Prostituierten sahen ihre Position in der Gesellschaft gestärkt. "Die jungen Frauen fühlen sich sicherer, besser - und häufiger auch attraktiver als früher, wenn sie Prep nehmen", sagt Michael Kiragu, der die Untersuchung leitete. Er schreibt das der engen Zusammenarbeit mit den Frauen zu, die sich auf einmal ernst genommen fühlten. Carolyne Njoroge hofft, dass sich mit dem verbesserten Zugang "zu Interventionen, die für uns gedacht sind", auch die Situation der Sexarbeiter verbessert, die in vielen Entwicklungsländern kriminalisiert werden.

"Der Ruf nach Prep ist unter Sexarbeiterinnen in Deutschland nicht besonders groß", sagt hingegen Silke Klumb von der Deutschen Aids-Hilfe. "Sie haben die Befürchtung, dass Kunden dann viel mehr darauf drängen, Sex ohne Kondom zu haben." Ob mit der Ausweitung der Präexpositionsprophylaxe Kondome an Attraktivität verlieren, lässt sich derzeit nicht wirklich absehen. "Personen, denen es schwerfällt, Kondome zu benutzen, sind am meisten an Prep interessiert", sagt Jared Baeten von der Universität Washington. "Aber es ist nicht so, dass die Kondombenutzung zurückgeht - die Leute benutzen sie jetzt schon nicht." Jean-Michael Molina betont, Prep sei sicher kein Ersatz für Kondome, sondern "ein zusätzliches Werkzeug".

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