Versicherungstarife:Gleicher Preis für alle

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Der Europäische Gerichtshof prüft, ob Versicherer die Prämien von Männern und Frauen angleichen müssen. Die Branche ist in heller Aufruhr.

Alina Fichter

Als Juliane Kokott sieben Jahre alt war, wollte sie nicht Prinzessin werden wie andere Mädchen in ihrem Alter. Sie wollte Päpstin werden. Oder wenigstens Bürgermeisterin. Sie wollte Einfluss haben. Fast 50 Jahre später hat die zierliche blonde Frau, Prof. Dr. Dr. der Juristerei, sechsfache Mutter, so manche Türe aufgestoßen - wenn auch nicht die des Vatikans. Im Jahr 2003 wurde sie als dritte Frau Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Ihr Einfluss dort versetzt die Versicherungsbranche derzeit in Panik: Womöglich werden Männer und Frauen bald einheitliche Prämien für ihre Policen zahlen.

Unterschiedliche Versicherungstarife für Männer und Frauen seien diskriminierend, meint Generalanwältin Juliane Kokott. (Foto: dpa)

Ein Verbraucherverband und zwei Privatpersonen hatten vor dem belgischen Verfassungsgericht geklagt: Es könne nicht angehen, dass Versicherer vom Diskriminierungsverbot ausgenommen seien, argumentierten sie. Das schreibt vor, Männer und Frauen "in der Versorgung mit Dienstleistungen" gleich zu behandeln.

Trotzdem dürfen Versicherungsunternehmen bisher höhere Beiträge verlangen, wenn das Geschlecht ein sogenannter bestimmender Risikofaktor ist. Ein Beispiel: Männer fahren schneller Auto, bauen häufiger Unfälle - und zahlen deshalb höhere Beiträge für ihre Autopolice. Das belgische Verfassungsgericht entschied nicht, sondern reichte den Fall an das EuGH weiter.

Die Luxemburger Richter prüfen jetzt, ob die bisherigen Tarife gegen das Verbot der Diskriminierung verstoßen. Juliane Kokott verfasste den Schlussantrag für den Fall (Az.: C-236/09), auf dessen Basis die Richter entscheiden. Und das 59 Seiten starke Dokument ist eindeutig: Die Juristin hält Preisunterschiede bei Prämien für diskriminierend. Sie plädiert dafür, die Ausnahme für Versicherer zu kippen und europaweit Unisex-Tarife einzuführen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es so weit kommt, die Luxemburger Richter folgen in den meisten Fällen dem Schlussantrag ihrer Generalanwälte.

Die Versicherer sind seitdem fassungslos. Ihr Geschäftsmodell würde in Frage gestellt, schimpften sie kürzlich auf ihrer Jahrestagung in Berlin. "Der Preis eines Tarifs muss das Risiko des Kunden widerspiegeln", sagt Markus Rieß, Vorstandsvorsitzender der Allianz Deutschland, anders könne ein Privatunternehmen nicht wirtschaften.

Würden Frauen nicht wie bisher höhere Beiträge zur Rentenversicherung zahlen, gerieten die Versicherer in Finanzierungsnot. Ein Mädchen, das heute auf die Welt kommt, wird durchschnittlich 82 Jahre alt, ein Mann nur 77. Die Rentenphase einer Frau ist im Schnitt also deutlich länger - und damit teurer.

Kokott lässt sich von Statistiken nicht beeindrucken. Lediglich "eindeutig nachweisbare biologische Unterschiede" könnten ihrer Meinung nach unterschiedlich hohe Versicherungstarife für die Geschlechter rechtfertigen. Und wer kann schon nachweisen, dass Frauen aus biologischen Gründen älter werden?

Die Lebenserwartung werde nicht maßgeblich vom Geschlecht, sondern von Faktoren wie Ernährung, Einkommen und Beruf beeinflusst, schreibt Kokott in ihrem Schlussantrag. Argumente wie die, dass der berufliche Stress Männern Lebensjahre raube, lässt die Karrierefrau nicht gelten: Die traditionellen Rollenbilder seien längst überholt.

30 Milliarden Euro soll die Umstellung kosten

Folgt der Gerichtshof Kokotts Empfehlung - das Urteil fällt wohl Anfang 2011 -, müssten Versicherer nach einer Übergangsfrist von drei Jahren Unisex-Tarife für alle Policen anbieten, auch Altverträge müssten angepasst werden. 30 Milliarden Euro würde das allein die Lebensversicherer kosten, fürchtet der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Lars Gatschke vom Verbraucherzentrale Bundesverband hält eine Anpassung dagegen für unproblematisch: "Bei den Riesterverträgen hat es doch auch reibungslos geklappt." Dort gilt bereits seit 2006 ein Einheitstarif, Männer zahlen seither etwas höhere Beiträge. Gatschke begrüßt die Ausweitung der Unisex-Tarife auf alle anderen Versicherungen. "Es ist doch völlig willkürlich, ausgerechnet Frauen als eine Risikogruppe zusammenzufassen, und Männer als eine andere."

Viel wichtiger seien Berufs- oder Einkommensgruppen und das Verhalten der Versicherten. Der Versicherungsverband dagegen hält es für unmöglich, Risikokriterien wie das Verhalten des Einzelnen mit in die Prämienkalkulation einfließen zu lassen: "Wir würden an die Grenzen des Datenschutzes stoßen", sagt ein Sprecher.

Generalanwältin Juliane Kokott beobachtet die hitzige Diskussion aus ihrem Luxemburger Büro. Zum laufenden Verfahren äußert sie sich nicht. Dafür verrät sie, wie sie bisher meist ans Ziel gelangte: Sie habe Biss, damit komme man weit. Nur eben nicht auf den Papststuhl.

© SZ vom 22.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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