Reden wir über Geld (6): Robert Solow:"Gottlob ist meiner Frau Geld nicht wichtig"

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Nobelpreisträger Robert Solow über seine Zeit als Tellerwäscher, die wachsende Ungleichheit in Europa und warum er nie Pelzhändler werden sollte.

Björn Finke, Simone Boehringer, Alexander Hagelüken

Ein Seminarraum der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität: Nobelpreisträger Robert Solow sitzt an einem Tisch, isst Kanapees vom Tablett und genießt ein Glas Rotwein. Die Ökonomie-Legende ist am Morgen mit dem Flugzeug aus New York gekommen. Der 83-Jährige zeigt weder Spuren von Jetlag, noch jammert er darüber, dass er den ganzen Tag keine Zeit zum Essen hatte.

SZ: Herr Solow, reden wir über Geld. Jetzt, mit 83 Jahren, als bekannter Ökonom: Was bedeutet Ihnen Geld?

Robert Solow: Wahrscheinlich sollte ich Ihnen nicht die Wahrheit sagen.

SZ: Doch.

Solow: Also gut: Geld hat mich nie so wahnsinnig interessiert. Als ich noch Professor war, habe ich nie nebenbei als Berater gearbeitet wie andere.

SZ: Warum?

Solow: Ich bin lieber nach Hause gegangen und habe an ökonomischen Theorien gefeilt. Glücklicherweise bin ich mit einer Frau verheiratet, der Geld ebenfalls nicht übermäßig wichtig war.

SZ: Haben Sie wenigstens vernünftig für Ihr Alter vorgesorgt?

Solow: Ich hatte viel Glück, weil ich eine Betriebsrente von meiner Universität habe, dem Massachusetts Institute of Technology MIT. Die haben das Geld sehr gut angelegt.

SZ: Was bekommen Sie?

Solow: Etwa 100.000 Dollar im Jahr, plus eine staatliche Rente. Ich werde wahrscheinlich beerdigt werden, ohne dass ich mir je Gedanken um Geld machen musste.

SZ: Aber Sie verbringen doch den Sommer immer in Ihrem Haus auf der Insel Martha's Vineyard, diesem Nobel-Ferienort vor der Küste von Massachusetts. Wie können Sie sich das leisten?

Solow: Das Haus haben wir 1964 gekauft, weil uns die Gegend gefiel. Damals zahlten wir 15.000 Dollar. Schon zehn Jahre später, als die Insel in Mode kam, hätten wir uns das nicht mehr leisten können. Inzwischen ist das Haus vielleicht 1,5 Millionen Dollar wert. Wie gesagt: Dieses Haus ist Zufall. Ich habe keine teuren Vorlieben. Solche Allüren habe ich mir schon in meiner Studentenzeit abgeschminkt.

SZ: Hatten Sie denn als Student finanzielle Sorgen?

Solow: Ich musste schauen, dass ich genug Geld hatte, um mir die Bücher fürs Studium zu kaufen. Ich hatte ein Stipendium, brauchte aber auch zwei Teilzeit-Jobs. Ich arbeitete in der Bibliothek und abends in einem Restaurant, für fünf Dollar die Woche und ein Abendessen am Tag. Ich war der Tellerwäscher.

SZ: Vom Tellerwäscher zum Nobelpreisträger. Sie erhielten ja schon 1951 mit Mitte 20 den Preis der Universität Harvard für die beste Doktorarbeit in Wirtschaftswissenschaften.

Solow: Der Witz ist: Ich habe mir den Preis nie abgeholt. Der Preis war mit 500 Dollar dotiert. Nach heutiger Rechnung wären das 5000 Dollar.

SZ: Viel Geld für einen Doktoranden. Darauf konnten Sie so leicht verzichten?

Solow: Ich habe mir meine Arbeit angeschaut und gedacht: Die kannst Du noch verbessern. Aber das Überarbeiten war mir zu langweilig. Deshalb habe ich die Arbeit nie eingereicht. Und daher natürlich auch kein Geld bekommen. Ich scherte mich offenbar schon damals nicht so sehr um Geld.

SZ: Das Thema der Doktorarbeit war die Verteilung von Einkommen. Die meisten Ökonomen drücken sich vor Verteilungsfragen, vor der Beschäftigung mit arm und reich. Sie nicht. Warum?

Solow: Ich beschäftige mich lieber aus ökonomischer Sicht mit dem wahren Leben als mit Veröffentlichungen anderer Wissenschaftler (lacht). Die Ungleichheit steigt in den Vereinigten Staaten und in vielen Teilen Europas. Das halte ich für eine wichtige Tatsache. Das ist nicht gut für die Gesellschaften, darum muss man die Hintergründe verstehen.

SZ: Ist die Politik von Präsident George W. Bush Schuld daran, dass in den USA die Unterschiede zwischen arm und reich zunehmen?

Solow: Seine Steuerpolitik begünstigt Spitzenverdiener. Und auch sonst zeigt seine Regierung kein Interesse daran, die Ungleichheit zu verringern. Aber der Abstand zwischen Arm und Reich wuchs schon in den siebziger Jahren, als Bush noch ein Trunkenbold in Texas war. Es gibt mehrere Gründe für die zunehmende Ungleichheit: Die Billiglohn-Konkurrenz aus Asien, die heimische Industriejobs belastet. Die schwindende Macht der Industriegewerkschaften, die in den USA praktisch gar nicht mehr existieren. Der wichtigste Grund aber ist, dass der technologische Wandel - etwa die Informationstechnik - in den vergangenen 30 Jahren gut ausgebildete Arbeitnehmer bevorzugt und schlecht qualifizierte benachteiligt hat. Gut ausgebildete Leute sind gefragt, ihre Löhne steigen. Gering qualifizierte bekommen Probleme.

SZ: Was sollen die Politiker gegen die Ungleichheit tun?

Solow: Ich würde Flexicurity vorschlagen, also eine Mischung aus Sicherheit und Flexibilität wie in Dänemark. Die Dänen haben die Einkommen der Geringverdiener erhöht, ohne zugleich die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Sie setzen auf einen flexiblen Arbeitsmarkt, aber auch auf aktive Arbeitsmarktpolitik und ein starkes soziales Netz. Das ist teuer, aber die Dänen akzeptieren hohe Steuern.

SZ: Deutschland streitet über Mindestlöhne. Helfen sie den Geringverdienern oder kosten sie vor allem Jobs?

Solow: Zumindest in den Vereinigten Staaten sind die Gefahren für den Arbeitsmarkt stark übertrieben worden. Über mehrere Jahre wurde dort der Mindestlohn von fünf auf sieben Dollar angehoben. Das hat kaum Stellen gekostet.

SZ: Sie erhielten den Nobelpreis für ein Modell, wonach die Wirtschaft vor allem dank des technischen Fortschritts wächst. Doch viele Arbeitnehmer fürchten sich vor technologischem Wandel ...

Solow: Bisher hat Fortschritt mehr Stellen geschaffen als vernichtet. Die entlassenen Arbeitnehmer oder zumindest andere Arbeitnehmer finden Stellen, die es ohne den Wandel nicht gegeben hätte. Aber das ist kein Naturgesetz für die Ewigkeit. Der technische Fortschritt macht ja tatsächlich einige Leute arbeitslos. Es ist eine Gefahr für jeden einzelnen. Wenn man mir sagen würde: Vielleicht musst Du wieder als Tellerwäscher arbeiten, hätte ich auch Angst.

SZ: Ihr Vater war im Pelzgeschäft tätig. Haben Sie nie überlegt, ebenfalls Geschäftsmann zu werden statt Wissenschaftler?

Solow: Nein. Ich war ein guter Student, also wollte ich bei der Wissenschaft bleiben. Außerdem gab mir mein Vater einen einzigen Ratschlag zur Berufswahl: Bob, Du kannst alles machen, was du willst, aber wenn Du ins Pelzgeschäft gehst, bring ich Dich um.

SZ: Warum so drastisch?

Solow: Mein Vater kaufte Pelze auf Auktionen, er hatte ein sehr gutes Auge für die Qualität der Pelze bestimmter Tiere. Er mochte seinen Beruf aber eigentlich nicht. Und: Die Branche war sehr unsicher, vor allem während der Depression in den dreißiger Jahren, als sich nur wenige Leute Pelze leisten konnten.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Solow EZB-Chefvolkswirt Issing entsetzte.

SZ: Besitzen Sie heute einen Pelz?

Solow: Ich kann mir keinen Pelz leisten. Meine Tochter hat auch keine.

SZ: War Ihre Kindheit während der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren hart? Viele Menschen litten damals sehr.

Solow: Wir hatten immer Kleidung und Essen. Aber selbst als Junge mit acht Jahren habe ich sehr genau mitbekommen, dass meine Eltern sich ständig Sorgen ums Geld machten. Immer sprachen sie darüber, was sie sich noch leisten können.

SZ: Manche Ökonomen glauben, die heutige Finanzkrise könnte sich zu einer neuen Weltwirtschaftskrise ausweiten.

Solow: (auf deutsch) Närrisch! Die Arbeitslosenquote betrug damals in den Vereinigten Staaten 25 bis 30 Prozent, es gab kein soziales Netz, die Menschen hungerten. Das ist heute anders. Vor allem verstehen wir Ökonomen heute, was passiert und wie der Staat die Konjunktur stützen kann.

SZ: Die Finanzkrise, die Folge der Spekulationsblase am amerikanischen Häusermarkt, ist zur Zeit ein beherrschendes Thema. Kritiker sagen, dass Alan Greenspan, der frühere Chef der US-Notenbank Fed, die Blase durch seine Politik des billigen Geldes miterzeugt hat.

Solow: Wie alle bin ich sehr gut darin, Dinge im Nachhinein zu verstehen (lacht). Ich weiß heute genau, was man damals hätte machen sollen! Im Ernst: Die Situation war schwierig: Die Fed soll die Inflation bekämpfen und für Wirtschaftswachstum sorgen. Auch noch zu verlangen, dass die Notenbank auf die Vermögenspreise achtet, also etwa auf Börsenkurse und Hauspreise - das ist zu viel.

SZ: Ein Freibrief für Greenspan?

Solow: Im Nachhinein hätte man sich gewünscht, dass die Fed etwas gegen die Blase gemacht hätte. Aber damals hätte auch ich nicht klar feststellen können, dass sich die steigenden Hauspreise nun zu einer Blase entwickeln, die man stoppen sollte. Hätte die Fed versucht, die Vermögenspreise zu verringern, hätte sie es übertreiben können. Das hätte zu einem Kollaps der Wirtschaft geführt, und alle hätten Greenspan beschimpft, dass er sich in Sachen einmischt, die nicht sein Job sind.

SZ: Ihre Greenspan-Bilanz ist positiv?

Solow: Ganz klar hat er mehr Gutes als Schlechtes geschaffen. Mitte bis Ende der neunziger Jahre hat die Fed mit Glück, aber auch mit exzellenten pragmatischen Entscheidungen den USA sechs wundervolle Jahre geschenkt, mit schnellem Wachstum, einem besserem Arbeitsmarkt und weniger Inflation.

SZ: Was meinen Sie mit pragmatischen Entscheidungen?

Solow: 1994 meinten die meisten Ökonomen, eine Arbeitslosenquote von weniger als den damaligen 6,5 Prozent führe zu steigender Inflation. Greenspan hätte den Boom mit steigenden Zinsen beenden können, kein Volkswirt hätte ihn dafür angegriffen. Stattdessen hat er lieber abgewartet und die Zinsen zunächst nicht erhöht. Das Ergebnis: Um 2000 herum lag die Arbeitslosenquote bei nur noch vier Prozent, und die Inflation war geringer als Mitte der neunziger Jahre.

SZ: Viele Menschen fürchten, dass die Zeiten hoher Inflationsraten zurückkehren. Müssen die Zentralbanken eingreifen?

Solow: Nein. Zwar ist in Amerika die Inflation höher, als die Fed wünscht. Aber das liegt zu 90 Prozent an den steigenden Preisen für Energie, Nahrungsmittel und Rohstoffe - eine Folge des Booms in China und Indien. Es wäre keine gute Idee, durch steigende Zinsen die eigene Wirtschaft zu belasten, um hier gegenzuwirken.

SZ: Vermutlich finden Sie die Politik der Europäischen Zentralbank falsch.

Solow: Die EZB folgt der Tradition der Bundesbank: Sie betont die Inflationsbekämpfung zu stark und belastet damit das Wachstum. Die Europäische Zentralbank hätte in Zeiten geringer Inflationsgefahren versuchen sollen, durch Zinssenkungen das Wachstum anzukurbeln. Ich finde, Notenbanken sollten einfach eine bestimmte Politik ausprobieren, ändern kann man sie immer noch. Ich habe das mal Ottmar Issing vorgeschlagen, dem früheren Chefvolkswirt der EZB. Er war völlig entsetzt: Wie kann eine Notenbank heute etwas machen und zwei Monate später sagen, das war ein Fehler?

SZ: Ist das vielleicht eine Mentalitätsfrage? Sind Amerikaner risikofreudiger?

Solow: Man kann das Risikobereitschaft nennen oder einfach Pragmatismus: Wenn ich die Antwort nicht kenne, ist der einzige Weg, sie herauszufinden, es zu versuchen.

SZ: Sie haben an Ihrer Universität seit mehr als 50 Jahren dasselbe Büro. Und seit mehr als 50 Jahren ist Ihr Büronachbar Paul Samuelson - der 92-Jährige, der den Nobelpreis unter anderem für seine Schriften über den Welthandel bekommen hat. Wer hat das größere Büro?

Solow: Paul. Er braucht ein größeres, weil er schlampiger ist.

SZ: Was heißt das?

Solow: Er lässt überall Papierstapel herumliegen. Ich bin Hobby-Segler gewesen und daher gewohnt, Sachen auf kleinem Raum unterzubringen.

SZ: Wollten Sie nie in ein größeres, repräsentativeres Büro umziehen. Sie als Nobelpreisträger?

Solow: Nein. Ich brauche kein größeres Büro.

SZ: Und Ihr Verhältnis zu Samuelson?

Solow: Paul und ich haben ein wundervolles Leben zusammen. Er sagt: "Bob, I have a puzzle! (Ich finde etwas rätselhaft.)" Dann gehe ich zu ihm herüber. Wir sprechen über Ökonomie und andere Sachen. Meistens essen wir gemeinsam zu Mittag. Diese Nachbarschaft wollen wir nie beenden.

© SZ vom 29.02.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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