Zahnmedizin:Eine Antiquität namens Bonusheft

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Als Kassenpatient gilt es den jährlichen Eintrag ins Bonusheft nicht zu vergessen. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Noch immer sollen Kassenpatienten ein Stempelheft führen, damit eines Tages ihr Zahnersatz billiger wird. Man darf fragen, ob das noch zeitgemäß ist.

Von Berit Uhlmann

Möglicherweise sorgen sich gerade jetzt wieder Menschen, dass sie den Kontrolltermin vergessen haben. Dass sie versäumt haben, was man vom guten Kassenpatienten verlangt: das Bonusheft "sauber zu führen", wie die Zahnärzte es formulieren.

Egal wie mobil die Bundesbürger durch die Welt ziehen; egal, wie viele ihrer Geschäfte sie elektronisch erledigen, in ihrem Gepäck müssen sie noch immer ein Stempelheftchen im 80er-Jahre-Design mitschleppen. Jahr für Jahr muss der Zahnmediziner mit dem Stempel auf ein braunes Feld zielen, um zu dokumentieren, dass er die Mundhöhle des Patienten inspiziert hat.

Hält sich der Patient fünf Jahre lang an das antiquierte Prozedere, hat er Anspruch auf einen höheren Zuschuss zum Zahnersatz. Für Kronen, Brücken oder Prothesen erhöht sich die Zuzahlung der Kasse dann um 20 Prozent. Nach zehn Jahren Stempeln bekommt der Patient 30 Prozent mehr, als ihm ohnehin zustünden.

Dafür aber darf der Versicherte nie das Heft vergessen oder - Gott bewahre - verlieren. In diesen Fällen muss er die Vorsorge nachträglich dokumentieren lassen, wofür die Ärzte bei großem Pech noch Gebühren verlangen. Wer nimmt diese ganze Mühe auf sich?

Offenbar gar nicht so wenige. Der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zufolge machen 55 Prozent der Patienten, die Zahnersatz bekommen, Gebrauch vom Bonus aus dem Heftchen. Dieser Anteil sei seit zehn Jahren unverändert.

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Wie viele von denen, die noch keinen Zahnersatz benötigten, das Heft führen, ist nicht bekannt. Der Zahnarztverband geht aber fest davon aus, dass die Papiere weiter ausgestellt und gepflegt werden. Dafür spreche insbesondere die Tatsache, dass die Praxen zum Jahresende voller sind als zu anderen Zeiten. Dann nämlich sicherten sich die Patienten "den Stempel", was "nicht auf eine nachlassende Begeisterung der Versicherten für ein sauber geführtes Bonusheft" hinweise.

Bei den Kassen, die die Kosten für die Ausstellung und Überprüfung der Hefte tragen, teilen längst nicht alle die Begeisterung. Die Kaufmännische Krankenkasse KKH findet das Papier zwar "eindeutig zeitgemäß", da es dem Patienten Transparenz sichere. Andere Kassenvertreter aber sind skeptischer. "Es gibt technisch sicher intelligentere Lösungen", kommentiert die Techniker Krankenkasse. Sie setzt sich dafür ein, die Erfassung zu digitalisieren, aber "die Tatsache, dass eine riesige Datenmenge bisher nur in Papierform existiert, wirft noch diverse praktische und technische Fragen in der Umsetzung auf". Zum Beispiel, wie die Daten übertragen werden, wenn ein Patient die Kasse wechselt. Auf die elektronische Gesundheitskarte wagt derzeit niemand zu hoffen. Ob sie jemals mehr als Basisdaten des Versicherten anzeigen wird, ist heute weniger klar denn je.

Was das Bonusheft betrifft, liegt die größte Unklarheit darin, dass niemand weiß, ob der Anreiz der Gesundheit nützt. Weder den Zahnärzten noch den Kassen ist irgendein Versuch bekannt, zu evaluieren, ob die Bundesbürger nun häufiger zur Kontrolle gehen oder gar besonders heile Gebisse haben.

Das verwundert allerdings nicht allzu sehr, wenn man sich erinnert, wozu das Heft einst eingeführt wurde. Der 1988 beschlossene Bonus war ein Trostpflaster für die Streichungen, die CDU-Sozialminister Norbert Blüm im Zuge seiner Gesundheitsreform vornahm. Die Kassenzahlungen für den Zahnersatz wurden auf einen Schlag von 100 auf 50 Prozent gekürzt. Die Zahnärzte waren damals sehr gegen diese Änderungen und regten als Ausgleich ein "Prophylaxe-Scheckheft" an. Daraus wurde das Bonusheft, das wir noch heute durch die Welt schleppen.

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