Reden wir über Geld: Sexsklavinnen:"Seit meiner Zeit im Bordell bin ich tot"

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Somaly Mam und Sina waren Sexsklavinnen. Heute kämpfen die Frauen gegen Zwangsprostitution und retten Tausende Mädchen. Doch ihre eigenen Erinnerungen quälen sie weiterhin: Aus dem Kinderbordell floh Somaly erst, als ihre Freundin erschossen wurde.

Alexander Hagelüken und Hannah Wilhelm

Somaly Mam, 41, und Sina, 26, sind nach Deutschland zu der Konferenz DLD Women gekommen, um über das zu sprechen, was ihnen zugestoßen ist. Sie wurden in Kambodscha als kleine Kinder an Bordelle verkauft, vergewaltigt, gefoltert. Auf der Konferenz DLD Women erzählten sie nun von ihrer Hilfsorganisation Somaly Mam Foundation, die Mädchen aus der Sklaverei rettet. Es ist ein dauernder Kampf gegen das profitable Geschäft mit dem Sex: Westliche Pädophile, die früher nach Thailand reisten, weichen seit einiger Zeit wegen der strengeren Gesetze ins benachbarte Kambodscha aus. Ein Gespräch über den Wert von Kinderleben.

Die Kambodschanerin Somaly Mam war selbst Kinderprostituierte und kämpft heute gegen den sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen. (Foto: oh)

SZ: Somaly Mam, reden wir über Geld. Sie wurden als Kind verkauft?

Somaly Mam: Ja, mit neun Jahren an einen alten Mann. Ich musste alles Mögliche für ihn tun. Dann hat er mich an einen Soldaten verkauft, in die sexuelle Sklaverei. Später wurde ich weitergereicht an ein Bordell in Phnom Penh.

SZ: Wie sind Sie entkommen?

Somaly: Oh, an das Entkommen dachte ich nie. Wohin hätte ich gehen sollen? Ich bin erst geflohen, als der Bordellbesitzer meine Freundin erschoss. Sie war elf Jahre alt und wurde an so viele Kunden verkauft, dass ihr Körper nicht mehr konnte. Der Bordellbesitzer rief uns zusammen. Er sagte, keiner dürfe sich verweigern. Dann erschoss er sie, einfach so. Sie saß neben mir. Ihr Gehirn und ihr Blut spritzen auf mich. In dem Moment beschloss ich, eine Waffe zu besorgen und ihn umzubringen. Ich war 13.

SZ: Und dann?

Somaly: Lief ich die ganze Nacht. Ich wusste nicht wohin. Zum Glück traf ich einen Schweizer, der mir half. Er wollte nie etwas von mir, er ist wie mein Bruder. Ich liebe ihn. Er hat mich gerettet. Und damit rettet er alle, die ich nun rette.

SZ: Sie haben eine Hilfsorganisation gegründet, um Mädchen aus der Sexsklaverei zu befreien und für sie zu sorgen. Wie viele Mädchen leben eigentlich bei Ihnen?

Somaly: Derzeit etwa 260. Wahrscheinlich mittlerweile mehr, es kommen andauernd neue. Insgesamt haben wir über die Jahre 7000 Mädchen aufgenommen. Manche sterben an Aids. Manche gehen zurück ins Bordell. Andere studieren oder gründen eine Familie.

SZ: Wie alt sind die Mädchen?

Somaly: Die Jüngste ist drei Jahre alt. Auch sie wurde sexuell missbraucht.

SZ: Woher haben Sie das Geld, um Ihre Arbeit zu finanzieren?

Somaly: Wir leben von Spenden. Wie viel Geld wir genau haben, weiß ich nicht, darum kümmern sich zum Glück andere. Ich bin gut darin, den Mädchen Liebe zu geben und sie zum Lachen zu bringen.

SZ: Für wie viel Geld verkaufen Eltern ihre Kinder?

Somaly: Vietnamesische Mädchen wie Sina hier neben mir sind teurer, weil sie so schöne helle Haut haben. Da zahlen die Bordellbesitzer schon über 1000 Dollar. Kambodschanische Eltern verlangen viel weniger, 20, 30 oder 100 US-Dollar. Ich zeige die Eltern an, oft werden sie verhaftet. Die Kinder fragen mich dann immer: "Wer hat meine Eltern ins Gefängnis gebracht?" Das ist hart für mich.

SZ: Wie lässt sich verhindern, dass Eltern ihre Kinder verkaufen?

Somaly: Sina und andere Überlebende aus den Bordellen gehen in die Dörfer und sprechen mit den Eltern. Sie helfen ihnen, auf andere Weise Geld zu verdienen, mit Gemüseanbau oder Hühnerzucht. Wir müssen Eltern überzeugen, dass das besser ist, als seine Kinder zu verkaufen. So einfach ist das: Es geht ums Geld.

SZ: Sina, wurden Sie auch verkauft?

Sina: Ich wurde mit zwölf entführt und von Vietnam nach Kambodscha gebracht. Im Bordell wurde ich vergewaltigt. Als ich mich wehrte, stopften sie mich mit scharfem Chili voll und verprügelten mich. Sie hielten mich in einem Hundezwinger im Keller. Wenn ich nicht mindestens 20 Kunden am Tag bediente, bekam ich nichts zu essen.

Somaly: Der Hundezwinger war so klein, dass ihre Arme an den Seiten raushingen. Sie sah nie die Sonne, zweieinhalb Jahre lang.

SZ: Wie sind Sie geflohen?

Somaly: Wir stürmten mit der Polizei das Bordell und fanden Sina und andere Mädchen in den Käfigen. Sie lebten im Abwasser, Exkremente flossen durch den Keller. Es gab Schlangen. Sina war in einem schrecklichen Zustand, ihr Körper voller Wunden, ihre Haare ausgerissen. Wir brachten sie in unser Zentrum. Wissen Sie, was passierte?

SZ: Nein ...

Somaly: ... sie versuchte abzuhauen.

Sina: Ich hatte Angst.

Somaly: Manche Menschenrechtler werfen mir vor, dass ich die Kinder einsperre. Aber ich muss das nach der Befreiung tun, sie gehen sonst zurück ins Bordell. Sie kennen nichts anderes, und sie haben kein Selbstbewusstsein. Um Sina habe ich sehr gekämpft. Heute ist sie meine rechte Hand. Überlebende wie sie müssen einem neuen Mädchen nicht viel erzählen. Sie halten einfach dessen Hand, und beide fühlen mit dem Herzen: Wir haben das Gleiche durchgemacht.

SZ: Sind Sie wieder ganz gesund?

Sina: Ich habe noch Narben von Elektroschocks und den Schnitten. Deshalb finde ich mich nicht so schön.

Somaly: So ein Quatsch! Du bist wunderschön.

SZ: Wie viele Kinder werden in Kambodscha jedes Jahr verkauft?

Somaly: Zigtausende.

SZ: Wer sind die Kunden?

Somaly: Drei von vier Bordellbesuchern sind Kambodschaner. Aber die Ausländer sind es, die die kleinen Kinder missbrauchen. Seit Thailand strengere Gesetze hat, kommen immer mehr zu uns.

SZ: Werden die Pädophilen von ihren Heimatstaaten verfolgt?

Somaly: Die Europäer machen nicht genug, anders als die USA. Ein Amerikaner, der hier Kinder vergewaltigte, bekam 30 Jahre Knast. Sie schicken auch Leute her, um zu ermitteln. Ich meine: Ich kann nicht jedes Mal zehn Euro für ein Telefonat bezahlen, um Deutschland auf einen Pädophilen hinzuweisen.

SZ: Wie befreien Sie die Mädchen?

Somaly: Oft geben uns neue Mädchen Tipps. Wir schicken dann Mitarbeiter als Kunden getarnt in die Bordelle. Sie befragen die Mädchen, woher sie kommen und wer sie verkauft hat. Die Informationen geben wir der Polizei, die befreit die Mädchen und bringt sie zu uns.

SZ: Sie stören ein profitables Geschäft. Haben Sie Angst?

Somaly: Ja. 2004 wiesen wir die Polizei auf ein Hotel hin, in dem Mädchen als Zwangsprostituierte arbeiteten. Sie räumte das Hotel und brachte 89 Mädchen zu uns. Der Bordellbesitzer ließ daraufhin alle unsere Mädchen entführen und einige töten. 2006 wurde meine Tochter gekidnappt, während ich auf einer Tagung in Deutschland war. Sie war 14.

SZ: Um Gottes willen.

Somaly: Sie vergewaltigten sie und wollten sie an ein Bordell verkaufen.

SZ: Und dann?

Somaly: Wir wussten, dass entführte Kinder meistens nach Thailand, Malaysia oder Macau verkauft werden, damit die Verwandten sie nicht finden. Wir schickten ihr Foto an alle Grenzübergänge. Eine Woche hatten wir Zeit, das wusste ich. Danach wäre es zu spät gewesen. Nach vier Tagen fanden wir sie.

SZ: Haben Sie nicht überlegt aufzuhören, als Ihre Tochter entführt wurde?

Somaly: Nein. Es war schrecklich. Aber ich habe entschieden, die Angst nicht mein Leben regieren zu lassen.

SZ: Sina, haben Sie Angst, noch mal entführt zu werden?

Somaly: Sie ist zu alt für ein Bordell (beide lachen).

Sina: Nein, ich habe keine Angst. Ich bin ja schon gestorben.

SZ: Bitte?

Sina: Das hier ist nicht das Leben, das ich mir als Kind vorstellte. Ich bin im Bordell gestorben, seitdem fühle ich mich tot. Das Einzige, was ich noch mit meinem Leben machen kann, ist, anderen Opfern zu helfen. Sonst habe ich nichts.

Somaly: Verstehen Sie uns nicht falsch. Unser Leben ist trotzdem schön. Wissen Sie, wir lachen viel, wir weinen viel. Wir haben furchtbare Erinnerungen an das, was uns zugestoßen ist. Deshalb ist es das Beste, die ganze Zeit zu arbeiten und nicht nachzudenken. Wenn ich hier mit Ihnen rede, kommt mein altes Leben zurück.

SZ: Woher nehmen Sie eigentlich Ihren Antrieb?

Somaly: Die kleinen Mädchen im Zentrum sind glücklich, sie lachen, sie gehen zur Schule. Wenn ich ihnen was Süßes mitbringe, teilen sie es, ohne zu streiten. Wenn Sie es sehen könnten. Diese Mädchen sind das Beste in meinem Leben. Sie geben mir Licht. Ich habe das Gefühl, in ihrer Liebe zu baden. Ich habe jetzt Skype auf meinem iPhone. Und jetzt rufen sie den ganzen Tag an (lacht) ...

Sina: ...und mitten in der Nacht!

Somaly: Es ist so einfach, diese Mädchen zu lieben.

SZ: Viele Probleme der Menschen im Westen müssen Ihnen banal vorkommen.

Somaly Mam: Sina und ich waren mal bei einem Kongress in Washington und standen vor dem Coffee-Shop in der Schlange. Die Menschen schimpften, weil sie warten mussten. Wir lachten und fragten uns: Warum sind sie nicht glücklich? Sie leben in Amerika, sie haben Geld, sie sind frei...

SZ: ... und trotzdem unzufrieden.

Somaly: Das Leben ist nichts. Und es ist alles. Es kommt nur darauf an, wie Sie es leben. Bei uns im Zentrum gibt es ein HIV-positives Mädchen. Als sie zu uns kam, war sie vier. Der Doktor gab ihr noch sechs Monate. Sie und ich weinten bei der Diagnose. Aber dann haben wir gesagt: Vergessen wir die Zeit, machen wir aus jeder Stunde eine glückliche Stunde. Das war vor drei Jahren. Nun ist sie sieben, geht zur Schule, nimmt Medikamente und will leben. Ich weiß nicht, wie lange sie lebt. Aber auf jeden Fall hatte sie drei glückliche Jahre.

SZ: Schaffen es einige Ihrer Mädchen, trotz der Erlebnisse eine Beziehung aufzubauen?

Somaly: Ja, manche. Ich bringe ihnen bei, den Richtigen auszusuchen und sich nicht aussuchen zu lassen. So herum ist es besser. Und ich sage den Mädchen, dass sie ihr eigenes Geld verdienen sollen. Dann kann man zu jedem Mann Nein sagen, auch zum eigenen. Wir müssen alle umlernen. Wir Frauen dürfen uns nicht mehr als Sklaven verhalten und fühlen. Und Männer müssen lernen, dass sie nicht automatisch die Bosse sind. Wir haben nun ein Radio-Programm, in dem wir darüber sprechen, wie man respektvoll zusammenlebt. Oh mein Gott, wir reden uns den Mund fusslig (lacht). Aber es verändert sich etwas. Wir haben Hoffnung.

SZ: Für Sie ist es bestimmt auch schwierig, eine Beziehung zu führen.

Somaly: Nein, es ist nicht schwierig. Ich mache es einfach nicht mehr (lacht). Ich habe es versucht, ich habe geheiratet. Es war schlimm für meinen Mann. Er hat so gelitten. Wissen Sie: Ich sehe jeden Tag, wie diese Kinder misshandelt werden, wie Mädchen von Männern geschlagen und von ihrem eigenen Vater vergewaltigt werden. Da kann ich nicht nach Hause kommen und meinem eigenen Mann ins Gesicht schauen. Deshalb haben wir uns getrennt. Wissen Sie, ich mag Männer. Aber ich will ihnen nicht zu nah sein.

Auf dieser Website können Sie für die Stiftung von Somaly Mam spenden.

© SZ vom 08.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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