Eigenheim:Mieterland

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Kurzarbeit, Jobverlust, Covid-19: Manche Mieter geraten da in finanzielle Not. Aber sie stoßen bei vielen Vermietern auf Verständnis. (Foto: imago)

Wohnungsnot, Steuern, Mieterschutz - es gibt viele Gründe, warum es in Deutschland weniger Hauseigentümer gibt als im übrigen Europa. Trotz Niedrigzinsen wird sich das wohl auch nicht so schnell ändern.

Die meisten Niederländer haben sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllt, ebenso die Polen, Italiener oder Briten: "My home is my castle." 70 Prozent der Europäer wohnen im eigenen Heim. Die Deutschen belegen in dieser Hinsicht mit Abstand den letzten Platz in der EU. Steigende Mieten und Niedrigzinsen haben die Nachfrage nach Baukrediten in den vergangenen Jahren zwar angekurbelt - aber der Anteil der Eigentümer ist sogar gesunken, auf 52 Prozent. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

Einer der wichtigsten liegt lange zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Städte zerbombt, es wurde rasch Wohnraum gebraucht, auch für die Millionen Heimatvertriebenen. Staat, Unternehmen und Wohnbaugenossenschaften zogen in der jungen Bundesrepublik massenhaft Mietwohnungen hoch, wie Alexander Schürt vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung erklärt. Deshalb ist der Bestand an Häusern aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren hierzulande so hoch.

Deutschland ist außerdem vergleichsweise dicht besiedelt, doppelt so dicht wie die EU insgesamt. "In der Stadt gibt es eher Geschosswohnungsbau, und das geht oft einher mit Mietwohnungen", sagt Schürt. Auch heute boomt vor allem der Bau großer Wohnhäuser in den Städten. Grundstücke sind rar, und das Einfamilienhaus verbraucht schlichtweg zu viel Platz.

"In Südeuropa sind die Leute stärker verwurzelt in ihrer Region"

"In Italien oder Spanien ist der Mietwohnungsmarkt nicht so gut", sagt Ludwig Dorffmeister, Immobilienexperte des Münchner Ifo-Instituts. "Mietwohnungen haben auch einen schlechteren Ruf, zum Beispiel in Großbritannien." Der deutsche Baustandard sei dagegen hoch, auch "die Qualität der Mietwohnungen in Deutschland ist vergleichsweise gut, man muss nicht eigene vier Wände haben, um gut zu wohnen", sagt Schürt.

Und dazu kommt: "In Deutschland sind Mieter besser geschützt als in vielen anderen europäischen Staaten", wie Schürt sagt. Der Kündigungsschutz ist hoch, die Politik eher mieterfreundlich. Jüngstes Beispiel: die Mietpreisbremse.

Käufer dagegen belastet der Staat mit hohen Nebenkosten. Einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen verlangen bis zu 6,5 Prozent Grunderwerbsteuer. Dazu kommen 1,4 Prozent Notargebühr plus Maklercourtage - das alles verteuert den Kauf schnell um zigtausend Euro. Dies schrecke viele ab, sagt Dorffmeister. Zumal dieses Geld bei einem Verkauf verloren ist. Die Briten dagegen könnten alle zehn Jahre umziehen, "die verkaufen halt ihr Haus und kaufen ein neues".

Zugleich fährt die Politik bei der Förderung von Wohneigentum einen Schlingerkurs. Lange unterstützte der Staat gut verdienende Häuslebauer steuerlich. Von 1996 bis 2006 gab es Kinder- und Eigenheimzulagen bis zu bestimmten Einkommensgrenzen. Heute hilft der Bund noch ein bisschen mit billigen Krediten und Wohn-Riester - aber "im Prinzip ist das ein Feigenblatt", sagt Dorffmeister. So wurde die Grunderwerbsteuer erhöht und die Eigenheimzulage gestrichen. "Wir sind Schlusslicht mit Ansage", kritisiert Stephan Kippes, Leiter der Marktforschung beim Immobilienverband Deutschland Süd. Auf der anderen Seite hat der Bund die Mittel für den sozialen Wohnungsbau zuletzt deutlich erhöht. Vor allem kommunale Wohnungsunternehmen und Genossenschaften bauen wieder mehr Mietwohnungen - oft für Menschen mit geringerem Einkommen.

Der Mietmarkt hat auch viel mit der modernen Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun. So ist im Beruf heute oft Mobilität gefordert. Wer nach Ausbildung oder Studium eine Stelle sucht, muss vielleicht in eine andere Stadt umziehen, bekommt mitunter nur einen befristeten Vertrag. Die Immobilie aber macht eher immobil. "In Südeuropa haben viele ihr eigenes Häuschen, die Leute sind stärker verwurzelt in ihrer Region. Das ist auch eine Mentalitätsfrage", sagt Dorffmeister. Und wo das Vertrauen in den Staat geringer und die sozialen Sicherungssysteme schwächer sind, bietet ein Häuschen im Alter ein Stück Sicherheit. In Deutschland funktioniert der Sozialstaat, und die gesetzliche Rente hat zumindest bisher den meisten für einen auskömmlichen Lebensabend gereicht.

"Den Baufirmen ging es seit der Wiedervereinigung noch nie so gut", teilte das Ifo-Institut nach der jüngsten Konjunkturumfrage mit. An vielen Normalverdienern geht der Bauboom jedoch vorbei. Nicht nur die Mieten, auch die Grundstückspreise in den Ballungsräumen und die Baukosten sind enorm gestiegen. Ein gebrauchtes Einfamilienhaus in München kostet laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Durchschnitt 1,2 Millionen Euro - in einigen anderen Regionen gebe es dafür ein Dutzend Häuser. "Die Frage ist, ob man dort Arbeit findet und wohnen will", sagt Dorffmeister. Er sieht zwei gegenläufige Tendenzen: Niedrigzins, Inflationsangst und die Suche nach einer sicheren Geldanlage erhöhen die Eigentumsquote - der Bau neuer Mietwohnungen für Flüchtlinge und Zuwanderer senkt sie. "Insgesamt hebt sich das in etwa auf."

© SZ vom 03.02.2017 / dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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