Reden wir über Geld: Schafmeister:"In dieser Branche haben alle Angst"

Schauspieler Heinrich Schafmeister über Existenzsorgen, Monate ohne Arbeit - und den besten Job der Welt.

A. Hagelüken und H. Wilhelm

Heinrich Schafmeister, 52, ist Schauspieler. Bekannt wurde er vor allem durch Fernsehfilme und seine Rolle in Joseph Vilsmaiers Kinoerfolg "Comedian Harmonists". Schafmeister kämpft seit Jahren für eine bessere soziale Absicherung seiner Kollegen - und verwaltet die Kasse des Schauspielerverbandes. Grund genug, um mit ihm über Geld zu reden. Bitte sehr.

Heinrich Schafmeister, Foto: Alessandra Schellnegger

Findet, dass Schauspieler vor allem Respekt verdienen: Heinrich Schafmeister.

(Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Herr Schafmeister, reden wir über Geld. Was verdienen Schauspieler?

Schafmeister: Respekt.

SZ: Und außerdem?

Schafmeister: Sie meinen: Was bekommen Schauspieler? Sie bekommen sehr unterschiedliche Gehälter. In kurzer Zeit wahnsinnig viel, dann mal ein Jahr gar nichts.

SZ: Wir wollen Zahlen. Was haben Sie für "Comedian Harmonists" bekommen, einer der erfolgreichsten deutschen Filme der vergangenen Jahre?

Schafmeister: 150.000 Mark. Für vier Monate Arbeit. Das ist schon was Besonderes.

SZ: Aber?

Schafmeister: Naja. Danach war ein halbes Jahr gar nichts, wir zogen durch Deutschland, haben den Film vorgestellt, gefeiert. Das ist mit das Schönste bei Kinofilmen, aber Geld gibt es dafür natürlich nicht.

SZ: Aber danach waren Sie doch der große Star.

Schafmeister: Ich sage Ihnen mal was: Danach hatte ich eine Midlife Crisis ...

SZ: Wie bitte?

Schafmeister: Wir Schauspieler des Films waren damals auf einen Ball in Düsseldorf eingeladen und traten dort quasi als Vorgruppe von Joe Cocker auf. Danach tranken wir Champagner. Das war in der gleichen Halle, in die ich mit Anfang Zwanzig über den Blitzableiter eingestiegen bin, um ohne zu zahlen ein Joe Cocker-Konzert zu hören. Jetzt trat ich dort selbst auf und trank Champagner. Da dachte ich: Was soll jetzt noch kommen? Ich träumte davon, eine Wohnung in New York zu kaufen. Meine Frau dachte, ich spinne. Ich habe sie angeschrieen, wie im Wahn: "Wovon träumst Du, wovon?" Sie: "Dass wir zusammenleben in einer Höhle - mit einem Bär als Chauffeur." Damit hat sie mich zurück auf den Teppich geholt, die Midlife Crisis war beendet.

SZ: Na hoffentlich. Nach dem Film konnten Sie sich doch vor Aufträgen kaum retten, oder?

Schafmeister: Von wegen. Keiner hat angerufen, weil alle dachten, ich mach' nach dem großen Erfolg nur noch Kinofilme. Ich war so froh, als endlich eine Anfrage kam: "Herr Schafmeister, entschuldigen Sie, seien Sie bitte nicht beleidigt, wenn wir fragen, aber würden Sie für uns auch eine Gastrolle in einer Serie übernehmen?" "Das ist doch mein Beruf!", habe ich gesagt, "natürlich mache ich das."

SZ: Warten, hoffen, bangen: Sieht so der Arbeitsalltag aus?

Schafmeister: Normalerweise wartet man und wartet. Plötzlich kommen ein, zwei Drehtage, oder viele, manchmal auch gar nichts.

SZ: Ist Ihnen das schon passiert?

Schafmeister: Ja, ein Dreivierteljahr lang, als ich damals mein festes Engagement am Theater aufgab. Ich kenne keinen Schauspieler, der nicht immer wieder Existenzangst hat. Eine sehr bekannte Kollegin von mir hatte kürzlich eineinhalb Jahre lang keinen einzigen Drehtag. Ein anderer Schauspieler, sehr renommiert, ist plötzlich wie abgeschnitten. Nichts mehr. Jetzt spielt er Theater. Da verdient man nicht so viel, je nach Theater, manchmal nur 50 Euro pro Vorstellung. Und ist trotzdem glücklich, einfach weil man schauspielen darf.

SZ: Und Sie?

Schafmeister: Ich gehöre sicher zu den Privilegierteren. Aber wer weiß? Meine Glatze kommt durch, hübscher werde ich auch nicht.

SZ: Bis wann haben Sie Arbeit?

Schafmeister: Bis Ende des Jahres sieht es ganz gut aus. Als nächstes mache ich eine Kinderserie fürs Fernsehen. Danach spiele ich Theater in Hamburg.

SZ: Und dazwischen?

Schafmeister: Melde ich mich arbeitslos, obwohl ich kein Arbeitslosengeld bekomme. Es geht darum, die Rentenlücke zu verringern. Ja, wir leben im Sozialversicherungsdschungel! Wir werden für jeden Film extra angestellt und zwar nur für die Zeit, die wir gebraucht werden. Wir werden pro Drehtag bezahlt und manchmal auch nur pro Drehtag sozialversichert, fälschlicherweise. Das ist so, als wenn eine Sekretärin nur pro Brief angestellt würde, den sie tippt. Darum kriegen wir auch nie die Zeit zusammen, um Arbeitslosengeld I oder später eine angemessene Rente zu bekommen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es Heinrich Schafmeister peinlich ist, auf das Arbeitsamt zu gehen - und wie er zu seinem Beruf steht.

"Applaus wärmt die Seele"

SZ: Ist Ihnen das peinlich, aufs Arbeitsamt zu gehen?

Schafmeister: Klar. Am Abend haben mich die anderen Arbeitslosen vielleicht im Fernsehen gesehen. Ihre Blicke sprechen Bände: "Gestern in der Fernsehserie ist der Typ noch Ferrari gefahren, mit einer schönen Frau im Arm und heute meldet der sich arbeitslos?" Tja. Der Ferrari war geliehen und Sonja Kirchberger gehört auch nicht wirklich zu mir.

SZ: Gewöhnt man sich ans Arbeitsamt?

Schafmeister: Dort zu sitzen, heißt: Du wirst nicht gebraucht. Das ist das eigentlich Schlimme. Manchmal wacht man morgens auf und hat eine Sinnkrise. Das Dümmste übrigens, was man dann machen kann, ist, in diesem Zustand Klinken zu putzen. Die Besetzungsleute sind ja selbst nicht frei von Existenzängsten. Und wir können unsere Gefühle nicht verstecken und sitzen dann da mit einem Dackelblick. Der Schuss geht nach hinten los.

SZ: Das heißt: Nie zugeben, dass man gerade keinen Auftrag hat?

Schafmeister: Genau. Lieber sagen: "Über mein nächstes Projekt darf ich noch nicht sprechen."

SZ: Reden Schauspieler untereinander über ihre Ängste?

Schafmeister: Ja, aber nie zur Presse. Nichts ist erfolgloser als Erfolglosigkeit. Wir dürfen nicht zeigen, wenn wir nicht gefragt sind. Wir dürfen uns nicht bewerben nach dem Motto: "Habt Ihr nicht eine Rolle für mich?" Man lässt sich an den richtigen Orten sehen.

SZ: Auf dem roten Teppich?

Schafmeister: Klar, das ist unsere Art der Bewerbung: Sehen und gesehen werden. Fernsehpreise, Filmpreise, das ist nicht nur Kür, das ist Pflicht. Es ist so: Alle haben in dieser Branche Angst.

SZ: Wie viele Schauspieler können von ihrem Beruf leben?

Schafmeister: 2007 waren in Deutschland genau 20141 darstellende Künstler sozialversichert. Da fallen aber auch Intendanten darunter, Regisseure, Sänger, Tänzer, Puppenspieler - und jetzt kommt es - Scherenschneider. Es gibt vielleicht 10.000 Schauspieler in Deutschland, höchstens die Hälfte kann davon gut leben. Und das ist sehr optimistisch. Wir arbeiten häufig als Selbstausbeuter. Für Studentenfilme gibt es kaum Geld. Oder die öffentlich-rechtlichen Sender wollen ambitionierte Filme manchen, in denen soziale Missstände angeprangert werden - und darum kriegen die Schauspieler für ihre Arbeit so gut wie kein Geld. Das ist doch verrückt.

SZ: Wollten Sie schon mal aufhören?

Schafmeister: Ja. 2004, da hatte ich einen Bandscheibenvorfall. Ich saß mit Wahnsinnsschmerzen in einem Cafe in Köln, heulte und dachte: "Ich kann nicht mehr, ich höre auf." Da tauchte plötzlich der Karnevalskünstler Hans Süper auf und lächelte mich an. Den verehre ich unendlich. Da dachte ich mir: "Nimm es als himmlisches Zeichen und mach weiter. Bei allem Gejammere, Schauspielerei ist der schönste Beruf der Welt."

SZ: Warum?

Schafmeister: Im Theater bekomme ich jeden Abend Applaus und gucke in glückliche Gesichter. Applaus macht zwar nicht den Kühlschrank voll. Aber hey: Er wärmt die Seele! Ich bin der Anlass dafür, dass bei den Menschen die Phantasie angeregt wird. Das ist doch toll. Ein zehnjähriges Mädchen hat mal zu mir gesagt: "Sie sind der wunderbarste Schauspieler auf der ganzen Welt." Das ist natürlich nicht wahr, aber es ist wunderschön. Trotzdem kann man den Beruf nicht weiterempfehlen.

SZ: Den schönsten Beruf der Welt?

Schafmeister: Er kann so entwürdigend sein. Vor vielen Jahren war ich mal in einer ziemlich langweiligen Theateraufführung. Die Schauspieler quälten sich durch das Stück, das Publikum schlief und so ein paar Jugendliche störten. Da ging ein Schauspieler nach vorne und bettelte: "Wenn Ihr jetzt nicht ruhig seid, dann hören wir auf zu spielen." Ist das nicht arm? Es gibt auch Schauspieler, die sich vor Angst - zum Beispiel vor dem Regisseur - in die Hose machen. Das meine ich wörtlich.

SZ: Wie gehen Sie mit Kritik um?

Schafmeister: Das ist hart. Man ist es ja selbst, der kritisiert wird. Nicht ein Text oder eine Rolle, nein, man selbst ist schlecht. Ein Kameramann hat mal zu einer Schauspielerin gesagt, die stundenlang in der Maske gesessen hatte: "Du siehst aus wie ein aufgeplatztes Sofa."

SZ: Dazu die finanzielle Unsicherheit.

Schafmeister: Ich kenne ältere Kollegen, bei denen gar nichts mehr geht. Sparen konnten die auch nichts.

SZ: Und was machen die dann?

Schafmeister: Keine Ahnung! Die tolle Ingrid van Bergen geht ins Dschungelcamp und lässt sich nicht unterkriegen! Oder nehmen Sie Hildegard Knef: Am Schluss hat die bayerische Versorgungskammer sie finanziert. Dort hatte sie zwar nie eingezahlt, aber die waren so nett und wollten einen deutschen Weltstar nicht einfach verhungern lassen.

SZ: Sie engagieren sich für ihre Kollegen, sind im Schauspielerverband für sozialen Schutz zuständig. Was fordern Sie?

Schafmeister: Zum Beispiel, dass wir durchgehender sozialversicherungspflichtig sind. Die Bessergestellten unter uns würden höhere Abgaben zahlen, die Ärmeren nicht und alle wären besser abgesichert.

SZ: Und wie stehen die Chancen?

Schafmeister: Wir saßen gerade mit Arbeitsminister Olaf Scholz zusammen. Ein netter Typ, ich glaube, der hat uns verstanden. Aber wenn es drauf ankommt, siegt bei der SPD leider ihr altes Vorurteil: "Die Schauspieler latschen über den roten Teppich, die sind alle stinkendreich." Am liebsten würde ich Peer Steinbrück zurufen: "Wir sind nicht die Hypo Real Estate, wir sind nur Schauspieler."

SZ: Wäre Politiker ein Job für Sie?

Schafmeister: Um Gottes Willen. Ein Politiker hat mir mal gesagt: "Eigentlich sind wir auch Schauspieler, wir müssen ja auch immer lügen." Das ist aber falsch. Wir Schauspieler können nicht lügen. Uns sieht man die Emotionen an der Nasenspitze an.

SZ: Wie kann dann ein Schauspieler Hitler spielen?

Schafmeister: Indem er Hitler ist. Das ist doch nicht schwer. Ein Hitler steckt doch in uns allen. Jedenfalls etwas von ihm. Und das ist unser Beruf: Die Rolle, die wir spielen sollen, in unserer Persönlichkeit zu suchen.

SZ: Sie haben nie Hitler gespielt, aber einen einfachen Mörder. Wie suchen Sie den?

Schafmeister: Das ist total einfach zu spielen. Gewalt ist mir nicht fremd, ich bin jähzornig. Als Zwanzigjähriger habe ich ein Auto zu Schrott getreten.

SZ: Warum?

Schafmeister: Ich ging über die Straße, da ist der Fahrer gezielt auf mich zugerast, hupte und attackierte mich. Ich habe ihn aus dem Auto rausgebrüllt, ihn um das Auto herumgejagt, den Autoschlüssel abgezogen und in den Gulli geworfen. Später habe ich auch mal ein ganzes Set zusammengetreten, bis alles Sägemehl war. Es war entsetzlich: Keine fertigen Drehbücher, keine Proben, keine Spielpartner und alle völlig übermüdet. Da bin ich ausgetickt. Ich bin nicht stolz darauf, aber so war es...

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