Energie:Schwierige Fernbeziehung

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Etwa 5,3 Millionen Haushalte in Deutschland heizen derzeit mit Fernwärme. Das ist bequem und gilt als umweltfreundlich, Versorger lassen sich das teuer bezahlen. (Foto: Vattenfall)

Wer mit Fernwärme heizt, ist an seinen Versorger gebunden. Manche Anbieter nutzen dieses Monopol aus, kritisieren Experten. Die Kartellämter ermitteln. Der Druck zeigt Wirkung.

Von Ralhp Diermann

Ob Auto, Bohrmaschine oder Rasenmäher: Teilen ist in. Einen Gegenstand gemeinschaftlich zu nutzen, spart Geld, Ressourcen und oft auch Zeit. Trendforscher haben bereits die "Sharing Economy" ausgerufen. In der Immobilien- und Baubranche allerdings ist dieses Phänomen im Grunde ein alter Hut - zumindest, was die Versorgung mit Wärme betrifft. Denn statt jedes Gebäude mit eigenen Kohle- oder Holzöfen auszustatten, haben findige Bauherren schon Ende des 19. Jahrhunderts kollektive Heizsysteme für die ganze Nachbarschaft geschaffen. Als Wärmequellen dienten Kohlekessel in nahe gelegenen Industriebetrieben oder Kraftwerken. Die Anlagen lieferten heißen Dampf, der dann über Rohrleitungen zu den Kunden transportiert wurde. So hatten sie es schön warm, ohne selber eine Heizung installieren und sich um Brennstoffe kümmern zu müssen.

Heute gehört eine solche Fernwärmeversorgung vor allem in Großstädten zum Standard kommunaler Infrastruktur. Wenn neue Wohnviertel oder Gewerbegebiete entstehen, werden mit den Strom- und Telekommunikationsleitungen häufig gleich auch Rohre für die Wärme verlegt. Etwa 5,3 Millionen Haushalte heizen derzeit in Deutschland nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit Fernwärme, 500 000 mehr als noch 2008. Das ist bequem und gilt zudem als relativ umweltfreundlich, da die Netze meist mit der Abwärme gespeist werden, die bei der Stromerzeugung in Kraftwerken anfällt.

Die Netze sind auch für andere Versorger offen. Aber die zögern noch, sie befürchten Probleme

Komfort und Klimaschutz lassen sich viele Versorger jedoch teuer bezahlen. Laut bundesweitem Heizspiegel der Beratungsgesellschaft co2online gaben die Bewohner einer 70-Quadratmeter-Wohnung 2014 im bundesweiten Durchschnitt 965 Euro für Fernwärme aus. Mit Heizöl fiel die Rechnung um 35 Euro niedriger aus, mit Erdgas sogar um 140 Euro. Allerdings variieren die Fernwärme-Tarife regional erheblich. Die günstigsten Anbieter verlangen nicht einmal fünf Cent pro Kilowattstunde, die teuersten etwa zehn Cent. Warum solch große Unterschiede? "Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die Einfluss auf die Kosten der Fernwärme haben", erklärt Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Stadtwerke-Verbands VKU. "Dazu gehört etwa die Topografie des Versorgungsgebietes, die Größe des Netzes und vor allem der Anschlussgrad. Je weniger Kunden dort Fernwärme beziehen, desto höher sind die Fixkosten des Versorgers."

Christian Maaß, Partner beim auf Energie spezialisierten Consulting-Unternehmen Hamburg Institut, hält diese Erklärung allerdings längst nicht in jedem Fall für stichhaltig. "Viele Netze sind vergleichbar, was Größe, Wärmeabsatz, Anschlussdichte und Brennstoffe angeht. Trotzdem sind die Preisdifferenzen mitunter groß. Da liegt die Vermutung nahe, dass manche Unternehmen ihre Monopolstellung ausnutzen", sagt der Experte. Die Anbieter sind in ihren Versorgungsgebieten konkurrenzlos - anders als bei Erdgas oder Heizöl können die Kunden nicht einfach zu einem anderen Unternehmen wechseln.

Besonders groß ist die Abhängigkeit in Regionen, in denen Kommunen Bauherren dazu zwingen, neue Immobilien an lokale Wärmenetze anzuschließen. Manche Städte und Gemeinden haben dazu Fernwärme-Satzungen verabschiedet, die einen Anschluss- und Benutzungszwang vorsehen. Andere Kommunen halten beim Verkauf von Baugrundstücken fest, dass die Häuser mit Fernwärme versorgt werden müssen. Auch in einigen Bebauungsplänen finden sich solche Auflagen. Maaß hält solche Regelungen zwar grundsätzlich für sinnvoll, da Fernwärme für alle Kunden günstiger wird, je höher die Anschlussdichte ist. "In der Praxis bringt diese Pflicht aber die Gefahr mit sich, dass die Versorger überhöhte Preise verlangen, weil die Kunden ja nicht auf andere Heizungstechnologien ausweichen können", erklärt er.

Um einen Missbrauch der Monopolstellung zu verhindern, haben die Kartellbehörden von Bund und Ländern in den vergangenen Jahren die Preisgestaltung vieler Fernwärme-Versorger unter die Lupe genommen. In der Folge hat das Bundeskartellamt Missbrauchsverfahren gegen sieben Versorger eingeleitet. Als erstes der betroffenen Unternehmen haben die Stadtwerke Leipzig daraufhin angekündigt, ihre Preise ab 2016 zu senken. Die Verfahren gegen die anderen Anbieter laufen noch. In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern haben lokale Versorger ihre Tarife auf Druck der Landeskartellbehörden angepasst, bevor es zu Verfahren kam. Allerdings stellte das Bundeskartellamt im Abschlussbericht seiner Untersuchung auch fest, dass das Preisniveau bei der Fernwärme insgesamt betrachtet nicht überhöht sei. "In sehr vielen Fällen haben die Behörden und Kartellämter bestätigt, dass die Preise der Anbieter angemessen sind", betont VKU-Chefin Reiche.

Auch bei Strom und Gas gab es jahrzehntelang ein Monopol, bis die Netze mit der Liberalisierung des Energiemarktes vor fast zwanzig Jahren für andere Anbieter geöffnet wurden. Das Bundeskartellamt stellte 2012 ausdrücklich klar, dass dieses Recht auf Nutzung der Netze genauso für die Fernwärme gilt. Einige Versorger kündigten daraufhin an, den Einstieg in dieses Geschäft zu prüfen. So auch Lichtblick. Der Ökoenergie-Anbieter wollte Kunden mit der Abwärme beliefern, die bei der Stromerzeugung in Blockheizkraftwerken (BHKW) anfällt. Doch Lichtblick verwarf den Plan wieder, genauso wie die anderen Versorger. "Trotz des klaren Statements des Bundeskartellamtes sind noch viele juristische Fragen offen", erklärt Lichtblick-Chef Gero Lücking. "Der Einstieg in den Fernwärmemarkt wäre mit einem jahrelangen Rechtsstreit verbunden. Diesen Aufwand wollten wir uns ersparen."

Lücking verlangt von der Bundesregierung, endlich die nötigen gesetzlichen Grundlagen für den Wettbewerb zu schaffen - auch, um die Energiewende voranzubringen. Wenn nämlich BHKW-Betreiber überschüssige Wärme über das Netz an andere Abnehmer verkaufen dürften, könnten sie ihre Anlagen so fahren, dass sie immer dann Strom erzeugen, wenn Windräder und Solaranlagen gerade schwächeln. Das würde das gesamte Energiesystem stabilisieren. Doch bislang kommen aus Berlin keine Signale für eine Liberalisierung des Fernwärmemarktes. Lücking: "Dort werden enorm hohe Renditen erwirtschaftet, auf die niemand verzichten will. Da traut sich auch die Politik nicht ran."

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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