Gut fürs Klima?:Grüne Häuser

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Der Bosco Verticale, der vertikale Wald, war eine der Attraktionen auf der diesjährigen Weltausstellung in Mailand. (Foto: Guiseppe Cacace/AFP)

Experten streiten über Sinn und Unsinn einer Bepflanzung von Dächern und Fassaden. Die Befürwörter sind von der Wirtschaftlichkeit solcher Maßnahmen überzeugt.

Von Joachim Göres

Ein Hochhaus, auf 27 Stockwerken umgeben von 800 Bäumen und 5000 Sträuchern, die auf den großen Balkonen wachsen - der Bosco Verticale, der vertikale Wald, war einer der Hingucker auf der Expo in Mailand. Der Star-Architekt Daniel Libeskind plant einen Bürokomplex als Mischung von Geschäfts- und Gewächshaus, mit Plantagen auf allen Stockwerken. Pflanzen- und Gemüseanbau mitten in der Großstadt, auf den Dächern und an den Fassaden der Hochhäuser - solche Projekte finden unter dem Stichwort "Sky Farming" immer größere Aufmerksamkeit.

Zu Recht, meint Nicole Pfoser, Landschaftsarchitektin aus Darmstadt. Auf einer Veranstaltung des Technik Salons der Uni Hannover zählte sie vor Kurzem die positiven Seiten der grünen Hochhausnutzung auf: weniger Lärm, sinkende Feinstaubbelastung, geringerer Anstieg der Temperaturen. 65 verschiedene Kletterpflanzen könnten dazu beitragen, einen grünen Vorhang um Bürogebäude zu legen und im Sommer die Energie für das Abkühlen der Gebäude zu reduzieren. "Bei Kyocera in Japan wird das an den Bürofassaden wachsende Gemüse in der Betriebskantine verarbeitet", sagt Pfoser, Vizepräsidentin der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung, und ergänzt: "Die für den Gemüseanbau genutzten Dächer halten doppelt so lange durch die geringere UV-Belastung des Daches."

Vertikale Landwirtschaft ist eine schöne Vision, aber eine unseriöse - findet Hartmut Stützel, Professor für Gemüseanbau an der Uni Hannover. Er hat von vielen Projekten gelesen, die dann aus Kostengründen doch nicht realisiert wurden. "Man muss viel Energie reinstecken, damit Pflanzen wachsen. Das lohnt sich wegen der hohen Energiekosten nicht, der Gemüseanbau auf dem Dach ist nicht konkurrenzfähig. Ein intensiver Anbau in Form von Sky Farming ist nicht realistisch", sagt Stützel.

Folkard Asch will das Gegenteil beweisen. Der Direktor des Institutes für Pflanzenproduktion und Agrarökologie in den Tropen und Subtropen der Uni Hohenheim ist Forschungsleiter eines Sky-Farming-Projektes. Gedacht ist an ein 20 bis 30 Etagen hohes Haus, in dem Reis angebaut werden soll. Dies sei zunächst viel teurer als die Flächenlandwirtschaft, doch durch ganzjährigen Anbau, den geringeren Dünger- und Wasserverbrauch sowie geringeren Insektenbefall könne der Ertrag stark gesteigert werden. Erste Pläne gab es bereits vor fünf Jahren - bisher hat sich bei der Realisierung nicht viel getan. "Wir brauchen zwölf bis 15 Millionen Euro für den Bau eines vier- bis sechsstöckigen Prototypen. Bislang haben wir keine Fördermöglichkeiten gefunden. Außer der Presse gibt es wenig Interessenten", sagt Asch. Er räumt ein, dass der Prototyp noch ein Gedankengebäude ist. "Aber gerade der Versuch, ihn in Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen zu realisieren, könnte dem Projekt den nötigen Innovationsschub geben", meint er.

Asch nennt drei Faktoren, von denen die Wirtschaftlichkeit von Sky Farming abhängt: Nahrungsmittelpreise, Flächenverfügbarkeit und Energiekosten. Sky Farming kann nach seiner Überzeugung überall dort Sinn machen, wo es wenig Fläche gibt, aber einen hohen Bedarf an Nahrung.

Für Pfoser steht fest, dass dem Gemüseanbau in der Stadtmitte unabhängig von der Wirtschaftlichkeit die Zukunft gehört: "Auf jeden Kindergarten und jede Schule gehört ein Gründach, damit Kinder erleben, wie etwas wächst. Und dann gibt es in den Städten viele Brachflächen, die durch den gemeinsamen Anbau verschönert werden können und die Nachbarschaft verbessern." An Gebäuden könne das Grün auch zur Dämmung eingesetzt werden, wenn man die richtigen Kletterpflanzen verwende.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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