NS-Zeit: Tatort Finanzministerium:Erst rauben, dann auslöschen

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Verstrickt in die Judenverfolgung: Historiker decken auf, wie Finanzbehörden im "Dritten Reich" das Regime gestützt und Steuergesetze nach nationalsozialistischer Weltanschauung ausgelegt haben.

Guido Bohsem

Die deutschen Finanzbehörden und ihre Beamten waren deutlich aktiver an der Judenverfolgung im Dritten Reich beteiligt als bislang bekannt. Dies ist das erste Zwischenergebnis einer Historikerkommission, die der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) 2009 eingesetzt hatte. Die Wissenschaftler stellten dies und ihren weiteren Forschungsplan am Montag den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums vor.

Die Finanzbehörden waren verstrickt in die Judenverfolgung (im Bild ein volksverhetzendes Plakat mit der Aufschrift "Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden" an der Schaufensterscheibe eines Geschäfts während der Reichspogromnacht). (Foto: dpa)

Nach den Erkenntnissen der Experten war das Reichsfinanzministerium weitaus mehr als eine neutrale Behörde des NS-Staates. Nach Aussagen des Sprechers der Historiker-Gruppe, Hans-Peter Ullmann, leistete das Ministerium vielmehr einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren und zur verbrecherischen Politik des Dritten Reichs.

Das Finanzministerium hat seine Aufgabe nach Worten des Kölner Historikers darin gesehen, "das Unrechtsregime samt seiner Politik der Aufrüstung und Kriegsführung zu finanzieren". Dazu habe es sich nicht alleine der herkömmlichen Mittel bedient, sondern im großen Umfang auf schlichten Raub gesetzt.

"Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen", so hieß es nach Worten der Münchener Wissenschaftlerin Christiane Kuller schon im "Steueranpassungsgesetz" von 1934. Seit diesem Zeitpunkt seien jüdische Steuerpflichtige systematisch anders behandelt worden als nichtjüdische. Wollten sie das Land verlassen, mussten sie ein Viertel ihres Vermögens abtreten, "Reichfluchtsteuer" wurde diese Teilenteignung bezeichnet. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges behielt der Staat insgesamt 96 Prozent des Vermögens ein.

Von 1941 an wurde jeder Jude automatisch enteignet, sobald er die Reichsgrenze überschritt. "In zynischer Konsequenz wurde die Regelung aber auch bei den inzwischen laufenden Deportationen angewandt", sagte Kuller. Als im November 1941 die Deportationen begannen, mussten die Juden beim Abtransport ihre gesamte Habe bis auf einen Koffer zurücklassen. "Für die Verwaltung und Verwertung dieses Vermögens waren die staatlichen Finanzbehörden zuständig", sagte Kuller. "Sie gerieten dadurch in den unmittelbaren Kontext des Judenmordes."

Die Kommission arbeitet weiter

"In dem arbeitsteiligen Prozess der Vernichtung übernahmen die Finanzbeamten die Aufgabe, alle Reste der bürgerlichen Existenz der Deportierten auszulöschen", so Kuller weiter. Nach ihren Worten hätte die Deportation ohne die professionelle Mitwirkung der Finanzbeamten an zahllosen Stellen der deutschen Gesellschaft unübersehbare wirtschaftliche Komplikationen verursacht. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass der Gesamtzusammenhang der Vernichtungspolitik zumindest einem Teil der Behördenmitarbeiter im Reichsfinanzministerium und den Finanzministerien vor Ort bekannt gewesen sei.

Laut Ullmann gilt es für die Kommission nun, diese Erkenntnisse zu vertiefen und erstmals eine genaue Untersuchung der Rolle des Finanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus vorzulegen. Neben dem Aspekt der Judenverfolgung geht es ferner darum, die Organisation der Behörde unter dem Einfluss der Nazis darzustellen, ihre Steuerpolitik und die Art und Weise, wie sie mit einer immer höheren Verschuldung die Kriegsmaschinerie am Laufen hielt.

© SZ vom 09.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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