Was krank macht:Lautes Heim

Was krank macht: Ist es in der Wohnung dauerhaft laut, kann dies nicht nur das Ohr, sondern die ganze Gesundheit beeinträchtigen.

Ist es in der Wohnung dauerhaft laut, kann dies nicht nur das Ohr, sondern die ganze Gesundheit beeinträchtigen.

(Foto: Regina Schmeken)

Ob stark befahrene Straße oder rücksichtslose Nachbarn: Dauerhafte Lärmbelästigung schadet. Und wer sich darüber ärgert, lebt noch ungesünder.

Von Felicitas Witte

Wenn der Teenager nebenan laut Musik hört, die Frau im oberen Stockwerk ständig mit Stöckelschuhen läuft oder der Straßenverkehr ständig hörbar ist: Lärm nervt nicht nur, sondern schadet der Gesundheit. Er kann Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herzinfarkt oder einen Schlaganfall verursachen.

Lärm werde "als Gesundheitsproblem total unterschätzt", sagt Thomas Münzel, Chef-Kardiologe vom Uniklinikum in Mainz. "Dabei wissen wir inzwischen aus guten Studien, dass Lärm - vor allem wenn man an lauten Straßen oder in der Nähe von Flughäfen lebt - sehr krank machen kann." 1910 soll der Bakterienforscher und Nobelpreisträger Robert Koch vermutet haben, dass der Mensch eines Tages Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müsse wie Cholera und Pest. "Allein schon für diese Prophezeiung hat sich Koch den Nobelpreis verdient", sagt Münzel. "Faszinierend, dass er damals schon ahnte, wie frustrierend der Kampf gegen Lärm für uns Forscher heute sein würde."

Ist es zu laut, steigt das Risiko eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verlieren Menschen in Westeuropa eine Million gesunde Lebensjahre pro Jahr, weil sie zu viel Lärm ausgesetzt sind. Besonders häufig sind Schlafstörungen und Herzprobleme. Um gut zu schlafen, sollte der Schallpegel unterhalb von 30 Dezibel liegen, so die WHO. Für gute Lernbedingungen sollten in Klassenräumen nicht mehr als 35 Dezibel herrschen. Doch 40 Prozent der Bevölkerung in der Europäischen Union sind ständig Verkehrslärm von mehr als 55 Dezibel ausgesetzt. Damit man eine Vorstellung hat: 30 Dezibel entsprechen Flüstern, 60 Dezibel einer Unterhaltung in normaler Lautstärke, 80 Dezibel dem Lärm einer Hauptverkehrsstraße und 85 bis 100 Dezibel einem Presslufthammer oder Lastwagenverkehr.

Lärm schädigt zum einen direkt das Ohr, zum anderen beeinträchtigt er die gesamte Gesundheit. "Wie schlimm Lärm ist, hängt nicht nur von der Lautstärke ab, sondern, wie sehr wir uns darüber ärgern", sagt Hans Drexler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin. Ärger löst Stress im Körper aus, und er schüttet Stresshormone wie Adrenalin und Kortisol aus. "Von der Evolution her soll uns Stress dazu befähigen, von einer Gefahr wegzulaufen", erklärt Drexler, "also macht der Körper alles dafür bereit." Er steigert Blutdruck und Herzfrequenz und gibt Zucker und Fette ins Blut ab, um Energie bereitzustellen. "Eigentlich liegt es auf der Hand", sagt Drexler. "Das sind die klassischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten."

Studien mit Tausenden Teilnehmern belegen: Personen, die ständig Lärm ausgesetzt sind, leiden häufiger unter Bluthochdruck und bekommen öfter Herzinfarkte oder Schlaganfälle. So erhöhte sich zum Beispiel laut einer schwedischen Studie das Risiko für einen Herzinfarkt um circa zehn Prozent, wenn die Personen zum Beispiel in ihrer Wohnung oder am Arbeitsplatz ständig 50 Dezibel und mehr Straßenlärm ausgesetzt waren. In einer zusammengefassten Untersuchung von zwölf Studien stieg mit jedem Anstieg um zehn Dezibel das Risiko um acht Prozent. Für Eisenbahn- und Fluglärm wurden ähnliche Effekte festgestellt.

Das Problem bei diesen Studien ist allerdings, dass andere Faktoren ebenfalls Herz-Kreislauf-Krankheiten auslösen können, etwa erblich bedingt zu hohe Cholesterinwerte, Übergewicht, Diabetes oder Rauchen. "Wir haben aber seit Kurzem klare Belege, dass Lärm unabhängig von solchen Faktoren die Blutgefäße schädigt", sagt Münzel. Sein Kollege Frank Schmidt setzte in seiner "Flight-Studie" 75 gesunde Probanden, während sie schliefen, drei verschiedenen Lärm-Szenarien aus: Sie wurden per MP3-Player zu Hause entweder mit 30 oder 60 simulierten Nachtflügen beschallt oder durften eine lärmfreie Nacht erleben. Je mehr Lärm die Probanden ausgesetzt waren, desto schlechter weiteten sich deren Blutgefäße, das bedeutet, dass diese mehr geschädigt wurden. "Durch den Lärm bildet der Körper Stresshormone und die lassen die Konzentration von sogenannten freien Radikalen ansteigen", erklärt Münzel. "Die Radikalen stellen die Blutgefäße eng, was letztendlich zu Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen, Herzinfarkt und Schlaganfall führt." Wurden die Probanden mit 30 Flügen beschallt und in der folgenden Nacht mit 60, erweiterten sich die Gefäße deutlich schlechter, waren also mehr geschädigt, als wenn die Probanden vorher eine ruhige Nacht erlebten. "Man gewöhnt sich also nicht an den Lärm, was oft behauptet wird, sondern das Ausmaß der Gefäßschäden nimmt zu", sagt Münzel.

Für die anderen gesundheitsschädlichen Effekte von Lärm wurden Schäden an Gefäßen oder anderen Organen zwar noch nicht nachgewiesen. Aber es gibt indirekte Hinweise aus Studien: Chronischer Lärm verschlechterte ab dauernden Schallpegeln von 40 Dezibel Gedächtnis, Lesefähigkeit und Aufmerksamkeit von Kindern, führte schon bei 30 bis 40 Dezibel zu Schlafstörungen und erhöhte das Risiko für Tinnitus.

Als besonders belastend wird der Lärm empfunden, auf den man keinerlei Einfluss hat

"Lärm stresst auch die Psyche", sagt Wulf Rössler, Professor für Psychiatrie in Zürich. "Und zwar je mehr, desto weniger wir ihn kontrollieren können." Das betreffe nicht nur Verkehrslärm, sondern auch Alltagslärm: "Läuft eine Frau ständig mit Stöckelschuhen in der Wohnung über uns, mäht jemand sonntags den Rasen oder hört der Teenager nebenan lautstark Musik, werden wir wütend und fühlen uns machtlos - vor allem, wenn wir nicht wissen, wie lange es noch dauert." Das Einfachste sei, die Kontrolle über den Lärm zu bekommen: "Laden Sie die Frau auf einen Drink ein und erklären Sie ihr, wie sehr Sie das stört, schenken Sie dem Teenager Kopfhörer und fragen Sie den Nachbarn, warum er so laut Musik hört. Vielleicht ist er schwerhörig und braucht einen guten Hörgeräte-Akustiker." Wer rücksichtslose Nachbarn hat, die zum Beispiel nachts sehr laut sind, kann sich an seinen Vermieter wenden. Dieser muss dann für Ruhe sorgen - andernfalls darf der Mieter die Miete mindern.

Verkehrslärm stresse so sehr, weil er nicht kontrollierbar sei, sagt Rössler. "Noch schlimmer wird es, wenn es mit einem Verlust verbunden ist, zum Beispiel wenn wie in Frankfurt eine neue Startbahn gebaut werden soll und das eigene Heim an Wert verliert."

Lärm sei der einzige Risikofaktor für die Gesundheit, den nur die Politik beeinflussen könne, sagt Münzel. "Zu hohe Cholesterin- und Blutzuckerwerte können wir Ärzte mit Tabletten senken, und mit dem Rauchen können Leute aufhören. Gegen Lärm sind wir machtlos." Wichtig sei es daher, Anwohner vor Straßen- und Fluglärm besser zu schützen.

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