Versicherungs-Urteil des EuGH:Männer, Frauen, Menschen

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Die Europa-Richter haben recht: Nach Geschlecht bemessene Versicherungstarife sind von gestern. Auf dem Weg zur Gleichberechtigung lassen sie sich auch von einer starken Lobby nicht aufhalten.

Daniela Kuhr

An diesem Dienstag hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil gefällt, das Geschichte schreiben wird. Die höchsten EU-Richter entschieden, dass unterschiedliche Versicherungstarife für Männer und Frauen eine Diskriminierung darstellen. Bis 2012 müssen diese Tarife verschwinden. Damit beendet das Luxemburger Gericht eine bei Versicherern jahrzehntelange Praxis. Doch so sehr die Branche jetzt aufbegehrt: Das Urteil ist richtig - und nicht weniger als ein Meilenstein auf Europas Weg zu einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft.

(Foto: N/A)

Bislang sind unterschiedliche Tarife bei Versicherern absolut üblich. So zahlen Männer bei Autoversicherungen mehr als Frauen, weil sie statistisch belegt häufiger Unfälle bauen. Auch Risikolebensversicherungen sind für Männer teurer, weil bei Frauen das Risiko des vorzeitigen Todes geringer ist. Um deutlich mehr Geld aber geht es bei Renten- und Krankenversicherungen. Dort jedoch sind es die Frauen, die höhere Beiträge zahlen, und zwar beachtlich höhere - aus dem einfachen Grund, weil sie, wiederum statistisch belegt, einige Jahre länger leben. Das angesparte Geld muss also für einen längeren Zeitraum reichen.

Wenn es bislang jemand wagte, diese Praxis als Diskriminierung zu bezeichnen, wiesen die Konzerne das empört zurück. Die unterschiedlichen Tarife hätten nichts mit bösem Willen zu tun, sondern seien allein Folge unterschiedlich hoher Risiken, sagten sie. Und beim ersten Hinhören leuchtet die Argumentation auch völlig ein. Als die EU-Kommission sich 2003 daran machte, Europas Wirtschaft die Gleichbehandlung von Männern und Frauen vorzuschreiben, hat sie wegen eben dieser Argumente eigens eine Ausnahme für die Versicherer in die Richtlinie mit aufgenommen.

Anders als die Politiker damals ließ sich der EuGH jedoch nicht beeindrucken. In dem gerade mal achtseitigen Urteil verzichtete das Gericht komplett darauf, sich mit den Einwänden der Branche auseinanderzusetzen. Stattdessen stellten die Richter unmissverständlich klar: In einer Gesellschaft, zu deren Grundüberzeugungen die Gleichberechtigung von Mann und Frau zählt, kann nichts, auch nicht die beste betriebswirtschaftliche Argumentation, eine dauerhafte Benachteiligung rechtfertigen. Punkt.

Wenn die Versicherer nun behaupten, damit werde ihnen eine verantwortungsvolle Kalkulation von Risiken unmöglich gemacht, so ist das Unsinn. Sie dürfen auch weiter unterschiedliche Tarife anbieten, die etwa an den Beruf oder persönliche Gewohnheiten anknüpfen - aber eben nicht an das Geschlecht. Das wird sogar zu verlässlicheren Ergebnissen führen, denn die Differenzierung nach dem Geschlecht war willkürlich und ohne jede solide Grundlage. Oder wer will ernsthaft behaupten, ein dicke, rauchende Frau mit einem stressigen Beruf habe eine längere Lebenserwartung als ein schlanker, sportlicher Sachbearbeiter? Trotzdem bekommt er derzeit aus seiner privaten oder betrieblichen Rente im Alter schnell 2000 Euro jährlich mehr ausbezahlt - und kann damit pro Jahr mindestens einmal häufiger in Urlaub fahren als die Frau. Mit verantwortungsvoller Kalkulation hat das nichts zu tun. Die Versicherer behaupten zudem, die Beiträge würden jetzt für alle teurer. Das haben sie auch schon gesagt, als die sogenannten Unisex-Tarife bei der Riester-Rente Pflicht wurden. Damals erwies sich das als plumper Bluff, und genauso wird es diesmal sein.

Der Aufschrei der Versicherer zeigt nur, wie sehr das Urteil die Branche, die doch sonst immer Gehör in der Politik gefunden hat, erschüttert. Diesmal aber führt kein Weg dran vorbei: Die Konzerne werden komplett neu kalkulieren und das Vertragswerk überarbeiten müssen. Denn die Richter haben eines klar signalisiert: Sie wollen die Gleichberechtigung von Mann und Frau - und lassen sich auf dem Weg dahin auch von einer noch so starken Lobby nicht aufhalten.

© SZ vom 02.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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