Tabuthema Erbe:Schweigen bis zum Tod

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Existiert kein Testament, tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft. Dann ist der Streit häufig programmiert. (Foto: N/A)

Ein großer Teil der Deutschen hat kein Testament. Dabei wird eine genaue Regelung für den Nachlass immer wichtiger.

Von Lea Hampel und Pia Ratzesberger

Er hinterlässt ihnen von allem reichlich, von den Gemälden und von den Skulpturen, von den mehr als 12 000 Skizzen. Als Pablo Picasso 1973 stirbt, bleiben zwar mehrere Millionen, doch kein Testament. All die geliebten Frauen, all die gezeugten Kinder beginnen sich nach seinem Tode also zu zanken, nicht nur um die Werke, sondern immer auch um die Frage, wen er am innigsten geliebt hat, wen am meisten geschätzt, wen er nur noch verachtet hat. Beim Erben geht es nie nur ums Geld. Es geht immer um mehr.

Wer vererbt, zwingt seine Nachfahren dazu, sich nicht nur mit diesem Erbe auseinanderzusetzen, sondern auch mit der Beziehung zum Verstorbenen, mit den Hinterbliebenen, mit all den Verletzungen, die eine Familiengeschichte eben so durchziehen. Schon der griechische Redner Aischines sinnierte in der Antike über das Erbe, der britische Philosoph John Stuart Mill verurteilte es Jahrhunderte später, in Thomas Manns Buddenbrooks kämpft die Familie ums Erbe und auch im Tatort am Sonntagabend heißt es regelmäßig: Bruder gegen Schwester gegen Zweitfrau.

Eine durchschnittliche Erbschaft beträgt 305 000 Euro

Niemand weiß genau, wie viel in Deutschland vererbt wird, wegen der gesetzlichen Freibeträge werden nicht alle Erbschaften vom Finanzamt erfasst. Die meisten Ökonomen aber gehen von 200 bis 300 Milliarden Euro im Jahr aus. Eine Erbschaft beträgt im Mittel 305 000 Euro, heißt es in einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge, einer Tochter der Deutschen Bank. Kamen vor sechzehn Jahren noch 2,9 potenzielle Erben auf eine Erbschaft, sind es heute nur noch 2,1. Das heißt aber nicht, dass die Konflikte abnehmen. Das Gegenteil ist richtig.

Erben ist ein Tabu. Denn wer über das Erbe spricht, der spricht auch über den Tod, und so schweigen manche lieber. Die Jüngeren zögern zu fragen, wer die Ferienwohnung bekommt und wer das Wohnmobil aus den Achtzigern, so lange bis fragen nicht mehr möglich ist. Die Älteren zögern zu sagen, dass die Ferienwohnung längst verkauft ist und das Wohnmobil an die Geliebte gehen wird, so lange bis sagen nicht mehr möglich ist. Die meisten Deutschen haben in keinem Testament verfügt, was nach ihrem Tod mit ihrem Nachlass geschehen soll. Klar, wer gerade erst eine Familie gegründet hat, dem scheint das Ende des Lebens noch zu weit weg zu sein. Auch etwa 60 Prozent der über 50-Jährigen haben kein Testament, dann greift gegebenenfalls die gesetzliche Erbfolge. Doch gerade in Zeiten, in denen Familien immer öfter zerbersten, in denen Ehen geschieden werden und Kinder von Vater oder Mutter getrennt, sind auch diese gesetzlichen Erbfolgen immer verworrener.

Es wäre ratsam, den Nachlass noch zu Lebzeiten zu regeln, nicht nur, weil es den Nachfahren womöglich viel Leid erspart, sondern in manchen Fällen auch hohe Kosten. Die Zahl der Schenkungen steigt nicht ohne Grund. Es kann steuerlich durchaus günstiger sein, ein Haus den Kindern schon vor dem Tode zu vermachen, ihnen die Immobilie zu schenken. Dafür aber muss man sich trauen, das Tabu zu brechen und über das Erbe zu reden.

Die Therapeuten

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(Foto: SZ-Grafik)

Wenn Menschen zu Sabine Moosburger und ihrem Partner Axel Dubinski in die Familienberatung kommen, ist es oft zu spät: Erbstreitigkeiten, Vorsorge und Geld sind ein Thema geworden, das unter professioneller Anleitung besprochen werden muss. Die wenigsten sagen das allerdings sofort. "Es fällt den Menschen schwer, das anzusprechen", sagt Moosburger. "Da fallen schließlich zwei Tabuthemen zusammen: Tod und Geld", ergänzt Dubinski. Um Hemmungen abzubauen, erzählen die beiden Familienberater aus ihrem Leben. Danach öffnen sich die Menschen schnell. Denn so schwer das Thema fällt, gerade weil es tabu ist, ist das Redebedürfnis groß. Und so sitzt in der Beratung der Unternehmer, der überlegt, wem er seine Firma hinterlassen kann, aber auch die Witwe, die Angst hat, ihr Umfeld erfahre von ihrem großen Erbe. Klassische Streitigkeiten gibt es vor allem unter Geschwistern und in Patchwork-Familien, sagt Dubinski. Das Geld ist dann nicht das eigentliche Problem. "In der Regel geht es um ausgleichende Gerechtigkeit oder Rache für Erlebtes", sagt Moosburger. Hat sich zum Beispiel ein Kind zurückgesetzt gefühlt, ist wahrscheinlich, dass es ein Testament aus dem Gefühl heraus anficht, ihm stehe noch etwas zu, so Dubinski. Dahinter stecke der Versuch, entgangene Liebe über Geld zu kompensieren. "Aber solche Defizite können mit Geld nicht geheilt werden", so Moosburger. Die Therapeuten raten zu Vorbeugung. Sie bieten Seminare zu Geld im Familienkontext an. Und sie sehen die Erblasser in der Pflicht. "Wichtig ist, alle einzubeziehen und Entscheidungen transparent zu machen", sagt Moosburger. Mit anderen Worten: Wer "nach mir die Sintflut" denke, gefährdet den Familienfrieden.

Der Nachlasspfleger

Er zeigt mal ein paar Bilder, um Eindruck zu vermitteln, in welchen Wohnungen er die vergangenen Wochen so zugange war: Spinnweben, die sich wie ein Baldachin zwei Meter breit unter die Decke spannen. Leere Flaschen, die den Boden mit einem Teppich aus Altglas bedecken. Und dann ist da noch dieser Haufen schmutziger Stofffetzen, in der Mitte eine Kuhle. Norbert Hans, der in Wirklichkeit anders heißt, fährt mit dem Finger die Umrisse ab. In dieser Kuhle sei die Leiche damals verwest, zum Glück war die Polizei schon vor ihm da gewesen. Er rümpft die Nase, legt die Bilder zu einem Stapel zusammen, "und das war nur der vergangene Monat". Er streicht seinen Anzug glatt, dunkelblau, neben dem Revers blitzt das Einstecktuch, hellblau. Man kann sich nicht vorstellen, dass dieser Herr verkommene Wohnungen begeht, Kommoden durchforstet nach einem Testament, alte Rechnungen und Verträge nach Hinweisen auf mögliche Erben. Doch Hans wird von den deutschen Nachlassgerichten immer erst dann beauftragt, wenn der Tote keine Familie mehr um sich hatte und keine Freunde. Wenn nur Schulden bleiben oder das Sparbuch allein die Beerdigung bezahlt, eröffnet das Gericht ohnehin kein Nachlassverfahren. Wenn aber aller Wahrscheinlichkeit nach Vermögen da ist, muss Norbert Hans herausfinden, ob es Erben gibt, die vor dem Staat noch Anspruch hätten, eine verstoßene Affäre, einen vergessenen Sohn. Sind die erst einmal gefunden, hat Hans von dem unverhofften Geld erzählt, dann verwandelten sich manchmal die zartesten Geschöpfe zu gierigen Furien. Dann muss das Geld her, sofort. Wenn der Nachlasspfleger einwendet, dass solch ein Verfahren eben Zeit brauche, er noch ein wenig Geduld erbittet, ist das den meisten ziemlich egal.

Der Anwalt

Bernard Klinger ist seit vielen Jahren Fachanwalt für Erbrecht, und eines bleibt immer gleich: Die Hälfte der Klienten kommt erst, wenn der Erbfall schon eingetreten ist. Dabei wäre es für alle Beteiligten anders einfacher. Aber, das weiß Klinger, die Menschen meiden das Thema Testamentserrichtung. Dahinter steckt Aberglaube, sagt er: "Die Menschen wollen sich nicht mit ihren letzten Angelegenheiten befassen." Aber auch andere Unsicherheiten spielen hinein: Viele Menschen können sich schlicht nicht entscheiden, wer wie viel bekommen soll. Dazu kommt Unwissenheit: Sie sind überfordert, verstehen nicht, dass das Testament kein Abschiedsbrief ist, sondern eine Regelung für den Nachlassrichter. Und sie haben Angst vor den Kosten. "Dabei nennt ein erfahrener Anwalt die Gebühren in den ersten Minuten eines Gesprächs", sagt Klinger. Stattdessen hinterlassen viele keine oder fehlerhafte Testamente: Begrifflichkeiten wie Erbe, Vermächtnis und Nachlass benutzen viele Laien falsch. Die Auseinandersetzungen danach, so Klinger, kann man einteilen in die, bei denen jemand gegen den Erben vorgeht, weil er seinen Pflichtteil will und die Streitigkeiten unter Miterben. In diesem Fall geht es meist darum, wer mit welcher Quote erbt oder wer den Nachlass verwaltet und nutzen darf. Probleme entstehen bei Erbengemeinschaften vor allem bei Immobilien: Einer will verkaufen, der andere behalten, kann aber die Geschwister nicht auszahlen. "Es ist extrem, welche Konflikte da entstehen können. Dann brechen Kindheitsgeschichten auf", sagt Klinger. Wenn die Aufrechnerei beginne, sei die Höhe des Nachlasses egal. Gelegentlich sagen Klienten sogar zu ihm: "Mir geht's nicht ums Geld, mir geht's ums Prinzip."

Der Makler

Manche Erben seien dankbare Kunden. Also diese Gemeinschaften zum Beispiel, sagt Axel Wolf, in denen sich die Geschwister verachteten, die seien für ihn als Immobilienmakler nicht gerade unrentabel. Denn wenn auch nur einer das Haus der Mutter nicht mehr behalten möchte, sind die anderen oft gezwungen zu verkaufen, sonst könnten sie ihn nicht auszahlen. Die Erben seien dann nicht zimperlich, die Verträge recht schnell unterschrieben. Allerdings agiert Wolf in diesen Fällen nicht mehr nur als Immobilienmakler, sondern auch als Psychologe. Seinen Kunden geht es in solchen Fällen nämlich nicht mehr nur um den zu niedrigen Verkaufspreis, die Nordlage des Balkons. Es geht ihnen auch um den älteren Bruder, der bitte nicht zum Gespräch mit dem möglichen Käufer erscheinen soll. Die Schwester wiederum will nur zusagen, wenn eben dieser ältere Bruder kommt. Er habe schon Fälle gehabt, sagt Wolf, da habe sich die Familie seit Jahren nicht mehr gesehen, alle diplomatischen Bemühungen schienen zu versiegen. Letztendlich appellierte er: "Jetzt kommt bitte ein einziges Mal noch bei diesem Notar zusammen und dann müsst Ihr Euch in Eurem Leben ja wirklich auch nie wieder sehen." Die Aussicht, die ungeliebte Familie nie wiederzusehen, die half. Und wohl auch die Aussicht auf das Geld. Denn vor allem in den Großstädten, wo kaum Platz und der Grund teuer ist, kann man selbst an einem heruntergekommenen Bau aus den Fünfzigerjahren noch gut verdienen. Wenn solch ein Haus einem alleinigen Erben hinterlassen wird, stünden die Chancen für ihn schlecht, sagt Wolf. Dann behalte derjenige die Immobilie meist. Sobald aber zwei Personen erben oder sogar noch mehr: dann gebe es oft Streit und für ihn wieder einen neuen Auftrag.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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