Schrottimmobilien:Wegschauen hilft nicht

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Wenn sich die Hauseigentümer nicht um ihren Besitz kümmern, muss die Stadt eingreifen. Aber deren Möglichkeiten sind begrenzt. (Foto: Robert Haas)

In Deutschland gibt es Tausende verwahrloste Gebäude. Sie sind ein Problem für die Städte, und eine vergebene Chance. Immer mehr Kommunen gehen nun gegen die Eigentümer vor.

Von Stefan Weber

Bei ihrer Eröffnung galt sie als Inbegriff zeitgemäßer Wohnkultur: Die Großwohnsiedlung am Berliner Ring in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Bergheim hatte ein geräumiges Schwimmbad, Kegelbahn, Partyraum, große Tiefgarage. Das war im Jahr 1974. Doch schon bald zeigte sich, dass der zwölf Stockwerke hohe Gebäudekomplex mit seinen 275 Wohnungen nicht gut angenommen wird. Die Immobilie wirkte zu anonym, zu unübersichtlich, zu dunkel. Hier mochten nur wenige Menschen wohnen.

Und so wurde aus dem einstigen Vorzeigeobjekt ein Problemfall: Die Eigentümer wechselten häufig, immer mehr Wohnungen standen leer, und die Instandsetzungsmängel häuften sich. Die Rücklagen, mit denen man die Sanierung hätte finanzieren können, waren längst aufgebraucht. Als sich dann selbst bei Versteigerungen für Wohnungen in dieser Siedlung keine Bieter fanden, war der Tiefpunkt erreicht: Die Anlage hatte nur noch Schrottstatus.

Leere Fenster, marode Fassaden, kein Lebenszeichen und offensichtlich keine Perspektive: Solche verwahrlosten Immobilien wie die Wohnanlage in Bergheim gibt es zu Tausenden in Deutschland. Büro- und Schulgebäude, Industrieanlagen, vor allem aber Wohnbauten. Exakte Zahlen gibt es nicht. Einzelne Städte wie Wuppertal, Gelsenkirchen oder Duisburg haben erst begonnen, ihre Bestände systematisch zu erfassen. Der Deutsche Städtetag stellt fest: "Verwahrloste Immobilien sind vielerorts ein ernsthaftes Problem für die Stadtentwicklung." Denn der Verfall eines Gebäudes habe stets auch negative Ausstrahlungen auf die Nachbarimmobilien. Mitunter beeinträchtige er gar die Perspektiven eines ganzen Quartiers. Nach Beobachtung von Michael von der Mühlen, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Bauministerium, treten Problemimmobilien besonders an jenen Orten auf, an denen sich struktureller Niedergang und soziale Problemlagen besonders bemerkbar machen - "in benachteiligten Quartieren, in denen die Bewohnerzahlen sinken, und mit ihnen die Nachfrage und die Investitionsmöglichkeiten im örtlichen Immobilienmarkt."

Werden Investitionen verschoben, sinkt die Attraktivität der Gebäude, der Leerstand steigt

Um bei niedriger Nachfrage überhaupt noch Wohninteressenten anzulocken, müssen Eigentümer die Mieten stark senken. Nach Feststellung der Landesinitiative Stadtbaukultur in Nordrhein-Westfalen sind größere Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen bei Mieten von vier bis fünf Euro - wie sie in Schrumpfungsregionen üblich sind - jedoch kaum zu finanzieren. Die Folge: Notwendige Investitionen bleiben aus oder werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Damit sinkt die Attraktivität der Immobilie weiter, es gibt mehr Leerstand, und der Verfall beginnt. Gerade in gründerzeitlichen Altbaubeständen, heißt es bei der Initiative Stadtbaukultur, befördern Leerstände den Niedergang: Wenn nicht mehr geheizt und gelüftet werde, steige die Luftfeuchtigkeit - mit schlimmen Folgen für Bauelemente aus Holz.

Was tun? "Wer wegsieht, riskiert den wirtschaftlichen und sozialen Untergang ganzer Quartiere", sagt Frank Burlein, Mitglied der Geschäftsleitung bei der DSK-Unternehmensgruppe, die öffentliche und private Auftraggeber bei städtebaulichen Aufgabenstellungen berät. Die Politik reagiert. Der Bund hat vor Kurzem in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städtetag einen Leitfaden ("Verwahrloste Immobilien") aufgelegt, der zahlreiche Beispiele aus der kommunalen Praxis aufführt, einschließlich Handlungsempfehlungen für betroffene Kommunen. Der Deutsche Städtetag richtete im Frühjahr eine Fachveranstaltung aus ("Umgang mit verwahrlosten Immobilien in der kommunalen Praxis"). Im Saal saßen 100 Vertreter von Städten und Gemeinden, um sich von Experten anhand konkreter Projekte erklären zu lassen, welche Handhabe sie gegen Eigentümer von Schrottimmobilien haben.

Wie es gehen kann, weiß Tobias Marx, Geschäftsführer Nordstadtbüro des Ordnungsamtes der Stadt Dortmund. In der Ruhrgebietsstadt existiert bereits seit vielen Jahren ein "Arbeitskreis Problemhäuser", dem Vertreter verschiedener Behörden angehören: vom Rechts-, Sozial- und Umweltamt bis zum Stadtplanungsamt, der Polizei und anderen. "Bei der Arbeit mit Problemhäusern ist nur eine interdisziplinäre, behördenübergreifende Zusammenarbeit Erfolg versprechend. Einzelkämpfer kommen hier nicht weiter", sagt Marx.

Gegen investitionsunwillige Eigentümer von verwahrlosten Häusern setzt der Arbeitskreis auf eine "Politik der Nadelstiche". Immer wieder weist er die Vermieter auch auf kleinere Mängel wie eine nicht funktionierende Klingelanlage oder ein defektes Türschloss hin, mahnt eine Instandsetzung an und setzt diese von Fall zu Fall auf verwaltungstechnischem Weg durch. "Häufige Kontrollen sollen deutlich machen, dass die Stadtgesellschaft Problemimmobilien nicht ignoriert oder gar stillschweigend hinnimmt", so Marx.

"Aktiv eingreifen dürfen Bauordnungsämter nur bei akuter Gefahr."

Kommunen klagen häufig, sie hätten zu wenig rechtliche Mittel, um gegen Eigentümer von Schrottimmobilien vorzugehen. "Aktiv eingreifen dürfen Bauordnungsämter nur bei akuter Gefahr", betont die DSK-Gruppe. Dazu zählen unter anderem beschädigte Treppen, ungesicherte Aufzugsschächte, baufällige Erker und Balkone. Für die Sicherung solcher Gebäude - etwa durch das Zumauern von Türen und Fenstern - kommen zunächst die Städte auf. Ist der Eigentümer nicht greifbar oder insolvent, bleiben sie auf den Kosten sitzen. "Die Praxis zeigt, dass rechtliche Instrumente allein nicht ausreichen, um die Probleme, die Leerstände und Verwahrlosung erzeugen, zu bewältigen", betont Staatssekretär von der Mühlen.

Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben allerdings seit April 2014 ein zusätzliches Instrument, um gegen ignorante Vermieter vorzugehen. Seit dieser Zeit gilt das Wohnungsaufsichtsgesetz. Das ermöglicht den Wohnungsämtern, Instandsetzungen anzuordnen, wenn Wohnraum die Mindestanforderungen nicht erfüllt oder wenn Gesundheitsgefahren drohen. Reagiert der Eigentümer nicht, kann die Immobilie vergleichsweise leicht für unbewohnbar und somit für nicht vermietbar erklärt werden. "Das Gesetz ist ein Erfolgsmodell. Mehrere Städte haben die Bestimmungen bereits angewandt", sagt Manfred Groschek, der nordrhein-westfälische Wohn- und Bauminister.

Voraussetzung ist jedoch, dass die Eigentümer der verfallenen Häuser ausfindig gemacht und auf ein gemeinsames Vorgehen eingestimmt werden können. Aber das ist nicht immer einfach. Oft sind sie unbekannt verzogen oder verstorben. Da wird die Recherche zur Detektivarbeit. So wie im Fall der Großwohnanlage in Bergheim. Die DSK, die den im vergangenen Jahr angelaufenen Rückbau der Immobilie begleitete, musste auch in Moskau und Teheran Nachforschungen anstellen, um Wohnungseigentümer aufzuspüren. Vier Jahre war die Gruppe mit diesem Objekt beschäftigt. "Der Fall zeigt, dass man einen langen Atem braucht", betont Projektleiter Hans-Ulrich Schneider.

Die Initiative Stadtbaukultur ist überzeugt, dass ein Blick in die Niederlande hier weiterhelfen kann. Dort hatte die Stadt Rotterdam bereits vor mehreren Jahren die "Klushuizen-Idee" entwickelt. Klushuizen - wörtlich übersetzt "Bastelhäuser" - ist ein öffentlich gefördertes Instrument zur Bekämpfung von Wohnungsleerstand und Verwahrlosung. Dabei erwirbt die Kommune heruntergekommene Immobilien und verkauft sie unsaniert zu einem sehr günstigen Preis. Die Käufer müssen sich zu zwei Gegenleistungen verpflichten: Zum einen müssen sie die Immobilie in einem bestimmten Zeitraum hochwertig sanieren. Zum anderen müssen sie die Wohnung anschließend für mindestens drei Jahre selbst bewohnen. Das Modell ist ein Erfolg. In vielen Fällen ist es gelungen, neue Käufergruppen zu gewinnen und den Erwerb von Eigentum auch in problematischen Quartieren attraktiv zu machen.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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