Retouren:Da gehts zurück

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Amazon-Mitarbeiter im britischen Peterborough: In Versandzentren muss alles schnell gehen, auch die Bearbeitung von Retouren. (Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Die Verbraucher in Deutschland bestellen gern im Internet - und schicken vier von zehn Paketen wieder an den Händler. Das Retouren­management ist aufwendig. Auch, weil dafür spezielle Hallen benötigt werden.

Von Bärbel Brockmann

Der Online-Handel wächst rasant. 2017 erzielte der deutsche Einzelhandel bereits jeden achten Euro mit E-Commerce. Insgesamt setzte er damit 58,5 Milliarden Euro um, elf Prozent mehr als im Vorjahr. Die Hälfte der Online-Umsätze macht hierzulande Amazon; der US-Online-Händler kommt einer Studie des IFH Köln zufolge auf einen Marktanteil von 46 Prozent. Amazon-Kunden bestellten demnach 2017 doppelt so häufig wie noch vor fünf Jahren.

Mit der stetigen Zunahme der gelieferten Pakete steigt auch die Zahl der Retouren. Die Deutschen sind nach Branchenangaben ohnehin Retouren-Europameister. Von zehn Paketen werden im Schnitt vier wieder zurückgeschickt. Das liegt vor allem daran, dass die Rücksendungen für die Verbraucher in den meisten Fällen umsonst sind - anders als in fast allen anderen europäischen Ländern. Das verleitet die Kunden dazu, sich mehrere Artikel zur Auswahl zu bestellen. Es steht also von vorneherein fest, dass ein Großteil wieder zurückgeschickt wird.

Je nach Warengruppe fällt die Zahl der Retouren unterschiedlich hoch aus. Große Elektrogeräte, Möbel oder auch Lebensmittel werden selten zurückgeschickt. Ganz anders bei Kleidung und Schuhen. Hier kann die Retourenquote nach Angaben des Beratungsunternehmens EHI schon mal bei 50, 60 oder sogar 70 Prozent liegen. Das verursacht hohe Kosten - das EHI veranschlagt pro Rücksendung durchschnittliche Kosten von zehn Euro. Die Rücksendungen müssen außerdem im Lager anders behandelt werden als Neuware.

Retouren müssen auf ihre Funktionalität kontrolliert werden. Jemand muss auch prüfen, in welchem Zustand die Ware ist. Gegebenenfalls muss sie wieder instand gesetzt werden, damit sie erneut verkauft werden kann. Das alles muss schnell gehen. Die großen Online-Händler entwickeln daher immer verfeinerte Verfahren, mit denen sie die Retouren handhaben. Das Retourenmanagement findet heute in der Regel in anderen Hallen statt, als die Lagerung und Versendung von Neuware. Diese Hallen müssen nicht mehr sehr hoch sein, denn dort gibt es keine großen Regale. Dafür braucht man viel Fläche für die langen Förder- und Sortierbänder, auf denen die zurückgekommenen Teile zu den Mitarbeitern gebracht werden, die sie kontrollieren, prüfen und gegebenenfalls zur Reinigung oder zum Neuverpacken weiterleiten. Die Zahl der Mitarbeiter in einem Retourenbetrieb ist viel höher als in einem normalen Lager, berichtet Jan Dietrich Hempel, Geschäftsführer der Garbe Industrial Real Estate GmbH. "In einem konventionellen Lager von vielleicht 10 000 Quadratmetern arbeiten pro Schicht maximal zehn bis 15 Mitarbeiter. Im Retourenbetrieb können das gut und gerne 100 sein", sagt er. Das hat eine ganze Reihe von Konsequenzen für die Logistikimmobilien. Man braucht beispielsweise viel mehr Platz für Parkplätze draußen vor der Halle. Drinnen müssen mehr Sozialräume eingerichtet werden. Die Be- und Entlüftung muss der höheren Beschäftigtenzahl angepasst werden, Fluchtwege müssen anders geplant werden. Und die hohe Technisierung durch die Sortieranlagen erhöht den Strombedarf gegenüber einer Halle, in der nur Neuware kommissioniert wird, um ein Mehrfaches. Da muss mitunter zusätzlich selbst Strom erzeugt werden. Auch dafür braucht man viel Platz.

Mit den Retouren kann man auch in die Peripherie gehen. Dort sind die Kosten niedriger

Wegen des hohen Personalbedarfs haben einzelne Online-Händler ihr Retourengeschäft schon ins kostengünstigere Ausland verlagert. Amazon hat beispielsweise im vorigen Jahr in der Slowakei ein Lager errichtet, das Retouren aus fast ganz Europa abwickelt. Doch auch in den Ländern Osteuropas steigen die Löhne. Deshalb schrumpft der Kostenvorteil. Und er schrumpft weiter, weil die Technisierung der Lager zunimmt. "Aus diesen Gründen werden wieder mehr Retourenimmobilien in Deutschland errichtet werden", ist Immobilienexperte Hempel überzeugt. Nicht zuletzt auch wegen des Zeitfaktors. Denn die Kunden sind inzwischen die schnelle Lieferung gewohnt und wollen auch bei Retouren nicht darauf verzichten. Die Retourenabwicklung im Ausland hat auch einen direkten Kostennachteil. "Wer als Versender die Retouren beispielsweise in Bulgarien abwickeln lässt, weil Arbeit dort günstig ist, der bezahlt auch den Transport dorthin und wieder zurück. Der dürfte in der Regel teurer sein als innerhalb Deutschlands", sagt Kuno Neumeier, Geschäftsführer der auf Logistik- und Industrieimmobilien spezialisierten Beratungsfirma Logivest.

Der Logistikdienstleister Hermes Fulfilment gehört daher nicht zu denen, die ihr Retourengeschäft ins Ausland verlagern, sondern kümmert sich in Deutschland um die zurückgeschickte Ware. In Hamburg betreibt er einen der größten Retourenbetriebe in Europa. "Auf 13 000 Quadratmetern wickeln wir jedes Jahr rund 50 Millionen Retouren ab", sagt Olaf Wallace, der den Betrieb dort leitet. Die Anlage ist hoch technisiert. Allein 3,5 Kilometer Förderbänder sind dort verbaut. Schnelligkeit ist das Leitprinzip. Die Retouren sollen so rasch wie möglich wieder in den Handel gebracht werden. "Voraussetzung für eine schnelle Bearbeitung sind spezialisierte Mitarbeiter, eine ausgefeilte Logistik und eine weitgehende Automatisierung", sagt Wallace. Als Unternehmen des Otto-Konzerns wickelt Hermes Fulfilment auch dessen komplette Retouren ab.

Angesichts der Flächenknappheit in den deutschen Ballungszentren nimmt die Branche eine Bauweise ins Blickfeld, die Logistiker bisher als zu teuer und zu unflexibel abgelehnt haben: mehrstöckige Lagerhallen. "Wir erleben im Moment in Zentraleuropa und auch in Deutschland eine Phase, wo die Verknappung von Flächen auch bei Retouren zur Mehrstöckigkeit führt", sagt Hempel vom Projektentwickler Garbe. Offen sei nur noch, welcher Gebäudetyp sich durchsetzen werde, welche Geschosshöhe, welche Deckenlasten. Mehrere Etagen in einer Halle bedeuten höhere Kosten. Es müssen zum Beispiel Treppen und Aufzüge eingebaut werden. Auch sind solche Hallen nicht mehr so gut weiterzuvermieten, weil sie nicht mehr universell nutzbar sind.

Aber muss man die Retourenabwicklung überhaupt in den Ballungszentren haben? Retoure und Erstversand sind im Grund zwei getrennte Kreisläufe. Sie brauchen nicht unbedingt denselben Standort. Auch sind Retouren bei aller angestrebten Schnelligkeit nicht so zeitkritisch wie die Erstbelieferung. "Mit den Retouren kann man auch in die Peripherie gehen. Dort sind die Lohn- und Mietkosten relativ günstig", ist Neumeier überzeugt. Wer nur ein Retourenlager braucht, der stellt das am Besten in der Mitte Deutschlands an einer günstigen Autobahnlage auf. Und ist von dort überall gleich schnell.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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