Renovierung:Erst alte Kiste, dann Kleinod

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In Deutschland wird mehr in bestehende Gebäude investiert als in Neubauten. Das ist vernünftig, nachhaltig und außerdem umweltfreundlich - aber auch nicht in allen Fällen ganz einfach.

Von Oliver Herwig

Das Schöne am Bauen mit Klötzchen: Alles lässt sich schnell wieder klein machen. Und wieder aufbauen. Und wieder klein machen. Ein ewiger Kreislauf, der in der realen Bauwelt unter anderen Vorzeichen stattfindet. Wer hier etwas kaputtmacht, ist entweder ein gerissener Investor oder ein miserabler Architekt. Die Lust am Neubau ist den Deutschen nicht vergangen.

Aber die Statistik vermittelt ein anderes Bild. Gerade 32 Prozent des Wohnungsbaus machten 2016 echte Neubauten aus. Die Mehrzahl aller Investitionen floss in das, was ohnehin schon rumstand in deutschen Städten und Dörfern. Dachausbauten scheinen inzwischen schon durch zu sein. Kaum eine Gaube, kaum ein Speicher, die zumindest nicht mal per Visualisierung in ein Top-Penthouse verwandelt wurde.

Wer also von Sanierung oder Renovierung spricht, muss nicht unbedingt ein Baudenkmal im Blick haben, es reicht schon, mit offenen Augen durch die Städte zu gehen. Da drehen sich Baukräne über Bestandsgebäuden, da kleben Baugerüste an grauen Häusern aus den Fünfzigerjahren. Und wenn die wieder verschwunden sind, steht da manchmal ein Objekt, das sich noch viel älter gibt, mit neuem alten Fassadenschmuck und einer Gliederung, die es so in der Straße nie gegeben hatte. Gentrifizierung sagen die einen dazu, wenn aus sieben Mietwohnungen vier Eigentumswohnungen wurden, notwendiger Wandel die anderen. Fest steht: Nichts hat so wenig Bestand wie der sogenannte Bestand.

"Der Philosoph wie der Hausbesitzer haben immer Reparaturen", wusste bereits Wilhelm Busch. Wer das Pech hat, in einem wunderschönen alten Haus zu sitzen und auf Handwerker zu warten, weil der Wintergarten leckt oder die Terrasse über der Garage, kann ein Lied singen von den Tücken des Bau-Booms. Die Kosten steigen, denn Installateure, Fliesenleger und Schreiner wissen, dass sie gerade gefragt sind wie nie.

Dazu kommt so manche Überraschung, die im alten Gemäuer steckt. Da will man nur die Mauer hinter dem begehbaren Wandschrank einreißen, und schon stellt sich heraus, dass die tragende Außenwand daneben nach dem Krieg mit allerhand Zeugs gefüllt wurde und eigentlich längst nicht mehr tragfähig ist. Wehe, wenn die Wohnung dann auch noch Teil einer Hausgemeinschaft ist.

Ein Haus zu bauen ist eine Sache, es zu erhalten, eine ganz andere. Mancher Bauherr fängt mit Rückstellungen schon beim Richtfest an, denn jeder noch so solide Neubau braucht irgendwann mal wieder einen neuen Anstrich, ein neues Dach, eine neue Heizung oder neue Kabel. Die Ansprüche steigen - und damit auch die Ausstattungen der Häuser. Bisher waren Heizungstechniker und Elektriker Heilsbringer der neuen Zeit. Nun könnten Wlan und Smart-Home-Techniken einen Teil der Leitungen in unseren Wänden ersetzen. Adolf Loos hat auf einen ähnlichen Wandel 1898 hingewiesen. "Man könnte sich unser Säkulum ganz gut ohne Tischler denken - wir würden dann eiserne Möbel gebrauchen", ätzt er in seinem Aufsatz "Die Plumber" und fährt fort: "Wir könnten ebenso gut den Steinmetz streichen - der Cementtechniker würde seine Arbeiten übernehmen. Aber ohne den Plumber gäbe es kein neunzehntes Jahrhundert." Und ohne Breitband kein Einundzwanzigstes, müsste man ergänzen.

Maßstäbe verschieben sich. Was früher als "alte Kiste" galt, die möglichst schnell beseitigt werden musste, um neuem, zeitgemäßem Wohnen Platz zu machen, gilt inzwischen als Kleinod. Zumindest solange, bis nicht eine noch viel lukrativere Verwertung auftaucht. Wie schnell selbst ein denkmalgeschütztes Gebäude verschwinden kann, wenn es sich rechnet, zeigte sich dieses Jahr in München-Giesing. Da verschwand ein 170 Jahre altes Handwerkerhaus an einem Nachmittag. Der frivole Abriss brachte Anwohner und Politik auf die Barrikaden. Wie fein die Argumentation ausfällt, zeigt sich gerade beim geplanten Abriss des Münchner Arabella-Hochhauses von 1969. Bemerkung des Denkmalschutzes: markant, durchaus stadtbaulich prägend, aber eben kein echtes Baudenkmal. Dabei sind Sanierung und Renovierung längst nicht mehr Sache von Denkmalspezialisten und Freunden historischer Bauten. Die sogenannte Ertüchtigung ist bei Bauten der Sechzigerjahre angekommen. Und zwar zu recht, wie eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt zeigt. Der augenzwinkernde Titel: "SOS BRUTALISMUS - Rettet die Betonmonster!"

Der Brutalismus, zwischen Bochum und Regensburg Zeichen vieler neuer Universitäten und Krankenhäuser, findet heute Liebhaber - und Architekten, die darüber grübeln, wie die "Betonmonster" am besten saniert und in die neue Zeit gebracht werden können. Denn eines steht schon fest. Auch unsere Gegenwartsgebäude stehen irgendwann vor der Schicksalsfrage: renovieren oder abreißen? Eine Luxusfrage, die offenbar vergisst, wie viel graue Energie in Häusern steckt. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen jedenfalls fordert schon lange einen "sparsamen und schonenden Umgang mit Grund und Boden". Dazu gehört eben auch, dem Bestand einen zweiten Blick zu gönnen statt rigoros abzureißen. Viele Bauten erleben eine seltsame Karriere. Erst werden sie abgelehnt, dann toleriert, schließlich geliebt. Schön ist eben vor allem das, was man kennt. Gute Zeiten für Sanierer, wie es scheint.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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