Berater für Handelsfirmen:"Der Handel muss sich bewegen"

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Joachim Stumpf ist seit 1988 Unternehmensberater für Handelsfirmen und seit 2007 Geschäftsführer bei der BBE Handelsberatung mit Sitz in München. (Foto: BBE)

Fallende Mieten, hoher Leerstand: Abseits der Stadtzentren sind Läden immer weniger gefragt, sagt BBE-Experte Joachim Stumpf. Und wie geht's weiter mit den stationären Einzelhändlern?

Interview von Sabine Richter

In Deutschland gebe es ein immer größeres Gefälle zwischen starken und schwachen Lagen, berichtet Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE-Handelsberatung. Das habe Folgen für Vermieter und Mieter. Kleine stationäre Händler müssten sich besonders anstrengen.

SZ: In Hamburg drohen den Eins- b-Lagen Leerstand und sinkende Mieten. Wie sieht es in anderen Großstädten aus?

Joachim Stumpf: Wir haben fast überall das gleiche Bild. In München geht es noch etwas stabiler zu, weil die Eins-a-Lage hier so extrem konzentriert ist und als Gesamteinkaufserlebnis wirkt. Aber auch hier ist das Interesse für Neuvermietungen gesunken. In Berlin zum Beispiel haben wir das genaue Gegenteil - sehr viele Shoppingcenter, auch viele Neuzugänge, die miteinander konkurrieren und zum Teil eigene Einzugsgebiete haben. Hier noch Wertzuwachs zu erzielen, ist nur schwer möglich. Insgesamt ist aber in den Top-7-Städten die Welt noch weitgehend in Ordnung.

Woher kommt denn der Druck auf die b- und Stadtteillagen?

Die hochwertigen nationalen und internationalen Labels aller Branchen, die ihre Marke durch einen eigenen Shop noch stärker profiliert sehen wollen, gehen ausschließlich in die besten Lagen oder in die Top-Shoppingcenter. Bei der Markenpflege werden keine Kompromisse gemacht. Darunter leiden die Eins-b-Lagen und alle, die ohnehin schon ein bisschen schwächer sind. Dass es in Deutschland eine zunehmende Polarisierung zwischen starken und schwachen Städten und auch Lagen gibt, haben wir in unserem Forschungsprojekt für das Bundesbauministerium und den Handelsverband Deutschland (HDE) über die Auswirkungen der Digitalisierung auf Städte, Stadtteile und Ortszentren festgestellt.

Das bedeutet, dass der stationäre Handel nicht gleichmäßig schrumpft?

Ja, hier kommt jetzt das Thema Verdrängung ins Spiel. In der besten Lage werden nach wie vor ordentliche Mieten erzielt, weil sich bestimmte Händler das etwas kosten lassen. Aber in den besagten b-Lagen muss die Miete für die Einzelhändler dann sinken, weil stationär in Summe nicht mehr ausgegeben wird. Und das ist derzeit fast überall zu beobachten.

Wie deutlich ist die Trendwende bei den Mieten?

Überall wird der Trend deutlich, dass die Anzahl der Mietinteressenten abnimmt und wenig Kompromisse bei Raumzuschnitt und Größe eingegangen werden. Das drückt auf die Mieten. Obwohl wir 2015 und 2016 die besten Einzelhandelsjahre seit fast zwanzig Jahren hatten, findet nach unseren Analysen stationär kein Wachstum mehr statt.

Der Onlinehandel profitiert?

Ja, aber nicht nur die reinen Online-Händler wie Amazon, sondern auch die Multichannel-Händler. Das ist ein Stück Kannibalisierung, ein Teil der Strategie, um vom Gesamtkuchen mehr abzukriegen. Das Wachstum der Fashion-Multichannel-Händler im Online-Bereich betrug in den vergangenen sechs Jahren 18,6 Prozent, im stationären Handel dagegen nur zwei Prozent. Aber auch der Online-Kanal muss bespielt werden, das kostet, und wenn dann auf der stationären Fläche der Umsatz stagniert oder sinkt, dann ist bei der Fixkostengröße Miete kein Spielraum mehr für Mietsteigerungen.

Händler, die Flächen mieten wollen, sind also in einer komfortablen Situation?

Ja, der Leidensdruck bei den Vermietern ist inzwischen relativ groß. Das sehen wir auch in schlecht positionierten Shopping-centern oder auch Teilen vieler Eins-a-Lagen. Dort muss immer öfter mangels Nachfrage deutlich unter der Ursprungsmiete abgeschlossen werden. Das hängt allerdings stark vom Mikrostandort ab, hier können 50 Meter entscheidend sein.

Der Handelsverband Deutschland hat ermittelt, dass bis 2020 bundesweit 50 000 Geschäfte verschwunden sein werden.

Das deckt sich mit unseren Erhebungen. In schwächeren Klein- und Mittelzentren mit niedrigerer Zentralität stirbt der nicht filialisierte, alteingesessene Fachhandel in Branchen wie Schuhe, Sport, Parfümerie, jeden Tag still und leise. Da geht kein Bürgermeister wie bei der Karstadt-Krise auf die Barrikaden, die Läden werden einfach abgesperrt. Dabei machen die kleinen Unternehmen die Masse der Läden aus; wir haben in Deutschland allein 264 000 Händler mit weniger als 500 000 Euro Umsatz, 300 000 liegen unter einer Million. Hier herrscht ein langsamer, schleichender Abwärtsprozess bis zu einem Kipp-Punkt, wo Leerstand Leerstand gebiert, weil die Lage unattraktiv wird. Veränderungen im Handel sind normal, derzeit geht nur alles deutlich schneller. Und der nicht filialisierte Fachhandel - aber mittlerweile auch schlecht positionierte Filialbetriebe - war bisher in allen Veränderungswellen erster Verlierer, sein Umsatzanteil wird weiter fallen, auf zehn bis zwölf Prozent.

Was kann der stationäre Handel tun?

Der Handel muss sich bewegen, Handlungsspielräume nutzen, etwa über interessante und intelligente Formatanpassungen, einen besonderen Ladenbau, ein außergewöhnliches Sortiment, hohe Aufenthaltsqualität, attraktive Gastronomie. Aber vor allem besonders gute Services, motivierte Verkäufer, die leidenschaftlich beraten. Und der Handel muss erkennen, dass die gesetzlichen Reklamationsanforderungen von den Onlineanbietern weit übertroffen werden. Man kann schon viel machen, um stationäre Begeisterung auszulösen, nur kommen mit solch einer stürmischen Entwicklung immer weniger mit, da trennt sich die Spreu vom Weizen.

Werden die Möglichkeiten der Digitalisierung ausreichend genutzt?

Darauf muss sich der Handel noch viel stärker einlassen, wenn er überleben will. Das beginnt bei der digitalen Sichtbarkeit von einzelnen Unternehmen, aber auch ganzen Regionen.

© SZ vom 10.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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