Riedberg:Acker, Bau und Siedler-Charme

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Die Siedlung Riedberg soll bis zum Jahr 2020 fertiggestellt sein. (Foto: HA)

Im Frankfurter Norden setzt ein neuer Stadtteil Akzente. Er bietet viel Platz für Familien und gilt als Erfolgsmodell. Schon gibt es Pläne für ein weiteres Viertel - nur einige Kilometer weiter.

Von Helga Einecke

Attraktive Arbeitsplätze, aber zu wenig Wohnungen. Das erleben die Bürger in Städten und Ballungsräumen nicht erst seit heute. Die Stadt Frankfurt entschied sich schon in den 90er-Jahren für einen vollkommen neuen Stadtteil auf der grünen Wiese im Norden. Riedberg heißt dieses Gebiet. 15 000 Menschen werden dort wohnen, mehr als 10 000 sind es bereits. Der Riedberg hat die Dimension einer Kleinstadt und entspricht in seiner Ausdehnung der Frankfurter Innenstadt.

Die Anfänge waren mühsam. Bauern mussten ihr Ackerland hergeben, es kam zu Enteignungen und gerichtlichen Auseinandersetzungen. Die Planungen stockten immer wieder oder mussten geändert werden. Dabei gab es schon lange Bebauungspläne. Die Frankfurter Universität wollte in den 70er-Jahren raus aus der Stadt und baute am Hang tatsächlich ein einsames Institutsgebäude. Auch dem Frankfurter Zoo war es in der Innenstadt zu eng. Ein städtebauliches Gutachten sprach dem Riedberg dann Potenzial für 20 000 Einwohner zu. Eine gute Verkehrsanbindung zur Innenstadt, eine Verzahnung mit dem Campus der Universität und die große verfügbare Fläche wurden als Pluspunkte angesehen.

Heute ist zu besichtigen, was aus der Reißbrettplanung wurde: eine reale neue Wohnwelt. Viele Bewohner des Riedbergs fühlen sich wohl, dank einer ausreichenden Anzahl an Schulen und Kindertagesstätten; der neue Stadtteil ist ein großer Anziehungspunkt für Familien. Die Anbindung zur Innenstadt über die Autobahn und zwei U-Bahn-Linien erscheint perfekt. Politisch wurde die Siedlung mit dem dörflich strukturierten Stadtteil Kalbach in der Nähe verbandelt; sie bilden eine gemeinsame Wahlgemeinde, trotz völlig unterschiedlicher Historie.

Die kritischen Stimmen zum Riedberg fokussieren sich vor allem auf die Ästhetik. Das Sammelsurium von Reihenhäusern, Doppelhaushälften und mehrgeschossigen Wohnblocks findet bei manchen Fachleuten keine Gnade. So sprach der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler von einer städtebaulichen Katastrophe, einer erschreckenden Rückwärtsgewandheit. Man habe viergeschossige Häuschen nebeneinandergestellt, die keine vernünftigen Straßen und Platzräume entstehen ließen, vom Energiesparen ganz zu schweigen. Das sei Städtebau von vorgestern.

Tatsächlich hatte man den Riedberg nicht etwa zwiebelförmig von der Mitte her geplant, so wie früher die Dörfer rund um die Kirchen entstanden. Zwar gibt es im Zentrum eine Einkaufspassage samt Läden für den täglichen Bedarf. Aber das Gelände teilt sich in sieben Quartiere, also Viertel, die in unterschiedlichen Bauphasen entstanden. Sie haben Namen wie Altkönigblick, Schöne Aussicht, Ginsterhöhe, weil der Blick von Anfang an eine ganz wichtige Rolle spielte, um Bewohner anzulocken. Die mussten auch immer mehr Geld in die Hand nehmen, um sich eine Eigentumswohnung, ein Haus oder eine Mietwohnung dort leisten zu können. Die Preise für den Quadratmeter Eigenheim sind im Laufe der Jahre von 1500 auf mehr als 4000 Euro geklettert. In der sogenannten Weißen Stadt, einer Reminiszenz an den großen Frankfurter Stadtplaner Ernst May, sind auf dem Riedberg auch etliche Millionen-Objekte zu finden.

Martin Wentz stellte als Planungsdezernent von Frankfurt in den 90er-Jahren die Weichen. Er findet heute, auf dem Riedberg sei vieles richtig gemacht, frühzeitig Schulen und Kitas gebaut worden. "Auch wenn der Riedberg noch besser werden könnte, ist er eine Erfolgsgeschichte", sagt er. Gute Noten verteilt auch Filmregisseur Holger Joos, bekannt durch TV-Filme wie "Die Diplomatin". Der Wahl-Münchner fand Frankfurt früher furchtbar, lebt aber nun mit Frau und zwei Söhnen im Neubaugebiet. "Ich will hier nicht mehr weg", sagt er. "Ich fühle mich total wohl - vielleicht auch, weil ich als Kind selbst in einem Neubaugebiet aufgewachsen bin." Der Riedberg habe diesen "Siedler-Charme", findet er. Der Zusammenhalt sei groß, es sei nicht so anonym wie in München.

Die vielen Flachdächer sind nicht jedermanns Geschmack, treffen aber den Zeitgeist

Überhaupt zieht der Riedberg die Filmbranche magisch an. Das ZDF drehte dort den Film "Neues aus dem Reihenhaus", eine Fortsetzung von "Ein Reihenhaus steht selten allein". Regisseur Titus Selge bezeichnete die Architektur als skurril und ungewöhnlich. Man habe sich im Vorfeld zehn Siedlungen angeschaut und wurde erst auf dem Riedberg fündig. Schauspielerin Julia Richter lobt die Häuser als modern und geschmackvoll. Nur die Gärten könnten größer sein, findet sie.

Ein Schmuckstück des Stadtteils ist ohne jeden Zweifel das Universitätsviertel, das die Naturwissenschaften beherbergt. Das Biologicum mit großen parallelen Riegeln ragt kammartig nach Süden und bildet mit dem Otto-Stern-Zentrum, dem Buchmann Institute for Molecular Life Science, dem Innovationszentrum Biotechnologie und Studentenwohnheimen einen attraktiven Campus. Die zwei U-Bahn-Linien verbinden die Studenten und Bewohner in schnellem Takt mit der Stadt Frankfurt. Auch wenn Architekturkritiker einige Gebäude nicht mögen, andere das studentische Leben auf dem Campus vermissen, sorgt die Ballung von Kompetenz und die Ausrichtung auf moderne Wissenschaften für einen neuen Anziehungspunkt, für manchen gut bezahlten Arbeitsplatz und steigert ganz nebenbei das Renommee.

Das Leben auf dem Riedberg lässt sich nicht mit dörflichen Strukturen vergleichen. Der Ausdruck Schlafstadt hat seine Berechtigung, weil die Eltern tagsüber arbeiten, die Kinder in Schulen und Kitas verschwinden, die Studenten in den Hörsälen und Seminaren. Es gibt auch den Eindruck, der Beton dominiere das Gelände, es gebe zu wenig Grün und Schatten. Es herrschen die Farben Weiß und Grau vor, und die vielen Flachdächer und Kubenformen treffen zwar den Zeitgeist moderner Bauart und des individuellen Bauens, sind aber nicht jedermanns Geschmack.

Vollkommen frei waren auch die Projektentwickler und Immobilienträger im neuen Stadtteil nie. Denn als Treuhänder der Stadt Frankfurt agiert eine eigene Entwicklungsgesellschaft mit dem Kurznamen HA. Sie steuert die Immobilienprojekte, kontrolliert und behält in Abstimmung mit den Stadtplanern den Überblick. Mitte dieses Jahres ist Schluss mit der "städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme", die HA bleibt aber noch zehn Jahre lang Dienstleister. Im Flur ihres Büros an der Altenhöferallee stehen viele Spaten Spalier, stumme Zeugen für die zahlreichen Grundsteinlegungen der Vergangenheit.

Finanziell schließt die HA mit einem Defizit von 70 Millionen Euro, ursprünglich hatte man mit einem Gewinn von 4,5 Millionen Euro kalkuliert. Die Grundstückseigentümer mussten den Boden damals für 23 Euro je Quadratmeter hergeben, die Stadt verkaufte ihn für 500 Euro und finanzierte so die Kitas, Schulen, Straßen, Parks. Noch gibt es im Einkaufszentrum am Riedberg ein Informationsbüro der HA mit einem Modell des Stadtteils, aus dem längst Wirklichkeit geworden ist.

Und der Riedberg, der jahrelang umstrittene Trabant Richtung Taunusregion, könnte bald einen Zwilling bekommen. Die SPD, die in Frankfurt das Planungsdezernat übernimmt, propagiert den Pfingstberg als nächsten neuen Stadtteil auf der grünen Wiese. Der liegt gar nicht so weit vom Riedberg entfernt, nur einige Kilometer Richtung Osten.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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