Modernisierung:Höher als gedacht

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In vielen Kellern stehen noch alte Öl- oder Gasheizungen. Manche Experten fordern daher die Einführung einer CO₂-Steuer. Für viele Verbraucher könnte sich das sogar lohnen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Wenn große Mietshäuser saniert werden, ist der Energieverbrauch danach oft höher als vorher berechnet. Dies liegt neben der Technik auch am Verhalten der Bewohner.

Von Lars Klaaßen

Im Wohnquartier Karlsruhe-Rintheim stehen viele Häuser, die bereits mehrere Jahrzehnte alt sind. Da lag es auf der Hand, die fast 800 Wohnungen energetisch zu sanieren und den Verbrauch deutlich zu senken. Die Anlage wurde unter anderem an ein neues Nahwärmenetz angeschlossen. Was auf dem Papier gut aussieht und so auch umgesetzt wurde, führte in der Praxis zu Ernüchterung. In drei untersuchten Gebäuden liegt nach der Sanierung der Verbrauch um bis zu einem Viertel über dem zuvor errechneten Bedarf. Dieses Phänomen ist verbreitet, es wird von Experten unter dem Begriff" Reboundeffekt" diskutiert.

In Karlsruhe gehen Wissenschaftler des Eon Energy Research Center der RWTH Aachen Universität den Ursachen auf den Grund. Sie untersuchen einerseits technische Aspekte. Auf der anderen Seite setzen sie sich auch intensiv mit den Bewohnern der sanierten Häuser auseinander. Denn ob ein energetisch saniertes Haus die gewünschten Effekte erzielt, beeinflussen die Nutzer erheblich durch ihr Verhalten.

"In einer Befragung gab nur die Hälfte der Mieter an, dass die Bedienung der neuen Anlagetechnik komfortabler sei als früher", berichtet Florian Heesen, Projektleiter des Forschungsvorhabens "Analyse des Nutzerverhaltens in energieeffizient sanierten Wohngebäuden". Die Wissenschaftler befragten die Bewohner zu Lüftungsverhalten, gewünschter Raumtemperatur, Einstellungen und auch Emotionen bezüglich der neuen Technik. Zusätzlich werten sie Daten zu Warmwasser, Heizung und Lüftung aus. Dabei nahmen die Forscher drei Gebäuderiegel unter die Lupe: Die 90 Wohnungen sind in sieben verschiedenen Varianten saniert worden. "Gerade durch die Verbindung der Messdaten mit den Ergebnissen der Fragebögen ergeben sich umfassende Einblicke", sagt Heesen.

Bewohner stellen die Temperatur zu hoch ein oder lüften nicht richtig

Die Untersuchungen zeigen: Es liegt sowohl an technischen Schwierigkeiten als auch am Verhalten der Mieter, dass die erwarteten Energieeinsparungen nicht wie erhofft eingetreten sind. Technische Probleme, wie sie in vielen Bauvorhaben auftreten, führen auch hier zu einem erhöhten Verbrauch. Aber auch einwandfrei funktionierende Technik kann ungeplante Effekte hervorrufen, weil sie sich etwa auf das Empfinden auswirkt: Anders als Heizkörper etwa strahlen effiziente Flächenheizungen kaum spürbare Wärme ab. Nutzer empfinden den Raum dann trotz gleicher Temperatur als kühler - und drehen instinktiv die Heizung höher. Andere wiederum nutzen die neue Lüftungstechnik nicht, da sie höhere Energiekosten fürchten oder aber die Lüftung per Fenster als angenehmer empfinden.

Die Nutzer geben ungern Verantwortung an die Technik ab. Oft wissen sie auch nicht, wie sie mit ihr am besten umgehen. "Selbst althergebrachte Regeln für richtiges Heizen und Lüften sind vielen Menschen nicht geläufig", sagt Heesen. Mit der bloßen Information, wie die neue Technik funktioniert, wie künftig geheizt und gelüftet werden sollte, ist es laut Heesen allein nicht getan. "Solche Verhaltensänderungen müssen sich Menschen aneignen."

Diesem Prozess der Aneignung widmet sich ein Projekt, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert wird: "Energieeffizienz und Wohnungswirtschaft - Erprobung von Umweltkommunikationskonzepten zum energieeffizienten Bewohnerverhalten in Bestandssiedlungen in Erfurt und Kassel". Das Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhochschule Erfurt entwickelt Informations- und Beteiligungsmethoden, die den Energieverbrauch der Bewohner positiv verändern sollen. Im Fokus steht der Wärmeverbrauch der privaten Haushalte. Der Rote Berg in Erfurt sowie der Rothenberg und die Quellhofstraße in Kassel sind bis 2016 Beispielquartiere für das Modellprojekt. Am Ende soll unter anderem ein Leitfaden für die Zusammenarbeit zwischen Wohnungswirtschaft und Energieberatern erstellt werden.

In Kassel wurden in den vergangenen fünf Jahren etwa 450 Wohnungen energetisch saniert. Die Kommunale Wohnungsgesellschaft GWG hat die Bewohner schon vor der Sanierung informiert, was geplant ist und sie über Nachbarschaftshelfer, die sie zu Stromsparberatern ausgebildet hat, für das Thema sensibilisiert. Das geschah etwa bei einem gemeinsamen "Energiefrühstück", wo über Stromsparen, Heizen und Lüften informiert wurde. "Es ist wichtig, auch nach der Fertigstellung in Kontakt zu bleiben", erläutert Projektleiterin Heidi Sinning vom ISP. Den Trugschluss, dank Sanierung werde automatisch Energie gespart, solle man gar nicht erst aufkommen lassen, sagt die Professorin. Stattdessen solle man aufzeigen, "dass sich nach wie vor auch das eigene Verhalten entscheidend auswirkt."

Aufklärung tut in erster Linie Not, weil die Mieter den Zusammenhang zwischen ihrem Tun und den Folgen meist nicht wahrnehmen. Bis die Nebenkostenabrechung auf dem Tisch liegt, ist der letzte Winter schon lange vorbei. Welche Posten in der Abrechnung durch veränderte Gewohnheiten gesenkt werden können, erschließt sich selten auf den ersten Blick. Hinweise auf überdurchschnittlichen Verbrauch finden sich auf solchen Abrechnungen bislang nicht. "Etwa 80 Prozent der Privathaushalte können die Höhe ihres Verbrauchs nicht benennen", sagt Sinning. "Wir haben nun verschiedene Instrumente erarbeitet, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen." Für Migranten etwa, die kaum Deutsch sprechen, werden mehrsprachige Gesprächsrunden angeboten. Ein Comic ohne Worte, wie bereits in Berlin im Einsatz, kann grundsätzliche Tipps zum Heizen und Lüften geben. Senioren, die alleine in großen Wohnungen leben, brauchen Hinweise, wie sie in wenig genutzten Räumen Schimmel vermeiden, ohne dort unnötig viel zu heizen. Seit Januar werden in Erfurt verschiedene Beratungsangebote in einer Modellwohnung gebündelt. Dort können Interessenten neue Technik begutachten und selbst ausprobieren.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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