Gestaltungsbeiräte:Schön oder Schikane

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Seit drei Jahren hat Freiburg einen Gestaltungsbeirat. Die Bilanz fällt bisher positiv aus - auch aus Sicht der Bauträger. (Foto: Chromorange/imago)

Immer mehr Städte richten solche Experten-Gremien ein, die große Bauvorhaben überprüfen. Architekten hoffen auf mehr Qualität, Investoren warnen vor mehr Auflagen.

Von Rainer Müller

Die Baukonjunktur brummt. Ob Wohnungen oder Gewerbeimmobilien - lange wurde nicht mehr so viel gebaut wie heute. Geht Masse dabei zwangsläufig vor Klasse? Genau davor warnen Architekten und Städtebau-Experten. "Baukultur wird häufig als etwas angesehen, das man sich leisten kann, wenn man sonst keine Probleme hat", sagt Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. "Dabei berührt Baukultur sehr viele Lebensbereiche."

Gerade weil heute so viel gebaut wird, sei Baukultur besonders wichtig, so Nagel. Und in kaum einer Großstadt wird derzeit so viel gebaut wie in Freiburg im Breisgau: Unter anderem entstehen hier jährlich circa 1500 Wohnungen. In Relation zur Einwohnerzahl von knapp 230 000 baut die südbadische Universitätsstadt damit deutlich mehr Wohnungen als Berlin, Hamburg oder München.

"Das starke Wachstum der Stadt führt immer wieder zu Akzeptanzproblemen bei Bauprojekten", erklärt Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag. "Es gibt massive Diskussionen darüber, wo und wie Freiburg wachsen soll." Mit seiner historischen Altstadt und seiner Lage am Rand des Schwarzwaldes, zwischen Weinbergen und Rheinebene, bietet der Bauboom viele Gefahren für das Stadtbild und die Blickbeziehungen ins Umland. Vor drei Jahren richtete die Stadt daher einen sogenannten Gestaltungsbeirat ein, der helfen soll, städtebauliche und architektonische Fehlentwicklungen zu vermeiden, wie es in der Satzung des Beirates heißt. Wie Architekturwettbewerbe sind Gestaltungsbeiräte ein Instrument zur Qualitätssicherung. In Freiburg besteht das Gremium aus fünf externen Architekten, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten, die weder in Freiburg wohnen noch arbeiten dürfen, um zu vermeiden, dass Eigeninteressen bei der Beurteilung der Bauvorhaben eine Rolle spielen.

In Städten wie Freiburg wollen die Beiräte das historische Stadtbild schützen

"Der Beirat soll dazu beitragen, unser Ringen um Qualität nachvollziehbar und transparent zu machen", sagt Baubürgermeister Haag. "Das ist der Schlüssel, um Wachstum zu gestalten. Wir können langfristig nicht gegen die Bevölkerung Entwicklung betreiben." Von etwa 50 größeren Bauvorhaben im Jahr wählt die Bauverwaltung etwa 20 Projekte aus, die das Gremium nach Kriterien wie architektonische Qualität, städtebauliche Einbindung und Freiraumgestaltung bewerten soll. Damit ergänzt der Beirat die normalen Genehmigungsverfahren, aber er ersetzt sie nicht.

Im Idealfall sind Beirat und Verwaltung mit dem Entwurf des Vorhabens zufrieden - und der Bauherr betrachtet diese zusätzliche Schleife nicht als bloße Schikane, sondern als Gewinn. So lief es etwa beim Wohnbauprojekt "Sonnenhöfe" im Freiburger Stadtteil Haslach, wo das mittelständische Immobilien-Unternehmen Gisinger derzeit fünf Geschosswohnungsbauten mit 120 Wohneinheiten und 10 000 Quadratmetern Wohnfläche baut. "Unsere Erfahrungen mit dem Beirat waren sehr positiv", sagt Mitinhaber Karl-Jörg Gisinger. "Man muss gut vorbereitet sein, das Projekt gut ausarbeiten und präsentieren. Das kostet zunächst Zeit", sagt Gisinger. "Aber ein Projekt, das ohne Wenn und Aber beim Gestaltungsbeirat durchgeht, geht hinterher umso schneller durch die Verwaltung."

Ende 2014 wurden die "Sonnenhöfe" als eines der ersten Projekte im damals neuen Gestaltungsbeirat öffentlich beraten und ohne Auflagen zur Genehmigung empfohlen. Ein Jahr später war bereits Baubeginn, und jetzt steht der erste Rohbau. Auf dem Baustellenschild hatte Gisinger sogar offensiv geworben: "Vom Gestaltungsbeirat gelobt!"

Diese positive Wahrnehmung des Gremiums durch einen Bauherrn ist nicht ungewöhnlich. Baubürgermeister Martin Haag berichtet, dass die Verwaltung gut ein Jahr nach Arbeitsbeginn des Beirates eine Umfrage unter den ersten 13 betroffenen Investoren durchgeführt habe. Elf von ihnen hätten es nicht bereut, ihr Vorhaben dem Beirat vorgelegt zu haben. Dabei hält sich bis heute bei vielen Bauherren und Gemeinden gleichermaßen der Ruf, Gestaltungsbeiräte seien zu teuer und zeitaufwendig. Anders als in der Schweiz ist die Einrichtung eines solchen Beirates freiwillig. Gerade kleinere Gemeinden scheuen deshalb häufig vor diesem Instrument zurück. Baden-Württemberg hat daher 2016 ein Förderprogramm aufgelegt und übernimmt in den ersten zwei Jahren bis zu 50 Prozent der Kosten. Zehn weitere Gemeinden haben seither davon Gebrauch gemacht und einen Beirat eingerichtet. "Gestaltungsbeiräte leisten einen wichtigen Beitrag zur Qualifizierung von Stadtbild und Freiraum", erklärt Andreas Binkele, Referent beim Landesbauministerium in Stuttgart. "Die Effekte sind zwar nicht direkt messbar, aber die Stadtgestaltung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität und kann touristische Attraktivität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit stärken", begründet Binkele die Förderung.

Diese Auffassung wächst bundesweit. Gab es vor 30 Jahren gerade mal ein Dutzend Beiräte, sind es mittlerweile 129 überall in Deutschland. Die meisten davon in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen. An Rhein und Ruhr sind einige der ältesten Gestaltungsbeiräte tätig. Entsprechend viele Erfahrungen haben auch einige Akteure der Immobilienwirtschaft gemacht. Der nordrhein-westfälische Ableger des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen BFW begrüßt heute "grundsätzlich" die Arbeit der Gestaltungsbeiräte. Als Geschäftsführerin vertritt Elisabeth Gendziorra einen Landesverband, der stark von mittelständischen Unternehmen geprägt ist, die oft über Jahrzehnte schwerpunktmäßig in der gleichen Region arbeiten und "ein großes Interesse an einer gelungenen Integration ihrer Projekte in die Umgebung haben und sich durchaus auch als Mitgestalter der Städte verstehen", sagt Gendziorra.

"In der Praxis hängt aber der Erfolg der Zusammenarbeit wie immer von den handelnden Personen ab", betont die BFW-Geschäftsführerin. Positiv seien die Erfahrungen, wenn Gestaltungsbeiräte mit "qualifizierten Personen" besetzt seien, die "sachbezogen" urteilten. Demgegenüber hätten einige Unternehmen auch negative Erfahrungen mit Gremien gemacht, deren Eignung "unter fachlichen Gesichtspunkten fraglich" sei und bei denen "sich der Verdacht aufdrängte, dass über den Umweg Beirat Lokalpolitik gemacht wird." Es gebe durchaus Fälle, in denen ein Gestaltungsbeirat "Zeit- und Kostenaufwand verursacht, der zu keinem Mehrwert für Projekt, Stadtentwicklung und Bürger führt."

Aus der Perspektive der Gemeinden ist es bisweilen umgekehrt. Dort wird auch mal über Bauherren geklagt, die sich über die Empfehlung des Beirates hinwegsetzen und "bauen, wie sie wollen" - was natürlich ihr gutes Baurecht sei, wenn eine Genehmigung vorliege. Die Urteile der externen Beiräte hätten eben nur Empfehlungscharakter und "letztlich sei gute Gestaltung immer auch subjektiv", wie ein Architekt beim ersten bundesweiten Treffen der Gestaltungsbeiräte einräumte.

Zu diesem Treffen kamen im vergangenen November Beiratsmitglieder und Vertreter von circa 60 Kommunen in Potsdam zusammen, "also fast jede zweite Gemeinde mit Gestaltungsbeirat", so Anne Schmedding von der Bundesstiftung Baukultur, die zu dem Treffen eingeladen hatte. "Alleine diese Zahl zeigt den großen Bedarf an Erfahrungsaustausch untereinander." Speziell in den vergangenen zwei, drei Jahren sei die Zahl der Beiräte bundesweit so stark gestiegen, dass viele der Gremien und Gemeinden noch mitten im Lernprozess steckten. Nächste Gelegenheit, von den Erfahrungen anderer Gemeinden zu lernen gibt es kommenden Oktober. Dann findet in Freiburg das zweite Treffen der Gestaltungsbeiräte statt.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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