Messe Mipim:Tanz am Ausgang

Messe Mipim: Neue Ideen für das Pariser Geschäftsviertel "La Defense": Auf der Immobilienmesse "Mipim" in Cannes waren Investoren auf der Suche nach Anlageprojekten.

Neue Ideen für das Pariser Geschäftsviertel "La Defense": Auf der Immobilienmesse "Mipim" in Cannes waren Investoren auf der Suche nach Anlageprojekten.

(Foto: Valery Hache/afp)

Coworking, neue Verkehrskonzepte, Digitalisierung: In Cannes haben sich Experten mit innovativen Konzepten beschäftigt.

Von Christine Mattauch

Das Leben in den Städten muss erschwinglich sein, für jedermann, findet sie. "Wer Städte nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung entwirft, riskiert eine Gegenreaktion", ruft Adora Svitak, Studentin und Aktivistin. Gebäude müssten Nachbarschaft ermöglichen, die diesen Namen auch verdiene. Und junge Leute sollten über urbane Räume mitentscheiden. Die Rede der 20-jährigen Amerikanerin war ein ungewöhnlicher Auftakt zur diesjährigen Immobilienmesse Mipim im südfranzösischen Cannes.

Auf den ersten Blick passt Svitaks Vision wenig zum harten Geschäft der Messe, auf der große Deals vorbereitet, kühne Projekte vorgestellt und deren Finanzierung vorbereitet werden. Und doch hat das eine mit dem anderen zu tun: Weltweit umwerben finanzstarke Arbeitgeber intelligente, gebildete junge Leute wie Svitak und passen auf, dass die Arbeitsplätze so sind, wie es sich potenzielle Mitarbeiter wünschen. Deshalb ist die Frage, wie sich der Nachwuchs die Stadt von morgen vorstellt, auch für Projektentwickler und Investoren relevant.

Die Branche fragt sich vor allem, wie lange der Boom noch anhalten wird

"Es wird viel stärker darauf geachtet, dass Bürostandorte zu den Ansprüchen der Nutzer passen", sagt Wolfgang Speer, der für Büroraum zuständige Geschäftsführer der Immobilienberatung Colliers. Obwohl die Mipim, die an diesem Freitag zu Ende geht, mit etwa 25 000 Besuchern kleiner ist als die Münchner Expo Real mit knapp 42 000, gilt sie als mindestens ebenso wichtig - gerade weil sie exklusiver, und internationaler ist: Die mehr als 3100 Aussteller stammen aus 100 Ländern. Wobei Zahlen nur begrenzt etwas aussagen, denn ein nicht unbeträchtlicher Teil des Geschäfts spielt sich inzwischen auf Yachten im angrenzenden Hafen ab, auf denen große Entwickler und Investoren Hof halten. Die Lage des Messegeländes unmittelbar an der Bucht von Cannes, hinter dem Prachtboulevard La Croisette, ist ein klarer Wettbewerbsvorteil der Mipim.

Eine der meist diskutierten Fragen in Cannes war, wie lange der Immobilienboom anhalten wird. 2017 war ein Jahr mit vielen Rekorden, und auch für dieses Jahr sind die Prognosen gut. Allerdings gehen die Zinsen in den USA wieder nach oben, und auch in Europa mehren sich die Zeichen, dass die Phase der ultralockeren Geldpolitik zu Ende geht. "Die Party läuft noch, aber man tanzt näher beim Ausgang", brachte es der Manager eines Immobiliendienstleisters auf den Punkt. Viele hätten gegen eine leichte Korrektur nichts einzuwenden, wenn das die Gefahr eines abrupten Einbruchs mildern würde, denn nichts fürchtet die Branche mehr als plötzliche Krisen. Sven Keussen, geschäftsführender Gesellschafter des Münchner Immobiliendienstleisters Rohrer, beobachtet schon jetzt, dass private Investoren zunehmend Verkäufe realisieren, weil sie höhere Zinsen erwarten.

Ein genereller Trend ist das aber nicht. Solange die Konjunktur brummt und die Nachfrage nach Büroflächen so groß ist wie derzeit, gelten hohe Preise als gedeckt. Und noch haben institutionelle Anleger - etwa Pensionsfonds und Versicherungen - Kapital im Überfluss. Der Liquiditätsdruck ist enorm, zumal der Markt in weiten Teilen als leergekauft gilt. Immer wieder stieß man auf der Mipim auf Vorhaben abenteuerlicher Dimension, wie die einer 350 Hektar großen neuen Innenstadt für Casablanca. "Wenn der Markt weit gelaufen ist, kommt er auf große Ideen", sagt Matthias Brodeßer, Head of Transaction Management International bei Warburg-HIH. Die Hamburger Investmentfirma, die für ihre Kunden 6,7 Milliarden Euro verwaltet, bleibt konservativ: Im Fokus stehen Deutschland, die Benelux-Staaten, Polen und vor allem Österreich, "ein Markt mit einer sehr geringen Volatilität", wie Brodeßer sagt. Auch das ist ein Weg, sich gegen einen Abschwung zu wappnen.

Daneben rücken Konzepte in den Blickpunkt, die - so die Hoffnung - über die gegenwärtige Hausse hinaus tragfähig sind. "Man sieht stärker hin, was der Mensch braucht und wie künftige Generationen leben und arbeiten möchten", sagt Sabine Barthauer, Vorstandsmitglied der Deutschen Hypo. Mit Co-Working und Co-Living-Konzepten wurde die Mipim geradezu geflutet. Weitere Stichworte waren Flexibilität, Nahverkehrsanbindung, mehr Grün und Architektur, die wohltut. Womit man wieder beim Thema Urbanität wäre. Ein besonderer Beitrag dazu kam, ausgerechnet, von der Schweizer Aufzugfirma Schindler, die sich als Mobilitätsanbieter profilieren will. Sie präsentierte eine riesigen 3D-Videoanimation neu gedachter Quartiere: mit Straßen für E-Bikes und Kanälen für Menschen, die zur Arbeit schwimmen; mit grünen Gemeinschaftshöfen und Erholungszonen auf Flachdächern. Einfamilienhäuser werden im Selbstbau auf übereinander gestapelten Terrassen errichtet. "Die Stadt muss den Menschen die Möglichkeit geben, kreativ zu werden", findet Paul Friedli, Leiter der Transit Management Group bei Schindler. Fragt man ihn, weshalb sich Schindler mit solchen Visionen beschäftigt, antwortet er: "Wir sind ein Familienunternehmen." Soll heißen: Wir kümmern uns um unsere Kinder und Enkel.

Junge Unternehmen sind dabei, alle wichtigen Prozesse zu digitalisieren

Weil die Stadt der Zukunft auch eine digitale ist, spielen auf der Mipim zunehmend disruptive Technologien eine Rolle; es gibt ein Innovationsforum und einen Start-up-Wettbewerb. Die neuen Entwicklungen werden unter dem Stichwort Proptech zusammengefasst. Nicht nur haben die Gebäude immer mehr digitale Features; auch die Branche selbst ist im Umbau. "Als wir 2015 die digitale Revolution zum Motto erklärten, fragten viele, was hat das mit uns zu tun?", erinnert sich Sara Rozenfarb, Direktorin für Strategie und Geschäftsentwicklung beim Mipim-Veranstalter Reed Midem. "Das hat heute jeder verstanden." Proptech sei dabei, die gesamte Wertschöpfungskette zu erobern, von Nutzeranwendungen über Planungstools bis hin zur Finanzierung. Das Berliner Start-up Brickblock stellte auf der Mipim die nach eigenen Angaben erste Crowdinvesting-Plattform auf Basis der Blockchain-Technologie vor: schneller, sicherer und preiswerter soll sie Projektentwickler und Investoren zueinander bringen. Einzig die regulatorische Anerkennung fehlt noch.

Berlin, München, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf und Hamburg waren mit eigenen Ständen vertreten, daneben gab es einen Gemeinschaftsauftritt von NRW Invest und einen von Nürnberg, Leipzig, Hannover und Mannheim. Nicht immer war eine urbane Vision erkennbar. Hamburgs Großentwicklung freilich, die 157 Hektar große Hafen City, gilt als Vorzeigeprojekt. Jüngst hat man für noch zu entwickelnde Quartiere den Stellplatzschlüssel drastisch gesenkt, auf zehn Wohnungen werden nur vier Parkplätze kommen. Zum Ausgleich wird es ein Carsharing-Angebot geben, an dem sich neben der Stadt sämtliche Bauherren beteiligen sollen. Berlin kann mit großen Entwicklungsflächen punkten, vom ehemaligen Flughafen Tempelhof über die "Urbane Mitte Kreuzberg" bis zum Tech-Stadtteil Adlershof. Entscheidend wird sein, was die Stadt daraus macht.

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