Reden wir über Geld: Robert Harris:"Die Finanzmärkte treten uns ins Gesicht"

Während der Recherche ist Buchautor Robert Harris richtig wütend geworden: wütend auf die Hedgefonds-Manager, die jenseits aller Moral Gewinne maximieren, selbst wenn der Preis der Weltuntergang wäre. Harris über Angst, Geldhaie - und wie Hitler seinen Landsitz finanzierte.

Alexander Hagelüken und Hannah Wilhelm

Eine Zugstunde von London entfernt hat Robert Harris, 54, einen Landsitz gekauft. Mit seinen meistverfilmten Romanen wie Vaterland, Enigma oder Ghost verdiente der frühere Journalist einiges Geld. In seinem jetzt in Deutschland erscheinenden Thriller Angst wendet sich Harris dem Berufsstand zu, der richtig viel Geld verdient: Hedgefonds-Managern, die jenseits aller Moral Gewinne maximieren - und wenn der Preis der Untergang der Welt wäre. Harris bittet zum Nachmittagstee und lässt sofort jede britische Zurückhaltung fahren: Er ist während der Recherche bei den Crash-Managern richtig wütend geworden.

Auftakt der Lesereise von Robert Harris

"Ich wollte eine moderne Version von George Orwells 1984 schreiben, eine Anti-Utopie: Wie wir heute nicht vom Staat unterdrückt werden, sondern von Finanzkonzernen."

(Foto: ddp)

SZ: Robert Harris, reden wir über Geld. Stimmt es, dass in gewisser Weise Adolf Hitler dieses Haus finanzierte?

Robert Harris (lacht): Ja. Mein erster Roman "Vaterland", der den Horror eines Nazi-Siegs ausbreitet, war ein Bestseller. Allein die Taschenbuch-Rechte für die USA brachten 1,7 Millionen Dollar, ich bekam davon 60 Prozent. Von all dem Geld kaufte ich dieses Haus, das gibt mir als Autor Sicherheit weiterzuschreiben. Finanziell die schlaueste Entscheidung meines Lebens.

SZ: Und die dümmste?

Harris: Als Lehman 2008 pleiteging, las ich, nächster Kandidat sei der Versicherer AIG. Der Name klang bekannt. Ich stellte fest: Ich hatte einen großen Teil meines Geldes in einem AIG-Finanzprodukt, das ich nicht verstand. Nur wegen eines Prozents mehr Rendite. Gott sei Dank wurde AIG gerettet.

SZ: Sie mögen die Deutschen wirklich. Ihr erster Roman behandelte einen Sieg Hitlers, im neuen Buch ist die einzige deutsche Figur ein Kannibale.

Harris (lacht): Oh, keine böse Absicht. Es gab bei Ihnen da in Rotenburg einfach den bekanntesten Fall eines Kannibalen.

SZ: Die meisten Schriftsteller finden Geld zu uninteressant, um darüber zu schreiben. Sie lieferten 15 Jahre satte Schmöker über Cäsaren, Weltkriege oder Premierminister. Ihr neues Buch behandelt die Börse. Was ist los mit Ihnen?

Harris: Geld interessiert mich auch nicht (lacht). Ich wollte eine moderne Version von George Orwells 1984 schreiben, eine Anti-Utopie: Wie wir heute nicht vom Staat unterdrückt werden, sondern von Finanzkonzernen. Bei der Recherche traf ich einen Hedgefonds-Manager, der sagte: Am Dienstag verdienten wir 700 Millionen Dollar. Es heißt immer, der 11. September sei das epochale Ereignis unserer Zeit. Ich glaube, das epochale Ereignis ist die Finanz- und Euro-Krise.

SZ: Ihr Roman nimmt den Flashcrash auf, als an der Wall Street 2010 binnen Minuten die Kurse total abstürzten.

Harris: An diesem 6. Mai saß ich im Arbeitszimmer und wartete auf den Ausgang der britischen Wahlen. Da kam der Crash und ich dachte: Das ist mein Buch.

Computer außer Kontrolle

SZ: An diesem einzelnen Tag wurden 20 Milliarden Aktien gehandelt, mehr als in den ganzen sechziger Jahren.

Harris: Die Finanzmanager, die ich zur Recherche traf, sagten: Warum machen Sie Computer verantwortlich? Ich sagte: Weil es im Bericht der Bankenaufsicht SEC steht. Oh, das hatte keiner gelesen. Tatsächlich waren die gigantischen Computerverkäufe an dem Tag außer menschlicher Kontrolle. Das ist sehr ernst. Vor drei Wochen passierte etwas Ähnliches in Australien. Bei Bill Gates las ich über ein digitales Nervensystem für Firmen. Zu Ende gedacht brauchen Firmen keine Mitarbeiter mehr: Die Computer machen alles.

SZ: Sie schreiben: Man kann Computer nicht moralisch verurteilen. Sie sind wie ein Hai. Ihre Helden erkennen, dass ihre Computer die Welt zerstören können, aber der Profit ist ihnen wichtiger.

Harris: So agieren die Fonds, wie Haie, ohne Moral. Ich las die Memoiren eines Fondsmanagers. Nach dem Bombenattentat in London 2005, bei dem seine Schwester vermisst war, wollte er aus der Stadt weg. Dann überlegte er, in der Stadt zu bleiben, weil er vom nächsten Attentat ein paar Sekunden vor den Finanzmärkten wissen würde - und er entwickelte ein Programm, das sofort Aktien von Fluggesellschaften und Hotels verkauft. Das ist die Moral der Hedgefonds. Seit das Buch fertig ist, lerne ich, dass es tatsächlich Computer gibt, die Twitter scannen, um die Stimmung der Menschen zu erfassen.

SZ: Auch Computer, die wie im Buch Dschihad-Sites scannen, um bei angedrohten Anschlägen die Aktien von Fluggesellschaften zu verkaufen?

Harris: Nein.

SZ: Vielleicht bringen Sie jemanden auf Ideen.

Harris: Ich bin im falschen Geschäft.

SZ: Die Finanzmanager sagen: Guck mal dieser Kerl Harris, der hat die größte Investmentidee aller Zeiten.

Harris: Und sie werden mir keinen Penny geben. (lacht)

SZ: Fanden Ihre Gesprächspartner, dass an den Finanzmärkten etwas schiefläuft?

Harris: Ein oder zwei. Die wenigsten. Manche glauben, man soll Computer alles entscheiden lassen: Ob ein Euro-Land gerettet wird oder nicht. Wahnsinn.

SZ: Bei Ihnen machen die Computer aus Geld Angst. Ist das eine Metapher dafür, welche Angst die Finanzmärkte in unserem Leben verbreiten?

Harris: Ja. Ich plante einen Horrorthriller, also spielt er in Genf, wo "Frankenstein" geschrieben wurde. Dieser Angst-Index VIX, der die Schwankungen von Aktien misst, den gibt es wirklich.

"Faustischer Pakt mit der Finanzindustrie"

SZ: "Die Welt wird heute von Angst dominiert", schreiben Sie.

Harris: Der Philosoph Epiktet sagt, die Menschen haben nicht vor Fakten Angst, sondern vor Gerüchten und Phantasien. Heute werden kleine Dinge zu riesigen Schrecken aufgeblasen, wie die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak-Krieg. Mein erstes Buch war über chemische und biologische Kriegsführung. Ehrlich gesagt, muss man davor nicht viel Angst haben.

SZ: Echt?

Harris: Wenn Sie in München die Straße runtergehen, wäre es viel gefährlicher, jemand hätte Sprengstoff als eine Flasche Nervengas, die ist schwer zu handhaben. Aber aus Saddams angeblichen Waffen wurde Panik entfacht, Tony Blair sagte, sie könnten Großbritannien binnen 45 Minuten treffen. Absurd.

SZ: Wie leicht war die Recherche im verschlossenen Milieu der Hedgefonds?

Harris: Ich glaube, als Schriftsteller hatte ich einen Vorteil. Diese Manager sind Egomanen. Es wurmt sie, dass man sie nicht auf der Straße erkennt wie einen Popstar, obwohl sie 300 Millionen Dollar besitzen. Dass sie in einem Roman vorkommen, der bald verfilmt wird, übte einen Anreiz aus.

SZ: Ihr Hauptheld ist ein Computernerd, der aber nicht das iPhone erfindet, sondern Programme, die aus Terrorattacken Geld machen. Werden wir von solchen Menschen beherrscht?

Harris: Immer mehr. Bei der Recherche traf ich auf einen Fonds, der nur die Top 15 Prozent Doktoren in Naturwissenschaften einstellt, keine Ökonomen. Ich will mich nicht lustig machen, aber beim europäischen Kernforschungsprojekt Cern, wo die Fonds rekrutieren, traf ich seltsame Charaktere. Einer kann keinen Saal durchqueren, ohne jede einzelne Türklinke mit der Hand zu berühren. Ein anderer isst alles mit Messer und Gabel, auch eine Tüte Chips.

SZ: Glauben Sie, die Bürger merken, was an den Märkten vorgeht?

Harris: Nein, und das macht mir Angst. Diese riesigen Kräfte formen unser Leben. Aber auf der Straße kann kein Bürger erklären, was ein Hedgefonds ist oder ein Credit Default Swap. Es ist so kompliziert, dass die Leute es einfach akzeptieren. Die Occupy-Protestierer haben große Wut, aber kein Programm. Die Märkte sind zu einem absurden Casino verkommen und verschlimmern die Probleme des Euro.

SZ: Was würden Sie tun?

Harris: Wir müssen die Märkte unter Kontrolle bringen, sie sollen den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Bei diesen riesigen Wetten auf Indizes ist nicht zu sehen, was das der Menschheit bringt. Es wird aber nicht einfach, weil sie die mächtigsten Menschen der Welt zu kontrollieren versuchen. Die Finanzmärkte sind Stiefel, die uns bis in alle Ewigkeit ins Gesicht treten.

SZ: Deutschland und Frankreich wollen ja regulieren. Briten und Amerikaner verhindern eine stärkere Kontrolle.

Harris: Wir haben einen faustischen Pakt mit der Finanzindustrie, die inzwischen einen großen Teil unserer Wirtschaftsleistung stellt, während wir die Industrie vernachlässigt haben. Als die EU jetzt eine Steuer auf Finanztransaktionen vorschlug, die ich gut finde, gab es sofort Schlagzeilen wie "Das kostet 50 000 Jobs in der City of London".

SZ: Ein Fondsmanager im Roman beschreibt seine reichen Kunden als "Psychopathen und Kriminelle", kaum einer zahlt Steuern.

Harris: Wir brauchen eine Weltsteuer-Politik. In Genf zahlen die Fondsmanager weniger als zehn Prozent auf ihr Einkommen, deshalb gehen sie da hin. Wer in England Leute beschäftigt, zahlt 40 Prozent Steuern. Die Zocker stellen nichts Reales her, destabilisieren das Finanzsystem und zahlen zehn Prozent!

SZ: Die Realeinkommen normaler Arbeitnehmer stagnieren seit langem.

Harris: Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig. Seit der Sozialismus zusammenbrach, wird der Kapitalismus extrem, mit all der Gier und Übertreibung, und steuert auf sein Ende zu. Die Geschichte bestraft Hybris.

SZ: Sie haben sich viel mit den Möglichkeiten der Politik beschäftigt und waren nah an manchen Politikern. Wann sprachen Sie zuletzt mit Ex-Minister und Ex-EU-Kommissar Peter Mandelson?

Harris: Vergangenen Freitag war ich bei seinem Geburtstagsdinner. Er ist der Patenonkel eines meiner Kinder (zeigt auf ein Bild auf seinem Wohnzimmerbüfett).

"Bekomme keine Weihnachtskarten mehr"

SZ: Stimmt es, dass Sie bei Tony Blair waren, als er 1997 die Wahl gewann?

Harris: Ich schrieb eine Kolumne für die Sunday Times, er lud mich ein, ihn im Wahlkampf zu begleiten. Er hoffte wahrscheinlich, dass ich die Times für ihn einnehmen könnte. Auf jeden Fall war ich als Einziger mit ihm am Wahlabend in seinem Wohnzimmer, als sein Sieg im Fernsehen gemeldet wurde.

SZ: Wie war das?

Harris: Bill Clinton rief an. Und im Garten tauchten plötzlich Kerle mit Maschinengewehren auf, weil er Premier war. Ich mochte ihn immer. Aber dann stritten wir uns über die Entlassung Mandelsons aus dem Kabinett und über den Irak-Krieg.

SZ: Sie schrieben einen unfreundlichen Roman über einen britischen Premier, der seine Ideale verrät. Wann sprachen Sie Blair zuletzt?

Harris: Vor mehr als vier Jahren. Mandelson war bei meiner Geburtstagsfeier, telefonierte mit ihm und reichte mir den Hörer weiter. Blair sagte nur kurz "Alles Gute", das war's. Ich bekomme auch keine Weihnachtskarten mehr.

SZ: Der Sieg von New Labour war für Sie die Chance Ihrer Generation, etwas im Land zu ändern.

Harris: Wir haben es zwar nicht total verbockt, aber die Chance verpasst. Wenn Blair gegen den Irak-Krieg gewesen wäre, hätte George Bush wahrscheinlich nicht angreifen können. Der zweite große Fehler war, die Londoner Finanzbranche nicht zu kontrollieren und dieser ganzen Ego-Generation nichts entgegenzusetzen. Und er hätte den Briten die Wahrheit zumuten können, dass unser Land ohne den Euro womöglich einmal isoliert ist.

SZ: Sie kritisieren Blair, dass er beim Euro zauderte?

Harris: Meine Frau und ich waren 2003 bei den Blairs zum Dinner. Der Irak-Krieg kam auf, Tony: Lass uns nicht darüber reden. Ich: Du bist weiter weg von Europa als dein konservativer Vorgänger John Major. Er braust auf: Pass auf, wir halten nächstes Jahr ein Referendum über den Euro und gewinnen! Tja, das kam nie.

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